Frage
Wir haben derzeit angeregte Diskussionen zum Thema deutsche Grammatik und Dialekte – daher die folgenden Fragen:
Gelten Grammatikfehler im Hochdeutschen, z.B. wegen+Dativ statt wegen+Genitiv, auch als Grammatikfehler im Dialekt, z.B. im Schwäbischen? Oder gelten Dialekte sozusagen als „eigene“ Sprachen und sind dort solche Dinge dann möglicherweise richtig?
Wie steht es also mit dem schwäbischen Konstrukt die, wo oder kleiner wie? Ist und bleibt es falsch oder ist es im Dialekt richtig?
Und eine letzte Frage: unterscheiden sich die einzelnen deutschen Dialekte eigentlich bezüglich der Menge oder des Ausmaßes der Abweichungen zur deutschen Grammatik (z.B. Schwäbisch verglichen mit Sächsisch)?
Antwort
Sehr geehrte Frau D.,
da ich kein Dialektologe bin und der Platz hier beschränkt ist, kann ich leider nur ein paar allgemeine Angaben machen:
Was in der Standardsprache als Fehler gilt, kann im Dialekt richtig sein. Vieles, was im Standarddeutschen als Grammatikfehler angemerkt wird, findet seinen Ursprung in den Dialekten. Ein Dialekt ist aber keine mehr oder weniger unorganisierte, mit „amüsanten“ Ausdrücken garnierte Ansammlung von Grammatik- und Aussprachefehlern, sondern ein eigenes Sprachsystem mit eigenen Regeln.
Jeder Dialekt hat seine eigene Grammatik. So ist es zum Beispiel in den schwäbischen Dialekten eigentlich falsch, wegen des schönen Wetters zu sagen. Im Schwäbischen (und vielen anderen südlichen Dialekten) steht wegen mit dem Dativ. Ein anderes Beispiel: In den Deutschschweizer Dialekten ist es nicht nur falsch, sondern unmöglich das Haus meines Onkels zu sagen. Dort ist nur (in Übersetzung) das Haus von meinem Onkel oder meinem Onkel sein Haus richtig. Auch in anderen Dialekten ist ein solcher Genitiv im Prinzip falsch und führt in einem Gespräch zwischen Dialektsprechenden zu gehobenen Augenbrauen und unterdrücktem „Wie redet den der/die?“
Ob die Formulierungen die, wo im Schwäbischen korrekt ist, weiß ich leider nicht. Es könnte aber gut sein, dass die Grammatik der schwäbischen Dialekte eine solche Formulierung zulässt oder sogar verlangt.
Was in der deutschen Standardsprache als richtig und falsch gilt, entscheidet nicht eine einzelne Instanz, auch nicht der Duden. Entscheidend sind der allgemeine Gebrauch, eine Übereinstimmung der Sprachbenutzer und die als Standardwerke akzeptierten Beschreibungen verschiedener Spezialisten. Diese Regeln sind aber nicht immer unumstritten! Dass die, wo im Standarddeutschen als falsch gilt, liegt daran, dass Grammatiken, Schulbücher, „gelehrte Häupter“ und tonangebende Schriftsteller sich an diese Regel halten und dass die meisten Leute diese Formulierung aus diesem Grund nicht verwenden, wenn sie Hochdeutsch sprechen und schreiben.
Man sollte also eigentlich nicht von richtig und falsch, sondern von üblich und unüblich oder gebräuchlich und nicht gebräuchlich sprechen. Und somit sind wir wieder zurück bei den Dialekten: Jeder Dialekt hat, wie bereits gesagt, seine eigenen Grammatik. Diese Grammatik muss nicht durch einen Duden und Schulbücher festgelegt sein. Ob etwas „richtig“ oder „falsch“ ist, sieht man daran, ob es in einem Dialekt üblich oder unüblich ist, ob die Dialektsprechenden es als Dialekt erfahren oder nicht.
Der Unterschied zwischen Standardsprache und Dialekt ist nicht bei allen Dialekten gleich groß. Die wenigsten Abweichungen vom Standarddeutschen sollen in den Thüringisch-Obersächsischen Dialekten, der Anhaltischen Mundart und den Ostfränkischen Dialekten zu finden sein. Dagegen unterscheiden sich zum Beispiel die alemannischen und bayrischen Dialekte stärker vom Standarddeutschen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
PS: Mehr Informationen zu den deutschen Dialekten und weiterführende Links finden Sie hier.