Heute wieder einmal etwas dazu, warum es gar nicht so einfach ist, ein neugebildetes Wort zu verwenden.
Frage
Letztens stieß ich in einem wissenschaftlichen Text auf das Wort „konstellieren“ (abgeleitet von „Konstellation“). Ich fand’s sehr hübsch, traue mich aber nicht, es selbst zu verwenden, weil ich nicht weiß, ob es das Wort wirklich gibt. Eine Google-Stichprobe ergab, dass es kaum vorkommt. In den Wörterbüchern taucht es gar nicht auf. Ist es Ihnen bekannt?
Antwort
Sehr geehrter Herr H.,
das Verb konstellieren ist mir nicht bekannt. Auch in den mir zur Verfügung stehenden Wörterbüchern und -listen kommt es nicht vor. Ist es deshalb ein falsches oder unmögliches Wort?
Seine Form passt gut in ein häufig vorkommendes Muster: Zu vielen auf –ieren endenden Verben gibt es ein Substantiv auf –ation:
isolieren – Isolation
konzentrieren – Konzentration
partizipieren – Partizipation
restaurieren – Restauration
u. v. a. m.
Dazu passt mühelos auch dieses Wortpaar:
konstellieren – Konstellation
Die Form ist also kein Problem. Das ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb das Wort bei flüchtigerem Lesen unbemerkt „durchrutscht“. Bei genauerem Lesen stellt sich dann allerdings die Frage der Bedeutung. Doch wie oft kommt es nicht vor, dass man in wissenschaftliche oder wissenschaftlich daherkommenden Texten einem Wort begegnet, dessen Bedeutung man nicht oder nur vage kennt. „Es wird wohl etwa mit zusammenstellen zu tun haben“, war mein erster Gedanke. Erst wenn man es genauer wissen will, stockt man beim Verb konstellieren.
Fangen wir einmal beim in den Wörterbüchern verzeichneten Substantiv Konstellation an: Es geht auf das lateinische constellatio mit der Bedeutung Stellung der Sterne (untereinander) zurück. Diese Bedeutung hat es auch heute noch. Es wird auch im übertragenen Sinne verwendet und bezeichnet dann das Zusammentreffen bestimmter Umstände und die sich daraus ergebende Situation: eine neue politische Konstellation, eine ungünstige Konstellation der Umweltfaktoren.
Im Französischen und Italienischen gibt es ein dazu passendes Verb: consteller bzw. costellare. Beide bedeuten mit Sternen übersäen und figürlich mit etwas besetzten/bestreuen. Ich weiß nun nicht, ob Ihnen bei der deutschen Neuschöpfung eine ähnliche Bedeutung vorschwebt oder ob Sie mit diesem Verb etwas anderes ausdrücken möchten. Vielleicht ist damit zu einer bestimmten Konstellation führen, eine bestimmte Konstellation entstehen lassen gemeint. Es könnte auch sein, dass ganz einfach meine erste Intuition richtig war: Sie möchten konstellieren als eine Art gelehrter klingende Variante von zusammenstellen benutzen.
Damit sind wir beim eigentliche Problem der Verwendung von Neubildungen wie konstellieren angelangt: Das Wort ist weder prinzipiell falsch noch unmöglich, Sie können aber nicht sicher sein, dass man versteht, was Sie genau damit meinen. Ihr Zögern ist also gerechtfertigt. Wenn Ihnen das Wort so gut gefällt, dass Sie es einfach nicht lassen können, es zu verwenden, sollten Sie es kurz erklären oder dafür sorgen, dass aus dem Kontext deutlich hervorgeht, was gemeint ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Für mich würde das Wort ohne langes Nachdenken ganz klar “in die im jeweiligen Rahmen gewünschte Konstellation bringen” bedeutet. Ich habe das Wort zuvor auch noch nie gehört.
Ich schließe mich meinem Vorschreiber an.
Aber (Da isses!), nachdem ich den Text, und nicht nur die Überschrift, des Artikels las, fing das Nachdenken an. Con-stellar-tio ist nun eben das Miteinander (con) der Sterne (stellar), also auch schon in der Bedeutung der auf Nicht-Sterne übertragenen Formation sinnbildlich zu verstehen. So wäre im Analogschluss con-stellare das “Mitsternen” von etwas. Also irgendwo eher in der Nähe Mozarts(?)s “ab aspera ad astram” anzusiedeln als irgendwo in der Nähe einer politischen Formation.
Wohl ein weiteres Beispiel für findige Wortklauber, die außer Acht lassen, dass der Sprachgebrauch sich wandelt und die Sterne in noch weitere Ferne gerückt sind.
Im Blogeintrag steht, dass konstellieren verschiedene Bedeutungen haben könnte:
– eine an die Sterne verbundene, wie in den romanischen Sprachen (aus denen es vielleicht sogar entlehnt sein könnte);
– eine an die übetragene Verwendung von Konstellation verbundene, die für Michael und Kopfschüttler “ohne langes Nachzudenken” die richtige ist;
– eine ganz einfache, die von einem Bedeutungselement von Konstellation und der Form zusammenstellen inspiriert ist.
Drei verschiedene Interpretationen, die deshalb möglich sind, weil die Wortbildung und der Sprachwandel sich verschiedenster Mittel bedienen. Nirgendwo wird im Übrigen gesagt, dass eine dieser Interpretationen richtig oder falsch sei. Man sollte nur darauf achten, dass die Bedeutung solcher “gebildeten” Neuschöpfungen durch eine kurze Erklärung oder den Kontext verdeutlicht wird. Wie gut ist es nun zu wissen, dass dies gar nicht notwendig ist! Wir fragen einfach Kopfschüttler. Seine Intuition reicht auch ohne Erklärung und Kontext aus, den Sinn eines neuen Wortes “ohne langes Nachdenken” zu erfassen. Alles andere ist Wortklauberei.
Aber es macht keinen Sinn, dieses Wort zu verwenden:
Stellung der Sterne: “… dieses Ereignis führte dazu, dass die Sterne so konstelliert wurden, dass…”
eine neue politische Konstellation: “…mit seinem Einzug ins Parlament konstellierte er die Parteinlandschaft so, dass…”
Genauso wenig könnte man
fiktionieren – Fiktion
traktionieren – Traktion
sinnvoll verwenden.
Mit etwas Fantasie kann man sich schon ein zu Konstellation gehörendes Verb konstellieren vorstellen:
Solche Sätze sind nicht unmöglich oder unverständlich, sie sind nur ungebräuchlich. Da es sich um eine Neuschöpfung handelt, die nicht alle kennen, sollte man vorsichtig sein, wenn man sie verwendet.
Es stimmt, dass fiktionieren und traktionieren komisch klingen. Das würde aber auch für das in gleicher Weise gebildete konstellationieren gelten. Das zu Fiktion gehörende Verb ist fingieren (oder fiktionalisieren) und ein zu Traktion gehörendes Verb müsste eher trahieren lauten (vgl. extrahieren – Extraktion, kontrahieren – Kontraktion). Aber auch die von Ihnen vorgeschlagene Bildungsweise kommt vor: (ponieren) – Position – positionieren. Sie sehen, in Sachen Wortschöpfung ist vieles möglich.
Dem Duden zufolge gab es das Wort “ponieren” in der Bedeutung “bewirten”/”spendieren” oder “als gegeben annehmen”, wohl aber nicht in der Bedeutung “positionieren”.
In CanooNet ist das Wort auch zu sehen: http://www.canoonet.eu/ponieren&features=%28Cat+V%29
Das Verb ponieren ist tatsächlich ziemlich veraltet. Es hat vielleicht dazu beigetragen, dass das Wort positionieren entstanden ist. Da es eine andere Bedeutung hat, konnte für in (eine) Position bringen nicht auf ponieren zurückgegriffen werden (vgl. disponieren – Disposition, komponieren – Komposition, opponieren – Opposition). Gerade dieses Beispiel (ponieren – positionieren) zeigt, dass man bei Wortbildungen die genaue Bedeutung nicht immer an der Form erkennen kann.
vgl. Psychologie. Jack Rosenberg:
Konstellierungsverhalten: sein Leben um eine Sache anordnen, etwas frei übersetzt: Wie die Motte um das Licht irren….
Ein gutes Beispiel dafür, dass man ein Wort wie konstellieren und Konstellation am besten kurz erklärt, wenn man es verwendet.