Frage
In einer älteren Duden-Ausgabe las ich einmal von einem „distributiven Singular“, der inhaltlich auch schon von Ihnen thematisiert wurde. Mich beschäftigen folgende Zweifelsfälle:
Die Menschen, die ein Haus besitzen …
Ohne Kontext ist der Satz scheinbar uneindeutig. Besitzen mehrere Menschen gemeinsam ein Haus oder besitzt jeder Mensch ein eigenes?
Die Menschen, die Häuser besitzen …
Besitzt jeder Mensch jeweils ein Haus oder besitzt jeder Mensch gleich mehrere Häuser?
Der Popstar besitzt ein Haus / Häuser in Italien, Deutschland und Frankreich.
Verteilt der Singular „ein Haus“ eine Immobilie auf jedes Land oder muss dazu doch der Plural gesetzt werden. Oder würde der Plural „Häuser“ mehrere Immobilien in jedes Land verorten?
Antwort
Sehr geehrter Herr P.,
die Antwort auch diese Frage ist eigentlich ganz einfach: Es gibt keine feste Regel, ob man in diesen Fällen die Einzahl oder die Mehrzahl verwenden muss. Ein paar zusätzliche Worte sind trotzdem angebracht:
Die Menschen, die ein Haus besitzen, …
Hier können mehrere Menschen zusammen ein Haus besitzen oder es kann um ein Haus pro Person gehen. Nur der Zusammenhang oder eine klärende Erläuterung können angeben, was genau gemeint ist.
Die Menschen, die Häuser besitzen, …
Hier kann es um mehrere Häuser pro Person gehen, aber auch um ein Haus pro Person, mehrere Personen pro Haus oder mehrere Personen mit mehreren Häusern. Nur der Kontext oder eine klärende Erläuterung können angeben, was genau gemeint ist. Meistens ist das nicht nötig, denn gemeint sind oft einfach Hausbesitzer, ganz gleich ob sie ein oder mehrere Häuser besitzen und ob sie dies als Einzelperson oder gemeinsam mit anderen tun. So flexibel ist die Sprache.
Das kann, wenn man es sich recht überlegt, sehr praktisch sein. Wenn diese flexible Art etwas auszudrücken nicht erlaubt wäre und man die gleiche allgemeine Aussage machen müsste, ergäbe das eine ziemlich lange, nicht zufällig an Juristendeutsch erinnernde Formulierung:
Die Einzelpersonen oder Personengruppen, die individuell oder zusammen ein oder mehrere Häuser besitzen, …
Nun zu den Häusern des Popstars:
Der Popstar besitzt ein Haus in Italien, Deutschland und Frankreich.
Endlich ein Satz, der eindeutig ist! Es kann sich nur um drei Häuser handeln. Ein entsprechendes Dreiländereck, auf dem ein Haus stehen könnte, gibt es ja nicht. (Die Schweiz liegt „im Weg“.) Die Formulierung ist korrekt, mutet aber trotzdem irgendwie unnatürlich an. Man würde eher sagen je ein Haus in … oder ein Haus in Italien, eines in Deutschland und eines in Frankreich.
Der Popstar besitzt Häuser in Italien, Deutschland und Frankreich.
Und schon wieder ist es vorbei mit der Eindeutigkeit. Hier kann es um je ein Haus pro Land oder aber um mehrere Häuser pro Land gehen. Nur der Zusammenhang oder eine klärende Erläuterung können angeben, was genau gemeint ist.
Gerade dieser letzte Satz zeigt, dass es sehr oft gar nicht darum geht, mathematisch genaue Angaben zu machen. Ganz im Gegenteil! In einem Prominentenblatt ist vor allem wichtig, dass der Popstar mehrere [!] Häuser hat, und zwar in mehreren [!!] Ländern. Wie viele Häuser genau wo stehen, ist eher nebensächlich (insbesondere wenn es dann doch „nur“ drei sind). Wenn es wichtig ist, zählt man sie einfach auf: zwei Häuser in Italien, drei in Deutschland und eines in Frankreich.
Die Verteilung von Objekten innerhalb eines Satzes ist meistens nicht mathematisch präzise und eindeutig festgelegt. Dem verdankt die Sprache ihre große Flexibilität. Was genau gemeint ist, lässt sich meistens aus dem Kontext ermitteln. Oft ist es auch gar nicht nötig oder gewünscht, alles präzise auszudrücken. Und wenn es doch sein muss, muss man eben umformulieren oder erläutern. So viel ungeregelte Mehrdeutigkeit scheint verwirrend zu sein, das ist es aber nicht. Wir gehen täglich damit um und es funktioniert im Normalfall ausgezeichnet.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Mir ist beim Lesen Ihrer Antwort gerade etwas Lustiges eingefallen:
“Ein entsprechendes Dreiländereck, auf dem ein Haus stehen könnte, gibt es ja nicht.” (Italien – Deutschland – Frankreich)
Dazu hatte kürzlich der libysche Staatschef Gaddafi einen konstruktiven Vorschlag. Wäre dieser verwirklicht worden, gäbe es jetzt ein Dreiländereck Italien-Deutschland-Frankreich. Denn er wollte ja die Schweiz an die Nachbarländer aufteilen. *grins*.
Viele Grüße
Rappelkopf