Frage
In „Allerhand Sprachdummheiten“ bin ich über die Pluralbildung gestolpert:
„Bei einer Anzahl von Hauptwörtern wird der Plural jetzt oft mit dem Umlaut gebildet, wo dieser keine Berechtigung hat … Ärme, Böte, Bröte, Röhre, Täge, Böden, Bögen.“
Bei „Ärme“ und „Bröte“ hab ich ja noch geschmunzelt, aber bei „Böden“ und „Bögen“ fühle ich mich ertappt und Google liefert jede Menge Belegstelle für z. B. „Bögen“, „Sportbögen“, „Pfeile und Bögen“ etc. Gibt es eine heute gültige Regel, die das teilweise erlaubt, oder ist das nach wie vor schlicht falsch?
Antwort
Sehr geehrter Herr B.,
in den über hundert Jahren, seit „Allerhand Sprachdummheiten“ von Gustav Wustmann (1844 – 1910) erschienen ist*, hat sich in der deutschen Sprache einiges getan; auch in diesem Bereich: Während die umgelauteten Mehrzahlformen Ärme, Böte, Bröte, Röhre und Täge standardsprachlich immer noch als falsch gelten, ist die Bögen heute als die „im Süden“ gebräuchliche Variante zu die Bogen akzeptiert. Die Form die Böden hat den nicht umgelauteten Plural die Boden standardsprachlich sogar ganz verdrängt:
der Bogen – die Bogen, auch: die Bögen
der Boden – die Böden
Eine feste Regel gibt es hier nicht. Entscheidend ist der Gebrauch in der sogenannten Standardsprache. Als Standardsprache gilt – einfach gesagt – die Sprache in der Form, in der sie allgemein akzeptiert im offiziellen und im formelleren Umgang verwendet und auch an Schulen gelehrt wird. Das ist eine recht ungenaue Definition. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass häufiger eine gewisse Uneinigkeit oder Unsicherheit herrscht, welche Formen als standardsprachlich korrekt gelten. So geben einige Wörterbücher bei Kragen auch heute noch nur den Plural die Kragen an (z. B. Wahrig), während andere auch die Krägen als im südlichen deutschen Sprachraum verwendeten Pluralvariante erwähnen (z. B. Duden).
Wenn Sie wissen möchten, was heute als richtiges Deutsch gilt, können Sie also besser in Wörterbüchern und Grammatiken nachschlagen, die etwas jüngeren Datums als „Allerhand Sprachdummheiten“* sind. (Boden, Bogen). Es ist allerdings immer interessant, ältere Beschreibungen der deutschen Sprache zu lesen. Sie zeigen unter anderem, wie zeitgebunden die Etiketten „richtig“ und „falsch“ sein können.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
* Gustav Wustmann: Allerhand Sprachdummheiten. Kleine deutsche Grammatik des Zweifelhaften, des Falschen und des Häßlichen. Ein Hilfsbuch für alle, die sich öffentlich der deutschen Sprache bedienen. Grunow, Leipzig 1891;
2. erw. Aufl. 1896; 3. erw. Aufl. 1903; 4. erw.. 1908;
Nachdruck der 3. Aufl 2008.