Im Urlaub schauen viele gerne einmal über die Grenze. So sind auch wir für ein paar Tage über Landes- und Sprachgrenze nach Frankreich gezogen. Dort stand ich vorgestern noch auf dem (oder der) Pont de Normandie, einer eleganten Brücke, die die Mündung der Seine zwischen Le Havre und Honfleur überspannt. Auf einem knapp zwei Meter breiten Trottoir, nur durch einen wenige Zentimeter hohen Betonrand vom mit 90 km/h vorbeirasenden Verkehr getrennt, kann man diese Brücke begehen. Das haben wir uns nicht zweimal sagen lassen. Wenn man irgendwo hinaufsteigen und hinunterschauen kann, ganz egal ob Kirchturm, Leuchtturm, Aussichtsturm, Wolkenkratzer oder eben in diesem Fall eine Brücke, dann muss ich hinauf. Dort stand ich also mehr als fünfzig Meter über der Seine, hielt meine Mütze fest (merke: auf einer hohen Brücke an der Küste ist es nicht windstill!), schaute um und unter mich und dachte: „Mann, ist das hoch!“ Wenn Sie einmal in der Gegend sind und keine Höhenangst haben: Der Pont de Normandie ist das Begehen wert.
In der Mitte der Brücke zeigten Tafeln an, dass wir auf der Grenze zwischen den Departements Calvados und Seine-Maritime standen. Und plötzlich schlug wieder einmal die Berufsdeformation zu: Woher kommt der Name Calvados? Er sieht ja eher spanisch als französisch aus.
Foto Wikipedia | . | Foto P.v.B. |
Der Name Calvados, den Liebhaber und Liebhaberinnen destillierter Wässer ja auch als Bezeichnung für den berühmten Apfelbranntwein aus dieser Region kennen, ist nicht typisch für die Normandie. Der Name Normandie geht auf das altfränkische nortman oder das altnordische nordmaðr zurück, die beide Nordmann bedeuten. Es kam im mittelalterlichen Latein ab dem 9. Jahrhundert vor und bezeichnete also das Gebiet der Nordmänner. Die Normandie war von einem Mischvolk besiedelt, das aus vom Norden eingedrungenen Skandinaviern und den ansässigen Franken entstanden war. Natürlich ist wie immer alles viel komplizierter, aber der Name Calvados kam bestimmt nicht mit den Wikingern in diese Region.
Es gibt zwei Erklärungen für den Ursprung des Namens: eine eher realistische und eine eher romantische. Nach der realistischeren, allgemein als wahrscheinlich anerkannten Erklärung stammt der Name von alten Seekarten. Mit dem lateinischen calva dorsa (kahle Rücken) sollen sie von See aus sichtbare kahle, also baumlose Hügel der Gegend angegeben haben. Die romantischere Erklärung sagt, dass der Name von Salvador komme. Salvador war der Name eines Schiffes, das zur „Unbesiegbaren Armada“ gehörte, der Kriegsflotte, die 1588 auf Befehl des spanischen Königs Philipp II. ausfuhr, um England zu erobern. England wurde nicht erobert und die Salvador strandete auf einem Felsen vor der Küste des heutigen Calvados. Über ein paar abenteuerliche Lautverschiebungen soll das Schiff dann Namensgeberin der Gegend geworden sein.
Vom Pont de Normandie aus habe ich beides gesehen: mehr oder weniger baumlose Hügel und einige Schiffe. Von diesem Gesichtspunkt aus betrachtet könnten also beide Erklärungen zutreffen, aber auch mir scheint die erste Erklärung (calva dorsa) die wahrscheinlichere zu sein.
So weit der Blick über die Grenze. Die nächsten Beiträge werden sich dann wieder mit „deutscheren“ Themen befassen.