Es gibt Fragen, die fast nur von Deutschlernenden gestellt werden, die Tabellen mögen und gerne systematisch vorgehen. Weniger systematisch vorgehenden Lernenden fällt das Problem nicht auf und die meisten Muttersprachigen wissen gar nicht, dass es diese Frage überhaupt geben könnte (außer wenn sie gerne mit möglichst vielen Verbformen jonglieren). Ich hatte sie mir jedenfalls bis jetzt noch nie gestellt.
Frage
Nehmen wir diesen Satz:
Peter bedauert es, dass er nicht eingeladen wird.
Er kann auch so geschrieben werden:
Peter bedauert es, nicht eingeladen zu werden.
Wie ist es bei diesem Satz:
Peter bedauert es, dass er nicht eingeladen werden konnte.
Kann ich hier auch „zu“ statt „dass“ verwenden?
Antwort
Guten Tag A.,
nach bedauern kann tatsächlich sowohl ein dass-Satz als auch eine Infinitivkonstruktion mit zu stehen. Die Infinitivkonstruktion kann dann stehen, wenn das Subjekt im dass-Satz mit dem Subjekt des Hauptsatzes identisch ist. Das geht aber – wie ich dank Ihrer Frage feststellen konnte – nicht ganz immer:
Peter bedauert es, dass er (= Peter) nicht eingeladen wird.
→ Peter bedauert es, nicht eingeladen zu werden.
Wenn der Nebensatz vorzeitig ist (Präteritum o. Perfekt):
Peter bedauert es, dass er nicht eingeladen wurde.
Peter bedauert es, dass er nicht eingeladen worden ist.
→ Peter bedauert es, nicht eingeladen worden zu sein.
Auch mit einem Modalverb funktioniert das gut (Peter kann nicht eingeladen werden, weil er kein Clubmitglied ist):
Peter bedauert es, dass er nicht eingeladen werden kann.
→ Peter bedauert es, nicht eingeladen werden zu können.
Wenn wir aber die Vorzeitigkeit mit einem Modalverb kombinieren, wird es schwierig:
Peter bedauert es, dass er nicht eingeladen werden konnte.
Peter bedauert es, dass er nicht hat eingeladen werden können.
Die entsprechende Infinitivkonstruktion müsste wohl so aussehen:
→ (?) Peter bedauert es, nicht zu haben eingeladen werden können.
→ (??) Peter bedauert es, nicht eingeladen werden können zu haben.
Niemand verwendet aber Infinitivkonstruktionen wie diese. Sie sind rein theoretisch vielleicht möglich, werden aber nicht so realisiert. Während bei finiten (konjugierten) Verbgruppen Anhäufungen von Verbformen wie hat eingeladen werden können mit etwas Konzentration gerade noch zu meistern sind, wird uns dies bei Infinitivkonstruktionen offenbar doch etwas zu kompliziert. Nicht alles, was bei einer systematischen Betrachtungsweise theoretisch möglich sein müsste, ist es auch in der Praxis.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Auch semper (vel saepe) begrammatickt: … und nicht verstanden worden zu sein berechtigt zu glauben bedauernd…
Was halten Sie von:
“Peter bedauert es, nicht eingeladen werden gekonnt zu haben.”
Das ist nicht viel komplizierter als:
“Peter bedauert es, nicht segeln gekonnt zu haben.”
(Hier mit einem Infinitiv im Aktiv statt Passiv)
Oder verkenne ich das grammatikalische Problem?
MfG
Die Lösung mit gekonnt bringt das Problem mit sich, dass standardsprachlich in den zusammengesetzten Zeiten der Modalverben nicht das Partizip, sondern der Ersatzinfinitiv steht, wenn sie mit einem Vollverb kombiniert werden:
Entsprechend ist die Verwendung des Partizip “gekonnt” in einer Infintitivkonstruktion standardsprachlich zumindest zweifelhaft:
In der Grammatik gibt es, wie Sie ja in diesem Blog auch immer wieder aufzeigen, sehr viele Ausnahmen zu Regeln.
Warum sollte es also nicht auch für diesen Fall eine Ausnahme geben?
–> Ersatzinfinitiv nicht notwendig bei Infinitivkonstruktionen.
Das Problem wäre gelöst.
Jedenfalls klingt der Satz
“Peter bedauert es, nicht segeln gekonnt zu haben.”
in meinen Ohren eigentlich nicht falsch.
Obwohl ich zwar die dass-Konstruktion (mit Ersatzinfinitiv) wählen würde, halte ich diesen Satz auch für “hochdeutschtauglich”.
MfG
Dass die Formulierungen grundsätzlich falsch seien, wage ich ja auch nicht zu behaupten. Gemeint ist, dass diese Formen unüblich sind und vor allem standardsprachlich vermieden werden. Sie beinhalten zu(?) viele Infinitive innerhalb einer Infinitivkonstruktion (eingeladen werden können zu haben), eine sonst nicht übliche Verwendung des Partizips eines Modalverbs zusammen mit einem Vollverb (eingeladen werden gekonnt zu haben) oder – und diese Variante wurde noch gar nicht erwähnt – einen nicht korrekten Vergangenheitsbezug (eingeladen worden sein zu können). All diese Formulierungen können als Ausnahmen akzeptiert werden, wenn Sie standardsprachlich üblich sind. Das sind sie aber meiner Meinung nach nicht. Auch Sie würden hier ja offenbar auf die Konstruktion mit einem dass-Satz ausweichen, obwohl Sie die Form für „hochdeutschtauglich“ halten.
Auch hierzu ein Zitat aus Mark Twains humoristischer Rede “The Awful German Language”:
[..] und nach dem Verb hängt der Verfasser noch „haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“ oder etwas dergleichen an – rein zur Verzierung, soweit ich das ergründen konnte –, und das Monument ist fertig. Ich nehme an, dieses abschließende Hurra ist so etwas wie der Schnörkel an einer Unterschrift – nicht notwendig, aber hübsch.
Und sein “Reformvorschlag” Nr. 6:
[..] Sechstens würde ich von dem Sprecher verlangen, dass er aufhört, wenn er fertig ist, und nicht noch eine Kette dieser nutzlosen „haben sind gewesen gehabt haben geworden sein“ hinten an den Satz anhängt. Solcher Tand schmückt das Gesagte nicht, sondern raubt ihm seine Würde. Er ist daher ein Ärgernis und sollte abgeschafft werden.
Hier der englische Originaltext:
http://en.wikisource.org/wiki/The_Awful_German_Language
Die deutschen Ausschnitte stammen von
http://www.alvit.de/vf/de/mark-twain-die-schreckliche-deutsche-sprache.php
Immer wieder eine äußerst vergnügliche Lektüre.
Gruß
Christian