Frage
Wie verhält es sich mit Sätzen wie:
Ich bin nachhause gefahren und jetzt sehr müde.
Ich bin (metaphorisch) gestorben und jetzt im Paradies.
Muss „bin“ wiederholt werden, weil es bei der ersten Aussage als Hilfsverb fungiert (von „gefahren“ bzw. „gestorben“), aber bei der zweiten als Kopulaverb resp. als Vollverb?
Ich bin nachhause gefahren und bin jetzt sehr müde.
Ich bin (metaphorisch) gestorben und bin jetzt im Paradies.
Antwort
Sehr geehrter Herr S.,
in den meisten Grammatiken steht – wenn überhaupt etwas zu diesem Thema –, dass man wiederholte gebeugte Verbformen nicht weglassen kann, wenn sie unterschiedliche Funktionen haben (Vollverb, Hilfsverb, Kopulaverb, Modalverb, Teil einer festen Wendung; für Genaueres siehe hier). Zum Beispiel:
Nicht: Sie hat ein Auto und uns schon oft damit nach Hause gebracht.
Nicht: Die Stimmung drohte umzuschlagen und die Präsidentin mit dem Rücktritt.
Nicht: Er nahm auf niemanden Rücksicht und den ganzen Kuchen für sich allein.
Nicht: Er lebt in München und auf großem Fuß.
Man muss hier die kursiv geschriebene Verbform wiederholen oder den Satz umformulieren.
Dies ist eine Regel, die es sich zu merken lohnt, vor allem wenn man gerne (zu) kurz und bündig formuliert.
So weit, so gut. Nun kommen wir zu Ihren Beispielen. Nach der genannten Regel sind auch Ihre Sätze nicht korrekt, denn bin hat tatsächlich jeweils eine andere Funktion (Hilfsverb/Kopulaverb resp. Hilfsverb/Vollverb):
Ich bin nachhause gefahren und jetzt sehr müde.
Ich bin gestorben und jetzt im Paradies.
Die Beispiele zeigen aber, dass die Regel in dieser Form keine eiserne Regel ist. Ihre Sätze kommen mir nämlich (wie Ihnen?) recht akzeptabel vor. Je nachdem, wie groß der Unterschied zwischen Funktion oder Bedeutung ist, scheint ein Verstoß gegen die Grundregel zumindest bei haben und sein mehr oder weniger „schlimm“ zu sein:
sicher nicht: Ich habe einen Hund und ihn sehr gern.
nicht?: Ich habe gegessen und jetzt keinen Hunger mehr.
sicher nicht: Ich bin aus Hamburg angereist und ein Staubsaugervertreter.
nicht?: Ich bin aus Hamburg angereist und jetzt sehr müde.
Die mit nicht? markierten Sätze halte ich spontan für richtig. Wenn ich sie als falsch bezeichnen würde, dann vor allem, weil mir die oben genannte Grundregel bekannt ist, und nicht etwa, weil mir mein Sprachgefühl dies eingeben würde.
Es scheint also in diesem Bereich zumindest für haben und sein keine haarscharfe Grenze zwischen korrekten und falschen Formulierungen zu geben. Liebhabern und Liebhaberinnen strenger Regeln kann ich an dieser Stelle leider nicht weiterhelfen: Ich kenne keine genaueren Untersuchungen in diesem Bereich – und mir fehlt leider die Zeit dazu.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Wo ich gleich dran denken musste: “Ich heiße Heinz Erhardt und Sie herzlich willkommen.”
😉
Ich halte diese „Regel“ für sehr zweifelhaft. Das Stilmittel des Zeugma basiert ja gerade darauf, dass diese Doppelverwendung und Spreizung sehr wohl möglich ist.
Fachbegriffe bringen oft die Schwierigkeit mit sich, dass sie nicht eindeutig definiert sind. So auch Zeugma.
Im traditionellen Sinne wird damit die Verbindung zweier Sätze bezeichnet, bei der ein Teil des Satzes – meistens das Prädikat – nur einmal gesetzt wird. Dagegen ist im Prinzip nichts einzuwenden.
Im heutigen Sprachgebrauch verwendet man Zeugma aber häufiger für eine Satzverbindung mit einer Weglassung, durch die eine syntaktisch oder semantisch ungleiche Beziehung zweier Satzglieder auf das Prädikat entsteht. Auch diese Art des Zeugmas kann man rhetorisch einsetzen – aber nur zu komischen Zwecken, wie das Zitat von Heinz Erhardt im vorhergehenden Kommentar gut zeigt. Im normalen Sprachgebrauch sollte diese Art des Zeugmas im Prinzip vermieden werden.
Ich weiß nun nicht, welche Art des Zeugmas Sie genau meinen. Ich behandle im Blogeintrag die zweite Art.
Ah, hab gerade festgestellt, dass der Begriff, den ich meinte, genauer Syllepsis heißt.
„Im normalen Sprachgebrauch sollte […] vermieden werden“ verstehe ich allerdings gar nicht. Was heißt schon „normaler Sprachgebrauch“? Warum keine Syllepsis verwenden? Mit dem gleichen Argument könnte man sagen, im „normalen Sprachgebrauch“ sollte man keine Hyperbole, kein Asyndeton, keinen Litotes verwenden.
Unter dem Begriff Syllepsis oder Syllepse versteht man in der Regel die Einsparung einer Wortform, die sich auf in Person oder Numerus verschiedene Satzteile bezieht. Zum Beispiel:
Die Syllepse ist in vielen Fällen möglich.
Im normalen Sprachgebrauch sind die Hyperbel (Übertreibung: todmüde, wie Sand am Meer) und die Litotes (Verneinung des Gegenteils; nicht uninteressant für ziemlich interessant, nicht ohne Charme für mit einem gewissen Charme) übliche Ausdrucksformen. Das Asyndeton (Aufzählung ohne Konjunktion; Ich kam, ich sah, ich siegte) ist weniger üblich, gilt aber nicht als falsch oder als zu vermeiden.
Die Art der Weglassung, die ich meine, ist das Weglassen von Verbformen mit unterschiedlicher Funktion. Diese Art der Verbeinsparung gilt im Normalfall als falsch, nicht als ungwöhnlich. Oder wie würden Sie die folgenden Sätze beurteilen?
Wenn solche Sätze verwendet werden, geschieht dies in der Regel mit einer humoristischen Absicht. Der humoristische Wirkung ergibt sich dabei gerade daraus, dass eine “Regel” bewusst nicht eingehalten wird.