Frage
Nach mehrtägigem „Streit“ an meiner Schule und einer Wette um eine Flasche Champagner wende ich mich nun an Sie in der Hoffnung, dass Sie bei folgenden Sätzen weiterhelfen können. Es geht in den Beispielsätzen um die Verbbildung (Singular oder Plural):
Vater und Mutter geht/gehen ins Kino.
Fritz und Hans läuft/laufen Marathon.
Der Turner und die Turnerin übt/üben ihre Kür.
Jeder Schüler und jede Schülerin hat/haben ein Recht auf Unterricht.
Jede Frau und jeder Mann läuft/laufen lange Strecken.
Jeder Onkel und jede Tante hat/haben nette Verwandte.
Diese Beispiele ließen sich beliebig fortsetzen. Mir geht es darum: Gibt es bei solchen Satzbildungen feste Regeln (welche?) oder kann man die Singular- oder Pluralform nach eigenem Ermessen bzw. Empfinden ausdrücken.
Antwort
Sehr geehter Herr M.,
in Ihren Beispielsätzen geht es immer um ein mehrteiliges Subjekt, dessen Teile mit und verbunden sind. Die Grundregel lautet, dass das Verb dann im Plural steht:
Vater und Mutter gehen ins Kino.
Fritz und Hans laufen Marathon.
Der Turner und die Turnerin üben ihre Kür.
Es gibt allerdings Ausnahmen, bei denen von dieser Regel abgewichen wird. Eine Ausnahmeregel lautet, dass das Verb im Singular steht, wenn beide Subjektteile in der Einzahl stehen und kein, jeder oder mancher vor ihnen steht.
Jeder Schüler und jede Schülerin hat Recht auf Unterricht.
Jede Pflanze und jedes Tier ist schützenswert.
Jeder Onkel und jede Tante hat nette Verwandte.
Kein Onkel und keine Tante hat nette Verwandte.
Mancher Onkel und manche Tante hat nette Verwandte.
Ebenso:
Jede und jeder hat Recht auf Unterricht.
Weshalb wird hier der Singular gewählt? Im Gegensatz zu alle, das sich auf sämtliche Individuen einer Gruppe bezieht, gibt jeder an, dass immer jeweils ein einzelnes Individuum aus einer Gruppe gemeint ist. Deshalb steht das Verb in der Einzahl:
Jede Schülerin hat …
= Jedes Individuum aus der Gruppe “Schülerinnen” hat …
Bei jedes A und jedes B fasst das und die beiden Gruppen A und B zusammen. Obwohl jedes zweimal vorkommt, ist der Nachdruck auf einzelnes Individuum aus der Gesamtgruppe A und B so stark, dass das Verb in der Einzahl bleibt:
Jeder Schüler und jede Schülerin hat …
= Jedes Individuum aus der Gesamtgruppe “Schüler und Schülerinnen” hat …
Wenn Sie mich zum Schiedsrichter machen würden, hätten also diejenigen, die auf den Plural in allen Beispielsätzen gewettet haben, die Flasche Champagner – so leid es mir tut – verloren. Mögen die Sieger den Verlierern auch ein Gläschen gönnen!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp