Ganz kann ganz schwierig sein

„Das hast du ganz gut gemacht.“ Heißt das nun, dass ich es wirklich sehr gut gemacht habe, oder heißt es, dass ich es nur einigermaßen gut gemacht habe? Für Muttersprachige ist in der Regel sofort klar, welche dieser beiden Interpretationen im konkreten Fall gemeint ist. Für Deutschlernende kann dies aber ziemlich verwirrend sein.

Frage

Ich bin ziemlich fortgeschrittene DaF-Lernerin, habe aber manchmal Fragen zu einigen Feinheiten der deutschen Sprache. Ich wurde mal angewiesen, dass das Wort „ganz“ in der Kombination „ganz gut“ eine andere Bedeutung hat als mit anderen Wörtern (ganz schön, ganz früh etc.). Das bedeute nicht „sehr, sehr gut“ sondern werde eher ironisch gemeint und als „nicht besonders gut“ verstanden. Stimmt es oder nicht?

Antwort

Sehr geehrte Frau Z.,

es stimmt, dass das Adverb ganz nicht nur eine verstärkende Bedeutung, sondern auch eine einschränkende Bedeutung haben kann. Diese recht widersprüchlichen Bedeutungen kann ganz bei allen Adjektiven haben, nicht nur bei zum Beispiel gut. Welches die gemeinte Bedeutung ist, merken geübte Sprecher und Sprecherinnen am Kontext und an der Betonung.

Wenn ganz verstärkend gemeint ist (= sehr, besonders), ist es betont:

Das hast du gánz gut gemacht!
Ich finde das Bild gánz schön, weil die Farben so leuchten.
Wir mussten gánz früh aufstehen, um die Delphine sehen zu können.

Wenn ganz einschränkend gemeint ist (= ziemlich, relativ, eingermaßen), ist es unbetont. Es wird dann häufig von einer einschränkenden Angabe begleitet:

Das hast du ganz gút gemacht, aber du warst auch schon besser.
Dafür dass das Bild eigentlich nicht meinen Geschmack trifft, finde ich es ganz schön.
Ich habe nicht viel Neues gelernt, aber es war doch ganz interessánt.

In der gesprochenen Sprache hilft die Betonung (betont = sehr, unbetont = ziemlich). In der geschriebenen Sprache ist es nicht immer so einfach. Oft hilft dann erst der weitere Satzzusammenhang beim Verständnis, welche Bedeutung von ganz gemeint ist. Und manchmal hilft auch das nichts: Die Interpretation von ganz kann manchmal ganz schwierig sein.*

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Dann hilft beim Schreiben nur das Ausweichen auf eine andere Formulierung, also je nachdem was gesagt werden soll:

Die Interpretation von ganz kann manchmal sehr/wirklich schwierig sein.
Die Interpretation von ganz kann manchmal recht/ziemlich schwierig sein.

4 Gedanken zu „Ganz kann ganz schwierig sein“

  1. Interessanterweise sind in meinem Sprachgebrauch zumindest die ersten beiden Beispiele von betontem gánz stark markiert, so würde ich höchstens mit einem Kleinkind reden. „Gánz früh“ geht interessanterweise halbwegs, wobei’s bei mir auch schon an der Grenze zur Markiertheit ist und eher nur in bestimmten Zusammenhängen vorkäme, aber nicht generisch …

  2. Ich bin einverstanden, dass die ersten beiden Beispiele eher einem (sehr) einfachen Sprachgebrauch entsprechen. Das liegt daran, dass ich sie schnell selbst konstruiert habe und dabei wollte, dass sie einfach sind und die in der Frage genannten Adjektive enthalten. Sie sind wohl etwas zu einfach geraten. Betontes ganz im Sinne von sehr kommt aber auch in weniger “kindlichen”, wenn auch selten in hochliterarischen Sätzen vor:

    Ich möchte dir ganz herzlich danken.
    Er ist einer der ganz großen Autoren seiner Zeit.
    Bist du ganz sicher, dass du das Licht im Gang gelöscht hast?
    Und die kleine Antonie, achtjährig und zartgebaut, in einem Kleidchen aus ganz leichter changierender Seide … (Th. Mann, Buddenbrooks)

  3. Und dann scheint es mir da noch die ziemlich verbreitete feststehende Kombination mit “schön” zu geben: “ganz schön X”. Heute ist es z.B. ganz schön warm, sprich heiß und eher überhaupt nicht schön. Ich kann mich allerdings nicht entscheiden, ob das auf ein verstärkendes oder einschränkendes “ganz” zurückgeht. Jedenfalls kommt am Ende eine ironische Untertreibung heraus. Es ist also ein betontes gánz, das allerdings nicht ausdrückt, dass etwas besonders schön ist.
    (Ich erinnere mich an einen Besuch im englischen Deutschschulunterricht, in dem die Schüler üben mussten: “It’s nice and warm – Es ist ganz schön warm”, “It’s nice and sunny – Es ist ganz schön sonnig”. Und das erscheint mir dann doch als falsch…)

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