Wir hatten schon einmal eine Frage zur Antwort auf oder-Fragen. Hier nun eine ähnliches Problem, nämlich die Antwort auf eine verneinte Frage:
Frage
Ich liege im Clinch mit Schülern und Kollegen betreffs der Antwort auf verneinte Fragen.
In Ihrer Deutschen Grammatik habe ich (meiner Überzeugung entsprechend) gefunden, dass auf verneinte Fragen die Antwort zur Bestätigung nein lautet, die Antwort zur Verneinung doch. Ich hatte auch keine andere Auskunft erwartet, stehe allerdings mit diesem Regelverständnis bei Schülern und Kollegen weitgehend allein.
Allgemeiner Konsens scheint zu sein, dass man auf die verneinende Frage Hast du keinen Hunger? mit ja antwortet, wenn man tatsächlich keinen Hunger hat.
Antwort
Sehr geehrter Herr R.,
zu Ihrer Frage über die Antwortmöglichkeiten bei verneinten Fragen:
Unbestritten ist die Verwendung von doch wenn Widerspruch ausgedrückt werden soll.
Hast du keinen Hunger? – Doch (= Widerspruch: Ich habe Hunger)
Im Allgemeinen gilt, dass die bestätigende Antwort auf eine verneinte Frage nein ist:
Hast du keinen Hunger? – Nein (= Bestätigung: Ich haben keinen Hunger)
So steht es auch auf unseren Grammatikseiten und in anderen Grammatiken. In der Sprachrealität herrscht aber im letzteren Fall einige Verwirrung. Oft wird hier auch die Antwort ja verwendet:
Hast du keinen Hunger? – Ja (= Bestätigung: Ich haben keinen Hunger)
Hier könnten verschiedene Einflüsse eine Rolle spielen. Zum Beispiel:
- Das Antwortmuster bei negativen Adjektiven, das sich vom Antwortmuster bei verneinten Sätzen unterscheidet:
Bist du unzufrieden? – Nein (= Widerspruch: Ich bin zufrieden)
Bist du unzufrieden? – Ja (= Bestätigung: Ich bin nicht zufrieden)
Bist du nicht zufrieden? – Doch (= Widerspruch: Ich bin zufrieden)
Bist du nicht zufrieden ? – Nein (= Bestätigung: Ich bin nicht zufrieden)
- Das Antwortmuster bei Vergewisserungsfragen. Eine Vergewisserungsfrage ist keine eigentliche Frage, sondern eine Bitte um Bestätigung (nicht ist unbetont, gut ist betont):
Hab ich das nicht gùt gemacht? – Nein (= Widerspruch: Du hast das nicht gut gemacht)
Hab ich das nicht gùt gemacht? – Ja (= Bestätigung: Du hast das gut gemacht)
Es gäbe auch noch andere Erklärungsmöglichkeiten. Klar ist in diesem Zusammenhang nur, dass im Deutschen einige Verwirrung herrscht, welche Antwort man als bestätigende Antwort auf eine verneinte Frage geben soll. Nach der Grammatik des Standarddeutschen (und auch meinem Sprachgefühl) sollte man nein verwenden. Da aber viele Leute – wie Ihre Umfrage zeigt – auch ja verwenden, empfiehlt es sich, bei wichtigen Problemen eine verneinte Fragestellung zu vermeiden. Wenn die Frage schon gestellt ist, sollte man bei der Antwort mehr als nur nein oder ja zu sagen:
Hast du keinen Hunger? – Nein, ich habe keinen Hunger
oder, standardsprachlich weniger/nicht? akzeptiert:
Hast du keinen Hunger? – Ja, ich habe keinen Hunger
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Mathematiker würden auf die Frage „Hast du keinen Hunger?“ mit ja antworten, wenn sie keinen Hunger hätten. Das ist gewissermaßen „logisch“. Leider driften Logik und Sprachempfinden manchmal auseinander. Auch beim Gebrauch des Wortes „oder“ ist das so. Es gibt eindeutige Regeln in der Mathematik, was man unter einem logischen „Oder“ zu verstehen hat. Und auch die Negation einer Oder-Aussage hat so ihre Tücken. Aus Nicht (A oder B) folgt in der Logik Nicht A und Nicht B. Das entspricht aber nicht immer unserem gefühlten Oder in echten Leben. Zudem tragen Objekte oft noch Eigenschaften mit sich herum und sind viele Bezeichnungen unscharf.
Am Besten klappt es noch bei mündlicher Kommunikation, dort verraten meist Klang und Betonung, wie etwas gemeint ist. Leider fehlt diese Dimension in der schriftlichen Sprache. Ich persönlich mag die grammatikalische Auslegung und Antwort mit „doch“ nicht.
Was hat es mit der oben erwähnten Umfrage auf sich? Ich habe dazu nichts entdecken können.
Sehr geehrter Herr Steffens,
Logik und Sprachrealität vertragen sich tatsächlich manchmal nicht so gut. Das gilt nicht nur für die Verwendung von Verneinungen und Konnektoren wie „und“ und „oder“, sondern auch zum Beispiel für die Steigerung von gewissen Adjektiven, über die ich schon des Öfteren diskutieren „durfte“. Dass man der Sprache nicht nur mit Logik begegnen kann, hat wohl damit zu tun, dass wir Menschen eben nur sehr bedingt logisch denkende Wesen sind.
Das Wort „Umfrage“ in meiner Antwort ist nur eine Umschreibung dessen, was der Fragesteller „mit Schülern und Kollegen im Clinch liegen“ nennt.
Dr. Bopp