Was hat der Herbst, was der Lenz nicht hat?

Zurzeit befinden wir uns in einem saisonalen Niemandsland oder, besser gesagt, einem jahreszeitlich doppelt besetzten Zeitraum. Das klingt ungewöhnlich, fast schon ein bisschen beunruhigend. Keine Angst, es hat nichts mit Klimawandel oder ähnlich Besorgniserregendem zu tun! Solche Perioden kommen jedes Jahr viermal vor. Das liegt schlicht und einfach am Unterschied zwischen den meteorologischen Jahreszeiten und den astronomischen Jahreszeiten. Die meteorologischen Jahreszeiten beginnen immer am ersten des Monats. Das scheint unter anderem die statistische Rechnerei zu vereinfachen. Die astronomischen Jahreszeiten hingegen richten sich nach den Sonnenhöchst- und -tiefstständen. Meteorologisch gesehen befinden wir uns deshalb schon seit dem 1. September im Herbst, während astronomisch gesehen der Sommer erst am 23. September endet. Solche „Doppelbesetzungen“ gibt es auch zwischen dem 1. und dem 21. Dezember, dem 1. und dem 21. März sowie dem 1. und dem 21. Juni.

Dies zeigt wieder einmal, das selbst Begriffe, die eigentlich ganz eindeutig sind, doch nicht immer ganz so eindeutig definiert sind. Und trotzdem gibt es selten Verständigungsschwierigkeiten, wenn es um Frühling, Sommer, Herbst und Winter geht.

Das Wort Herbst geht weit zurück. Es hat über ein paar Ecken auch mit dem lateinischen Wort für pflücken carpere und mit griechischen Wort für Frucht κα?πος zu tun und bedeutete ursprünglich Zeit der Ernte. Diese Bedeutung findet sich noch im englischen Wort für Ernte: harvest. Sein „Gegenspieler“, Lenz, ist ein ebenso altes Wort. Es ist mit lang verwandt und bezeichnete ursprünglich so etwas wie das Längerwerden der Tage.

Wofür ich keine Erklärung finden konnte, ist Folgendes: Herbst gehört auch heute noch zum allgemeinen Wortschatz. Lenz hingegen erscheint nur noch in Ausdrücken wie „zwanzig Lenze zählen“ (zwanzig Jahre alt sein) und „sich einen faulen Lenz machen“ (sehr wenig arbeiten) oder in wahren Perlen von Schlagertexten wie  „Veronika, der Lenz ist da. Die Mädchen singen tralala …“ Weshalb sagen wir heute Frühling oder Frühjahr statt Lenz, aber nur selten Spätjahr und nie Spätling anstelle von Herbst? Was hat der Herbst, was der Lenz nicht hat? Die Antwort auf diese Frage muss ich Ihnen und mir leider schuldig bleiben.