Im letzten Beitrag ging es um eine Wendung mit Ordnungszahlen (zu viert). Dazu kommt mir heute noch etwas nicht so Wichtiges, aber doch nicht ganz Uninteressantes in den Sinn, auf das ich letzthin gestoßen bin: das Wort anderthalb.
Es ist leicht zu verstehen, dass man für 1½ eineinhalb oder einundeinhalb sagt. Daneben gibt es aber auch noch anderthalb. Persönlich finde ich, dass eineinhalb und anderthalb nicht ganz das Gleiche bedeuten. Wenn man eineinhalb Stunden hat warten müssen, dann hat man ziemlich genau 90 Minuten gewartet. Hat man anderthalb Stunden gewartet, betrug die Wartezeit eher eine Stunde und dann noch ungefähr eine halbe. In anderen Worten: Es gibt das mathematisch genaue eins Komma fünf, das etwas lockerer zu nehmende eineinhalb und dann noch anderthalb, das aus der Zeit stammt, in der es noch keine Stoppuhren und Präzisionswaagen gab und man diese wahrscheinlich auch gar nicht vermisste. Wenn ich so darüber nachdenke, wird mir das Wort so richtig sympathisch.
Doch woher kommt es? Hier sind wir dann endlich bei den eingangs erwähnten Ordnungszahlen angelangt: Der Teil ander… ist nichts anderes als das Wort andere, das früher auch die Bedeutung zweite hatte. Im Schwedischen (andra), Norwegischen (annen) und Dänischen (anden) verwendet man auch heute noch das gleiche Wort für andere und zweite. Das Wort bedeutete also eigentlich so etwas wie zweithalb. Und genau so konnte man früher im Deutschen Zahlenangaben machen:
anderthalb (*zweithalb) = eineinhalb
dritthalb = zweieinhalb
vierthalb = dreieinhalb
fünfthalb = viereinhalb
usw.
Man zählte also nicht zwei und ein Halbes zusammen, sondern gab an, dass das Dritte nur zur Hälfte mitgerechnet werden durfte. So kann übrigens auch das t erklärt werden: Weil ander in der Bedeutung zweit nicht mehr so gebräuchlich war, wurde das t in Anologie mit den Ordnungszahlen (viert…, fünft… usw.) eingefügt. So erklärt es zumindest das renommierte historische Wörterbuch der Gebrüder Grimm.
Hat der englische Ausdruck „every other week“ für „jede zweite Woche“ denselben historischen Hintergrund?
Grüsse, Thomas Ernst
Ob der Ausdruck „every other week“ („jede zweite Woche“) die genau gleiche Geschichte hat, kann ich nicht mit hunderprozentiger Gewissheit sagen. Es ist aber sehr wahrscheinlich, denn „ander“ und „other“ gehen auf das gleiche Wort zurück. Weiter hatte im Angelsächsischen „other“ auch die Bedeutung „zweite“ (also: first, other, third). Während unser „ander“ im Sinne von „2.“ durch das eindeutigere „zweite“ ersetzt wurde, übernahm im Englischen das mit den normannischen Eroberern ins Land gelangte, ursprünglich aus dem Lateinischen stammende „second“ diese Funktion. In diesem Sinne sind „anderthalb“ und „every other week“ also miteinenander verwandt. Zur englischen Etymologie (Wortgeschichte):
http://www.etymonline.com/index.php?search=other
Aber was ist jetzt grammatikalisch richtig. Ich schreibe grad Bewerbungen, in denen man die Zahlen ja ausschreibt. Schreib ich jetzt eineinhalb Jahre oder schreib ich anderthalb Jahre. Das Rechtschreibprogramm unterstreicht eineinhalb als falsch. Anderthalb ist laut des Programms richtig. Veraltet? Oder ist anderthalb richtig?
Ich persönlich würd ja eineinhalb schreiben, das Rechtschreibprogramm irritiert mich nur etwas.
Liebe Grüße und Danke schonmal für die Antwort.
Stephanie Imberg
Richtig ist beides. Sie können ohne weiteres „eineinhalb Jahre“ schreiben. Das ist korrekt und gebräuchlich.
Es ist mir nicht klar, weshalb Ihr Rechtschreibprogramm das Wort nicht akzeptiert. Es könnte gut sein, dass es nicht im Wörterbuch des Korrekturprogramms enthalten ist. Ganz allgemein empfiehlt es sich, seinem Rechtschreibprogramm etwas selbstbewusster „entgegenzutreten“. Diese Programme können viel, aber nicht alles. Wenn ein Programm offensichtlich etwas Falsches vorschlägt oder wie hier etwas Richtiges nicht akzeptiert, darf man sich nicht allzu sehr verunsichern lassen. Wenn Sie dem Programm nicht vertrauen, schlagen Sie doch einfach in einem Wörterbuch wie http://www.canoonet.eu nach!
Könnten Sie mir vielleicht erklären, wo Sie einen Unterschied zwischen 1,5 und 1 1/2 sehen? Für Sie mag sich 1,5 ja „mathematisch“ präziser „anfühlen“, aber es ist nun einmal 1,5 = 1 1/2 = 3/2 usw. Wenn wir in Ihrem Beispiel bleiben wollen, so hat man in jedem Fall genau 90 Minuten gewartet, es ist gleichviel, ob man diese Zeitspanne anderthalb Stunden oder 1,5 Stunden nennt. Meinen Sie etwa, dass Dezimalbrüche präziser als echte oder unechte Brüche seien?
Es ist mir natürlich klar, dass 1,5 und 1 1/2 den gleichen Wert repräsentieren. Wenn Sie mich fragen, wie viele Minuten 1,5 Stunden und 1 1/2 Stunden haben, gebe ich Ihnen in beiden Fällen die Antwort neunzig. Ich meine schon gar nicht, dass Dezimalbrüche präziser als echte und unechte Brüche seien.
Ich meinte nur, dass man es in der allgemeinen Sprache, wenn es nicht ums Rechnen und Messen geht, bei „eineinhalb“ und „anderthalb“ nicht immer so genau nimmt. Wenn ich sage, dass ich eineinhalb Stunden gewartet habe, heißt das meist nicht, dass ich genau mit der Stoppuhr gemessene 90 Minuten gewartet habe, sondern dass ich ungefähr 90 Minuten gewartet habe. Dies gilt auch dann, wenn ich das Wort „ungefähr“ nicht verwende. Dass 1,5 vor allem der mathematischen Genauigkeit zuzuordnen ist, zeigt sich darin, dass kaum jemand im normalen Sprachgebrauch sagt, er habe „eins Komma fünf Stunden“ vergebens am Bahnhof gewartet. So genau nehmen wir es im Alltag meisten nicht.
Na ja, damit kann ich wohl leben (damit meine ich Ihre Erläuterung und nicht etwa die Ungenauigkeiten im alltäglichen Sprachgebrauch).
Wow, das hab ich nicht gewusst…interessant. Ich habe (ganz ehrlich, obwohl es sich dumm anhört) immer gedacht, dass anderthalb einfach die Aussprache wiedergibt. In Norddeutschland sprechen wir eineinhalb nämlich so aus, dass es genau wie anderthalb kingt. Ich dachte, das sei einfach irgendwann ins Schriftliche übernommen worden und war mir deshalb auch nicht sicher, ob es grammatikalisch richtig ist.
Hier noch ein später Kommentar von S. (bei Blogeinträgen, die älter sind als zwei Jahre, sind Kommentare eigentlich nicht mehr möglich):
Danke für den interessanten Artikel. Dazu möchte ich noch etwas ergänzen: Bei uns im Schwäbischen gibt es auch noch die Redewendung „äll ander“ = jeder/jede/jedes zweite. Da hat sich die Bedeutung von ander = zweite noch erhalten.
Auch wird bei uns noch vereinzelt „anderhalb“ verwendet, ich habe immer gedacht, da hätte man (aus Bequemlichkeit?) das „t“ wegelassen, aber offensichtlich scheint es ja umgekehrt zu sein.