Frage
Meine Zweitklässer möchten gern Folgendes wissen: Welcher bestimmte Artikel ist am häufigsten; der, die oder das? Gibt es Prozentzahlen? Unsere Stichprobenforschung hat ergeben, dass der am häufigsten ist. Stimmt das?
Antwort
Sehr geehrte Frau B.,
Ihre Frage ist komplizierter, als sie sich auf Anhieb anhört. Gemäß den Angaben des Wortschatz-Projektes der Universität Leipzig sind die folgenden zehn Wörter die häufigsten deutschen Wörter:
der
die
und
in
den
von
zu
das
mit
sich
(http://wortschatz.uni-leipzig.de/Papers/top10000de.txt)
Die Reihenfolge für der, die, das wäre somit:
1. der
2. die
3. das
ABER: In dieser Aufstellung entspricht zum Beispiel der nicht dem männlichen Artikel, sondern nur der Wortform der.
Die Wortform der kann auch weiblich (das Auto der Frau, mit der Tochter) oder allgemein Mehrzahl sein (die Spielsachen der Kinder). Sie kann unter anderem auch Relativpronomen sein (der Mann, der das gesagt hat). In gleicher Weise ist die nicht nur der weibliche Artikel, sondern auch der bestimmte Artikel des Nominativ und des Akkusativ Plural, ein Relativpronomen usw. Außerdem steht der Akkusativ des männlichen Artikels, d.h. den, selbstständig auf Platz fünf der Liste der Uni Leipzig.
Die obenstehende Reihenfolge sagt also nichts darüber aus, wie häufig die verschiedenen Artikel vorkommen, sondern nur, wie oft eine bestimmte Form vorkommt. Eine Liste, die genaue Aussagen über die Häufigkeit der einzelnen Artikel angibt, ist mir leider nicht bekannt. Es ist wegen der verschiedenen Funktionen der Wortformen der, die, das, den usw. auch sehr schwierig, eine solche Liste zu erstellen.
Wenn die Frage lautet, ob es mehr männliche, mehr weibliche oder mehr sächliche Nomen gibt, ist die Antwort auch nicht ganz so einfach. In unseren Daten sieht das wie folgt aus:
weibliche Nomen: ca. 68’000 = 40%
männliche Nomen: ca. 52’000 = 31%
sächliche Nomen: ca. 49’000 = 29%
Es gibt also am meisten weibliche und am wenigsten sächliche Nomen. Dies sind aber nicht endgültige, unverrückbar feststehende Zahlen, denn die folgenden Einschränkungen müssen gemacht werden:
- So umfangreich unserer Daten sind, sie können nicht nicht den ganzen deutschen Wortschatz abdecken.
- Die Prozentzahlen sagen nichts darüber aus, wie häufig weibliche, männliche und sächliche Nomen tatsächlich verwendet werden.
Es tut mir leid, dass ich Ihnen keine kurze und eindeutige Antwort geben kann. Ich befürchte auch, dass sie für Zweitklässler etwas gar kompliziert ist. Ich hoffe aber, dass Sie trotzdem etwas damit anfangen können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Nachtrag
Zweitklässler sind offenbar viel schlauer, als ich dachte. Wie mich Frau B. wissen lässt, können sie sehr wohl etwas mit der Antwort anfangen. Wie man sieht, sollte man (oder besser: sollte ich) die Kleinen nicht unterschätzen. Es ist auch schon so lange her …
Der angegebene Prozentsatz für sächliche Nomen entspricht der hierzulande gängigen Statistik gar nicht, die auf rund 20% lautet. Kann es sein, daß bei canoo alle abstrakte Formen, wie zum Beispiel ‘das Gute’ mitgezählt worden sind, oder auch daß nicht nur Stammwoerter sondern auch alle Zusammensetzungen berücksichtigt werden?
Der Beitrag ist keineswegs als wissenschaftlich unterbaute Aussage zur Frequenz deutscher Nomen aufzufassen. Bei der Berechnung der Prozentzahlen habe ich einfach alle in unseren Wörterbüchern enthaltenen Wörter mitgezählt, d.h. auch die zusammengesetzten und abgeleiteten Nomen sowie Nominalisierungen wie “das Gute” und “das Zählen” sind darin enthalten. Wenn ich die wichtigsten Gruppen von Nominalisierungen weglasse, komme ich auf ca. 31 000 sächliche Nomen, was tatsächlich grob 20% aller Nomen entspricht. Aber auch dies ist eine wenig aussagekräftige Zahl, denn neben den beiden bereits im Beitrag gemachten Einschränkungen zur Präzision der Angaben gibt es noch eine weitere, von Ihnen zu Recht eingebrachte Einschränkung: Welche Art Substantive dürfen/sollen/müssen mitgezählt werden?