Kiefer

Vergangene Woche war ich beim Kieferchirurgen. Mein Zahnarzt meinte, dass das unerlässlich sei, denn sonst hätte ich bestimmt von einem Besuch bei einem Vertreter oder einer Vertreterin dieses Berufsstandes abgesehen. Es  ging um die Behandlung einer Entzündung und die dadurch bedingte Extraktion (klingt besser als Ziehen, läuft aber exakt aus dasselbe hinaus) eines Backenzahns im rechten Unterkiefer. Das Resultat des halbstündigen Besuches ist, dass ich zurzeit nicht nur Linkshänder, sondern auch Linkskauer bin.

An Zahnarztphobie Leidende müssen diesen Beitrag nicht unbedingt sofort wegklicken. Weitere Einzelheiten werden nicht erwähnt. Es geht hier eigentlich um das Wort Kiefer. Es war mir nie besonders aufgefallen, außer als Beispiel für gleich klingende Wörter, die nichts miteinander zu tun haben: der Kiefer und die Kiefer. Um es gleich vorwegzunehmen: Die beiden Wörter haben abgesehen von der Form wirklich nichts miteinander zu tun. Die Wortgeschichte der beiden Kiefer ist zum Teil ungeklärt und zum Teil zu komplex, als dass ich sie wirklich verstehen würde. Auch hier erspare ich uns deshalb die Details.

Die Kiefer verdankt ihren Namen wahrscheinlich einer undurchsichtig gewordenen Zusammenziehung von Kien und Föhre: kienforha → Kiefer. Kiefernholz war (und ist es bestimmt immer noch) für die Herstellung von Kienspänen und Fackeln geeignet, weil es sehr harzreich ist. Kien ist ein altes Wort für Kienspan, Fackel. Föhre diente schon in althochdeutscher Zeit als Baumname (forha) und wird auch heute noch vor allem im südlichen deutschen Sprachraum für Kiefer verwendet.

Beim anderen Kiefer ist die Herkunft dunkler: Das männliche Wort Kiefer wird in unterschiedlicher Weise auf Wörter im Bedeutungsbereich Mund, Rachen, kauen, essen zurückgeführt. Es soll mit Wörtern wie kauen, Kieme und Käfer[!] verwandt sein. Mit Käfer wurden zuerst vor allem fresssüchtige schädliche Insekten wie die Heuschrecken bezeichnet. Erst später wurde es allgemeiner im heutigen Sinne verwendet.

Das Wort der Kiefer hat also schon lange etwas mit Essen und Kauen zu tun. Das erstaunt mich zurzeit gar nicht. Erst wenn man beim Kauen aufpassen muss, merkt man so richtig, dass dies die Hauptfunktion eines Kiefers ist. Nur bei Schauspielern, deren markanter Unterkiefer ihnen ein besonders männliches Aussehen verleiht, hat der Kiefer eine weitere Funktion: Er verhilft zu Machoheldenrollen und zu Auftritten in Werbespots für Rasierprodukte. Die Brötchen, die diese „Breitkinnigen“ damit verdienen, müssen dann allerdings auch wieder gekaut werden.

Zu guter Letzt noch ein Stoßseufzer, den man mir bitte verzeihen möge: Linkshänder will ich gerne bleiben – ich bin es schon mein Leben lang –, aber ich habe jetzt schon genug davon, Linkskauer zu sein! Es wird hoffentlich nicht allzu lange dauern.