Der Blaue Wiener und das Kaninchenessen

Vorgestern fühlte ich mich schon fast ein bisschen schuldig. Ein junger, sehr netter und manchmal etwas naiver Kollege erzählte wieder einmal von seinem kleinen Kaninchen. Er hat nämlich seit noch nicht allzu langer Zeit ein Kaninchen. Ich war gerade dabei, die Frage eines Canoonet-Benutzers zu beantworten, und hörte deshalb nur mit einem halben Ohr zu. Ein relativ geringes Interesse an Hauskaninchen mag auch eine Rolle gespielt haben, dass ich nicht gebannt an seinen Lippen hing. Das Kaninchen war krank gewesen, hatte aber dank tierärztlicher Hilfe und liebevoller Pflege die Krankheit gut überstanden.

Ob Mathieu, unser französische Mitarbeiter, Fotos des kleinen Blauen Wieners sehen wolle, war die Frage, die mich dann doch aufhorchen ließ. Ich wusste bereits aus früheren Erzählungen, dass Blauer Wiener der Name einer Kaninchenrasse ist. Was ich nicht erwartet hatte, waren die Fotos. Dass man manchmal Fotos von Kindern anderer Leute bewundern darf, ist bekannt und auch gut verständlich. Wenn sie das Babyalter hinter sich gelassen haben, ist es sogar interessant, die Kleinformatausgaben von Freunden, Bekannten und Kollegen zu sehen. Aber Fotos eines jungen Kaninchens?! Ich verbarg mich also noch etwas besser hinter meinem Bildschirm, bearbeitete gespielt konzentriert die Tastatur und wartete auf die Reaktion. „Aber natürlich“, antwortete Mathieu, „sehr gerne.“ Nach einer gebührenden Betrachtungspause meinte er dann trocken: „So was essen wir bei uns als Sonntagsbraten.“ Die Reaktion unseres Kaninchenvaters war nicht etwa Empörung, sondern ungläubigstes Erstaunen. Konzepte wie das Kaninchenzüchten und das Kaninchenhalten waren ihm natürlich bekannt, aber vom Kaninchenessen hatte er noch nie gehört.

Er schaute sich hilfesuchend um und ich wäre beinahe über der Tastatur erstickt. Ich wollte den armen Jungen ja nicht auslachen. Kann man denn von einem Franzosen eine andere Reaktion erwarten? Französische Tierliebe geht nun einmal wörtlich durch den Magen, denn die französische Küche bringt alles, aber auch alles, was irgendwie für den menschlichen Konsum geeignet sein könnte, auf den Teller. Außerdem hatte ich – auch wenn ich kein Franzose bin – zufälligerweise zwei Tage zuvor mit Weißwein, Schalotten und Salbei geschmortes Kaninchen gegessen. Unser junger Kollege hat sich glücklicherweise schnell wieder beruhigt und die Tatsache zur Kenntnis genommen, dass es offenbar solche herzlosen Barbaren gibt, die so etwas Kleines, Süßes, Niedliches wie ein Kaninchen aufessen.

Das mag vielleicht eine nette kleine Andekdote sein, doch was lernen wir in diesem Blogeintrag? Folgendes:

  • Man schreibt das Adjektiv in Bezeichnungen von Tierfamilien, -gattungen und -rassen groß. Ein Blauer Wiener ist ein Kaninchen, ein blauer Wiener ein frierender oder betrunkener Einwohner der österreichischen Hauptstadt. (Regel)
  • Als Substantiv verwendete erweiterte Infinitive, die aus zwei Teilen bestehen, werden zusammen- und großgeschrieben: das Kaninchenzüchten, das Kaninchenhalten, das Kaninchenessen. (Regel)
  • Dr. Bopp isst Kaninchen.
  • Franzosen essen alles.

Kaninchenzüchter, Kaninchenbesitzer und Franzosen bitte ich, diesen Beitrag nicht allzu ernst zu nehmen.

5 Gedanken zu „Der Blaue Wiener und das Kaninchenessen“

  1. Es ist immer wieder ein großes Vergnügen, z. B. im Zoo auf Tiere (Kängurus, Strauße) zu deuten mit Bemerkungen wie: “In Rotweinsauce eine Delikatesse!”. Die Gesichter der Umstehenden sind unbezahlbar.

    Conejo en salsa gehört zu meinen Karnickelfavoriten.

  2. Ich kann mich nicht bremsen und muss zum Karnickel kurz anmerken: ungläubigst gibt es nicht (genauso wenig wie verschiedenste, eine sich zunehmender Beliebtheit erfreuende, nicht existente Steigerungsform) Ungläubiger als ungläubig geht nicht, oder ;0)

  3. Oh doch, die Form verschiedenste (= sehr viele verschiedene) gibt es ebenso wie unterschiedlichste (= sehr viele unterschiedliche). Diese beiden Formen stehen „sogar“ im Duden. Auch ungläubigste gibt es. Bei ungläubigem Staunen kann man es einfach nicht glauben, bei ungläubigstem Staunen lässt man dabei noch die Kinnlade fallen. Rein logisch gibt es vielleicht ungläubiger als ungläubig nicht, aber rein anatomisch kann man auch die Kinnlade nicht wirklich fallen lassen.

    Doch bevor wir uns hier auf eine in vielen Foren in unzähligen Threads geführte Streitdiskussion über „falsche“ und „unmögliche“ Steigerungsformen einlassen, möchte ich hier auf unseren Standpunkt zu diesem Thema hinweisen: Es gibt Adjektive, die in ihrer wörtlichen Bedeutung keine Steigerungsformen haben, die aber dennoch gesteigert werden können, wenn sie in einem übertragenen Sinn oder bewusst nachdrücklich verwendet werden. Siehe Adjektive ohne Steigerungsformen.

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