Für heute ausnahmsweise einmal eine theoretische Frage:
Frage
Aus meinem privaten Umfeld wurde die Frage an mich herangetragen, ob Sätze notwendigerweise immer ein Verb enthalten müssen. […] Wie sieht es zum Beispiel mit dem folgenden Beispiel von Frage und Antwort in wörtlicher Rede aus? Frage: „Wie geht es dir?“ – Antwort: „Gut.“ Ist diese elliptische Antwort satzwertig?
Antwort
Sehr geehrter Herr K.,
der Begriff Satz wird meist so definiert, dass ein Satz aus einem Verb (Prädikat) und von ihm abhängigen Satzteilen besteht, die nach den Regeln der Syntax zusammengefügt werden. Eine Äußerung ohne Verb ist nach dieser Definition also kein Satz.
Dennoch gibt es eigenständige Äußerungen ohne ein Verb. Die Dudengrammatik zum Beispiel nennt sie „satzwertige Ausdrücke“. Sie können in zwei Gruppen eingeteilt werden:
1) Interjektionen (Ausrufe) und Anreden gelten als satzwertige Ausdrücke:
au! hallo, Achtung!; Holger!
2) Ellipsen sind Äußerungen, in denen Redeteile weggelassen werden. Sie können als satzwertige Ausdrücke bezeichnet werden, wenn sie allein stehen, obwohl sie kein Verb enthalten. Sie werden aber auch unvollständige Sätze genannt, weil das zugehörige Verb einfach weggelassen wird. Sie unterscheiden sich dadurch von Interjektionen und Anreden, dass ein Verb ergänzt werden kann und dass evtl. vorhandene flektierbare Wörter sich nach diesem weggelassenen Verb richten. Sie stehen in dem Fall, in dem sie auch stehen, wenn das Verb nicht weggelassen wird. Zum Beispiel:
a) Ist es ein großer Schrank? – Ja, ein ganz großer.
b) Willst du einen Kaffe? – Ja, einen ganz großen.
c) Bist du einem Elefanten begegnet? – Ja, einem ganz großen.
Die Form der Wortgruppe ein_ ganz groß_ richtet sich hier danach, ob sie a) Subjekt, b) Akkusativobjekt oder c) Dativobjekt zum weggelassenen Verb ist.
Weitere Beispiele von Ellipsen:
Ganz interessant, dieser Blogeintrag. [Er ist …]
Wer da? [… ist …]
Schönes Wochenende! [Ich wünsche dir ein …]
Ende gut, alles gut. [Ist das …, ist …]
Die Antwort gut auf die Frage Wie geht es dir? ist eine Ellipse (vgl. [Mir geht es] gut) und als solche satzwertig. Man kann sie also als Satz bezeichnen, sollte dann aber der Deutlichkeit halber ergänzen, dass es sich um einen elliptischen oder unvollständigen Satz handelt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Dieser Satz kein Verb. 🙂
Am bekanntesten sind wohl Grußformeln (unter “Interjektionen” einzuordnen:
“Mit freundlichen Grüßen” (Satzzeichen!)
Ein Beispiel aus der Alltags- und Schriftsprache (aus ferner Zeit, vom fernen Orte in der KUK-Monarchie her), die Karl Kraus für würdig befand, in der “Fackel” gedruckt zu werden:
“Das ganze Problem erfordert eine eingehende strafrechtliche Regelung und darf auch nicht in die Jammerecke unwirksamer Nebengesetze verbannt werden.
Mit freundlichem Gruße
Ihr sehr ergebener Karl Adler. Czernowitz, 16. März 1900. Adler, Karl, Czernowitz, 16. März, 1900
(In: Die Fackel 2,19, 20.03.1900)
Um welches “ganze Problem” es ging, werde ich noch mitteilen, wenn ich in der Faksimile-Ausgabe der “Fackel” nachgeschnüffelt habe. (Solche Literaturschätze wurden in den 60er, 70er Jahren – haut-, pardon: hauptsächlich von studentischen Interessen her – verlegt und studiert. – Was Internet-Schreiber heute esen, pardon: lesen, ich weiß es nicht… – Ich nehme viel Schreiberei zur Kenntnis – die weithin, ja weitest – nicht von Literaturkenntnissen oder kulturellen Motiven zeugt. – That’s traditonelle Klage?)
Mit besten Empfehlungen
A. St. Rey.
P. S. eine schon alte Strophe:
„Von den Thaten, wohlvollbrungen,
Liebt das Alter auszuruhn,
Und nun ist es an den Jungen,
Gleichfalls ihre Pflicht zu thun.
Mit freundlichem Gruß. Wilh.“
(Wilhelm Busch im Brief an die Eisenacher Giftbrüder im April 1903 in: W. B.: Gesammelte Werke. Berlin 1903)