Frage
Seit langem versuche ich die Frage zu klären, ob verneintes müssen und verneintes brauchen völlig gleichbedeutend sind und gleich gebraucht werden. Auf der entsprechenden Webseite von Canoonet und in vielen Grammatiken steht, dass verneintes müssen mit der Bedeutung Notwendigkeit häufig durch nicht brauchen ersetzt wird. In der Grammatik der deutschen Sprache von D. Schulz und H. Griesbach kann man aber lesen, dass auf die unterschiedliche Wirkungsweise der Negation zu achten ist:
Inge muss ihrer Mutter nicht helfen.
(= Es besteht für sie kein Zwang, es ist ihrer freien Entscheidung überlassen.)
Inge braucht ihrer Mutter nicht zu helfen.
(= Diese Forderung ist nicht an sie gestellt worden.)
Besteht also im modernen Deutsch ein Unterschied zwischen verneintem müssen und verneintem brauchen?
Antwort
Sehr geehrter Herr P.,
im Allgemeinen werden nicht brauchen und nicht müssen als Synonyme behandeltn (vgl. unsere Grammatik). Es gibt allerdings – wie die von Ihnen zitierte Grammatik es auch angibt – einen leichten Bedeutungsunterschied:
Du musst nicht kommen (= es besteht kein Zwang)
Du brauchst nicht zu kommen (= es ist nicht notwendig)
Dieser feine Bedeutungsunterschied ist aber lange nicht immer ersichtlich. So haben die folgenden Beispielpaare eigentlich die gleiche Bedeutung:
Du musst deswegen doch nicht weinen.
Du brauchst deswegen doch nicht zu weinen.
Ich muss morgen nicht arbeiten, weil ich frei habe.
Ich brauche morgen nicht zu arbeiten, weil ich frei habe.
Das Problem ist gelöst, du musst also nicht mehr kommen.
Das Problem ist gelöst, du brauchst also nicht mehr zu kommen.
Niemand hat es dir befohlen, du musst es also nicht tun.
Niemand hat es dir befohlen, du brauchst es also nicht zu tun.
Es liegt deshalb im täglichen Spachgebrauch oft eher an einer stilistischen Entscheidung als an der Bedeutung, dass im konkreten Fall die eine Ausdrucksweise der anderen vorgezogen wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp