Eines Abends, eines Nachts

Heute geht es wieder einmal im eine Frage, bei der ich mich wundere, dass ich sie mir nie selbst gestellt habe.

Frage

Warum sagt man eines Nachts, obwohl das Nomen Nacht weiblich ist?

Antwort

Sehr geehrte Frau M.,

es ist tatsächlich erstaunlich, dass ein weibliches Wort wie Nacht plötzlich wie ein männliches oder sächliches Wort daherkommt. Weibliche Nomen haben (außer als Eingennamen) kein s im Genitiv. In einigen festen Wendungen stehen weibliche Wörter trotzdem mit einem Genitiv-s und manchmal sogar mit einem männlich/sächlichen Artikelwort. Eher veraltet:

von Obrigkeits wegen
an Zahlungs statt

Noch springlebendig, aber etwas gehoben:

eines Nachts

Diese eigentlich sehr sonderbaren Formen wurden schon vor langer Zeit in Analogie mit männlichen und sächlichen Wörtern gebildet, die in vergleichbaren festen Wendungen vorkommen:

von Amts wegen, von Staats wegen
an Kindes statt, an Eides statt
eines Tages, eines Morgens, eines Abends

Nach und nach haben sich diese weiblichen s-Genitive so sehr eingebürgert, dass sie uns heute gar nicht mehr sonderbar vorkommen. Sie sind auch standardsprachlich richtig, obwohl sie ihre Laufbahn streng genommen als „falsche Analogie“ angefangen haben.

Wortformen wie Zahlungs, Obrigkeits und Nachts kommen nur in diesen festen adverbialen Wendungen vor. Das erwähne ich hier auch zur Beruhigung von Deutschlernenden, die nach viel Arbeit und Mühe die Endungen der deutschen Nomendeklination endlich im Griff haben und dann plötzlich weiblichen Substantiven wie Nacht mit einem Genitiv-s begegnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

NS: Auch das Adverb nachts (z. B. um drei Uhr nachts) ist ursprünglich eine Analogiebildung zu tags.

4 Gedanken zu „Eines Abends, eines Nachts“

  1. Und wie ist es mit solchen Phänomene wie “Zeitung-s-leser” oder “Liebe-s-brief”? Da ist doch auch ein s zuviel. Bei Maskulina wie “Stammes-Sprache” ist es einleuchtend (“die Sprache des Stammes”), ebenso bei Neutra (“Gerichts-Wesen” = “das Wesen des Gerichts”). Nicht aber bei Feminina (“der Leser der Zeitung-s”? “der Brief der Liebe-s”?)
    Deutsch ist und bleibt seltsam.

  2. Man hört und liest recht häufig an Zahlung statt; so häufig, dass ich es nicht wage, diese Wendung als “falsch” zu bezeichnen. Die eigentlich übliche und gebräuchliche Wendung ist aber an Zahlungs statt mit s (so auch an Erfüllungs statt).

  3. Beim Fugenelement s ist etwas Ähnliches passiert. In Analogie mit anderen Wörtern wurde es auch auf weibliche Wörter übertragen. Ganz so einfach ist leider doch wieder nicht. Die Fugenelemente gehen zwar auf Flexionsendungen zurück, aber nur zum Teil. Sie haben ihren Ursprung auch in den sogenannten Stammbildungselementen, die im Althochdeutschen bei der Wortbeugung eine Rolle spielten.

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