Wenn eine Frage schnell zu beantworten ist, soll wenigstens der Titel eindrücklich klingen – und die Einleitung etwas länger sein:
Vielleicht kennen Sie die folgende Situation auch: Eine Schülerin, ein Schüler oder eine fremdsprachige Person, die sich vorgenommen hat, die Tücken der deutschen Sprache zu meistern, stellt Ihnen die Frage: „Heißt es so oder so?“ Mit etwas Glück handelt es sich nicht um einen dieser leidigen Zweifelsfälle und ist die Frage ganz einfach mit „Es heißt so“ beantwortet. Sie lehnen sich also gemächlich zurück, zufrieden, die gute Tat für den heutigen Tag vollbracht zu haben. Und dann kommt sie, die zweite Frage: „Warum heißt es so, wie lautet die Regel?“ Man kann diese Frage niemandem wirklich übel nehmen, denn Regelkenntnis kann beim Erlernen einer Sprache hilfreich sein. Trotzdem wäre es Ihnen viel lieber gewesen, wenn die Frage nicht gestellt worden wäre. Der Grund: Sie haben keine blasse Ahnung, warum es so heißt.
In dieser Situation war Frau E. und in diese Situation hat sie mich mit der hierher weitergeleiteten Frage gebracht. Ich wende mich in solchen Fällen natürlich vertrauensvoll an die Canoonet-Grammatik. Auch diesmal bin ich fündig geworden!
Frage
Bitte helfen Sie mir bei folgendem Satz:
Das Thema der Grafik sind die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen.
Ich bin ziemlich sicher, dass das Verb hier völlig korrekt im Plural steht. Aber warum? Eigentlich müsste es doch heißen „Das Thema ist …“, aber eben, die Emissionen sind ja Plural. Können Sie mir eine Regel nennen, die ich dazu im Unterricht gegebenenfalls zitieren könnte?
Antwort
Sehr geehrte Frau E.,
es handelt sich hier um einen Satz mit einem sogenannten Gleichsetzungsnominativ. Bei dieser Konstruktion werden zwei Nominative über Verben wie sein, bleiben und werden miteinander verbunden
A ist/bleibt/wird B.
Wenn die beiden so verbundenen Substantive den gleichen Numerus haben, ist die Lage ganz einfach:
Das Kind ist eine Nervensäge.
Die Kinder sind Nervensägen.
Wie lautet nun die „Regel“ für den Fall, der Sie beschäftig? – Ganz einfach: Wenn die beiden Nominative nicht den gleichen Numerus haben, steht das Verb im Plural, ganz gleich in welcher Reihenfolge die Substantive stehen:
Die Kinder sind ihre größte Freude.
Ihre größte Freude sind die Kinder.
Stiefel bleiben auch diesen Winter ein Muss.
Das Thema der Grafik sind die weltweiten Kohlendioxid-Emissionen.
Mehr zu diesem Thema finden Sie auf dieser Grammatikseite (ganz unten):
Zufrieden mit dieser Antwort lehnt „Dr. Bopp“ sich zurück. Es soll nun niemand wagen, die Frage zu stellen, warum hier der Plural gewinnt!
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
… und schon kommt der Streber und fragt: Die Grammatik sagt “in der Regel im Plural” — wann nicht? 🙂
Mit besten Grüßen,
Koppschüttler
@ Dr. Bopp – Plural gewinnt:
Ist ja ganz einfach: Die Mehrzahl ist stärker als einer allein. Haben wir schon als Buben gewusst. Außer Leo, der war der stärkste und hat uns alle verkloppt. 🙂
@ Koppschüttler:
Natürlich beim Werbesprech, z.B: “Ich bin zwei Ölktanks!”. (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Hans_Scheibner).
Bitte nicht allzu ernst nehmen! Und bevor ich hier verbal verkloppt werde, verabschiede ich mich
mit lieben Grüßen
Christian
Keine Regel ohne Ausnahme. Beim Kloppen heißt die Ausnahme Leo. Bei der Kongruenz des Verbs in Sätzen, in denen Subjekt und Gleichsetzungsnominativ nicht den gleichen Numerus haben, gibt es beispielsweise Maßangaben, Titel u. Ä. und Subjekte in der 1. und 2. Person Einzahl:
– Die totale Länge ist drei Meter.
– Der Titel des Romans lautet »Die drei Musketiere«.
– Du bist mehrere Personen in einer.
– Ich bin zwei Öltanks. (mit Dank an Christian)
Es geht also um sehr spezielle oder nur selten vorkommende Fälle.
Wie wäre es mit einer anderen Regel stattdessen:
Ich verbinde zwei Nominative miteinander, wobei der eine eine Eigenschaft bezeichnet, die ich dem anderen zuweise:
Ihre größte Freude (das ist die Eigenschaft) sind die Kinder (denen weise ich die Eigenschaft zu).
Ich kann die Eigenschaft an den Anfang oder das Ende stellen, das ist egal. Ich vermute aber, dass das Verb immer mit dem anderen Nominativ kongruiert. Mit dieser Regel würde ich alle genannten Fälle erschlagen, die die bisherige Regel auch erfasst. Zum Beispiel:
Stiefel (ein Objekt) bleiben auch diesen Winter ein Muss (die Eigenschaft).
Auch hier kongruiert das Verb mit dem Objekt und nicht mit der Eigenschaft. Zusätzlich erklärt die Regel aber folgende Fälle:
– Du (Dir weise ich die Eigenschaft zu) bist „mehrere Personen in einer“ (das ist die Eigenschaft – das Verb kongruiert mit dem anderen Nominativ)
– Ich (Mir weise ich die Eigenschaft zu) bin „zwei Öltanks“ (das ist die Eigenschaft – wiederum kongruiert das Verb mit dem anderen Nominativ)
– „Speis und Trank“ (die Eigenschaft) ist diese Weintraube (soll heißen: mehr gibt’s heute nicht)
Natürlich wird man öfter einem Plural eine Singular-Eigenschaft zuweisen (d. h. man fasst den Plural zu etwas kleinerem zusammen), als einem Singular eine Plural-Eigenschaft (das würde heißen, man macht den Singular zu etwas größerem als er zunächst ist). Also reicht meistens die ürsprüngliche Regel (denn der Nicht-Eigenschaft-Nominativ steht meistens im Plural, somit auch das Verb).
Die Gegenbeispiele mit den Musketieren und den drei Metern kann man m. E. auch anders bewerten: „Die drei Musketiere“ ist als Buchtitel grundsätzlich Neutrum Singular, somit haben beide Nominative den gleichen Numerus. Ich würde ja auch nicht sagen: Der Titel sind die Gefährten. Denn die bezeichneten Gefährten sind ja keine Buchtitel, sondern (fiktive) Personen. Der Buchtitel sind die Wörter.
Und zur Gesamtlänge, die drei Meter beträgt: Auch „drei Meter“ halte ich für einen Ausdruck, der in seiner Gesamtheit im Singular steht. Dafür fällt mir dummerweise kein Argument ein.
Bin gespannt auf Ihre Meinung dazu.
Viele Grüße
Markus
Bei Titeln und Maßangaben haben Sie recht: Es sind Spezialfälle, denn sie gelten als eine Einheit, selbst wenn sie offensichtlich im Plural stehen (z.B.: Die Gesamtlänge ist drei Meilen).
Im Allgemeinen trifft Ihre Regel häufig, aber leider nicht immer zu. Hier ein paar Beispiele in denen nicht immer eindeutig dem im Plural stehenden Nomen eine Eigenschaft zugewiesen wird:
Es ist allerdings so, dass hier in allen Beispielen formal gesehen die Pluralform das Subjekt und die Singularform das Prädikativ ist. Das im Plural stehende Verb richtet sich ja nach dem Subjekt.
Es gibt eine einfache Methode, Subjekt und Prädikativ formal auseinanderzuhalten: Ersetzen Sie sein durch ein Verb wie gelten als. Der Teil, der nicht in die als-Gruppe kommt, ist das Subjekt und bestimmt folglich die Form des Verbs:
In der als-Gruppe steht bei allen Beispielen der Singular. Und jetzt kommt’s: Wenn ein Plural in der als-Gruppe steht, kann das Subjekt kein Singular sein. Solche Formulierungen werden vermieden:
Je genauer man es beschreiben will, desto komplizierter wird es oft.