Lehnwörter von der Datumsgrenze: Polynesisches im Deutschen

Im westlichen Teil Polynesiens war es schon einen halben Tag früher 2014 als bei uns. Im östlichen Teil musste man einen halben Tag länger auf das neue Jahr warten als wir. Das hat – wir haben es im Geographieunterricht gelernt – mit der Kugelform der Erde und der Datumsgrenze zu tun, die auf der uns gegenüberliegenden Seite der Kugel quer durch Polynesien verläuft. Was wissen wir noch mehr von dieser Inselwelt? Die Meuterei auf der Bounty fand dort statt, Gaugin hat auf Tahiti gemalt, Barak Obama wurde auf Hawaii geboren, Inseln, Palmen, Atolle und ganz viel Ozean. Viel mehr wissen die meisten von uns nicht über diesen Teil der Erde. Auch sprachlich gibt es kaum Verbindungen zwischen Polynesien und dem deutschsprachigen Teil der Welt. Nur zwei, drei Wörter aus polynesischen Sprachen haben es in die deutsche Alltagssprache geschafft:

Das Wort kanaka bedeutet in einer polynesischen Sprache Mensch. Es wurde zuerst durch Seeleute entlehnt und in der Form Kanake zu einer Bezeichnung für Polynesier und Südseeinsulaner. Ich weiß nicht, inwieweit es früher „neutral“ verwendet werden konnte (ich habe gewisse Zweifel). Heute ist jedenfalls wegen der Verwendung von Kanake als Schimpfwort für Migranten große Vorsicht geboten, wenn man dieses Wort benutzt. Es ist vor allem mit dieser negativen Bedeutung bekannt.

Dies ist eine fast zu schöne Überleitung zum folgenden Wort: tabu, Tabu. Es stammt aus der polynesischen Sprache Tonga, wo es ungefähr geheiligt bedeutet. Es wurde zuerst in der Völkerkunde für Lebewesen oder Objekte verwendet, die so heilig sind, dass man sie nicht berühren oder nicht einmal anschauen darf. Aus der Fachsprache ist es dann in die Allgemeinsprache durchgedrungen, meist als Charakterisierung von etwas, über das man nicht reden darf (Tabuthema).

Das dritte Wort  kann in meiner Erfahrung bei vielen Eltern mit heranwachsenden Söhnen und Töchtern zu einem solchen Tabuthema werden: Tatoo oder Tätowierung. Es kommt vom tahitianischen Wort tatau für Zeichen. Tätowierungen sind in den letzten Jahren so populär geworden – und nicht nur, wie das Klischee es wollte, bei Knastbrüdern, Prostituierten und Seeleuten –, dass viele Eltern viele verschiedene Taktiken anwenden, um den Nachwuchs ganz oder wenigstens möglichst lange davon abzuhalten, ins Tattoostudio zu gehen: „Nein, auch kein kleines, geschmackvolles, das man kaum sieht!“ Versuchen Sie es einfach einmal und lassen Sie das Stichwort Tätowierung in einer Familie mit pubertierendem Nachwuchs fallen. Wenn Sie mehr für das Harmonie- als für das Konfliktmodell sind, sollten Sie es allerdings besser bleiben lassen.

Kanake, Tabu und Tätowierung sind die drei bekanntesten Wörter polynesischen Ursprungs. Wenn wir den Kreis etwas größer machen, kommen noch weitere Wörter aus der „gleichen“ Region: Bumerang, Digdgeridoo, Dingo, Känguru und Koala sind Beispiele von Wörtern, die wir – Sie haben es bestimmt erkannt – aus australischen Sprachen übernommen haben.

Umgekehrt kommen auch nur wenige (aber immerhin ein paar!) deutsche Lehnwörter in den Sprachen der Südsee vor. Mehr dazu lesen Sie in einem Artikel von Stefan Engelberg mit dem Titel „Kaisa, Kumi, Karmoból – Deutsche Lehnwörter in den Sprachen des Südpazifiks“ (in „Sprachreport“, 4/2006, Institut für deutsche Sprache IDS).

Ab nächster Woche geht es dann wieder wie gewohnt mit interessanten Fragen von Ihnen weiter.

Ein Gedanke zu „Lehnwörter von der Datumsgrenze: Polynesisches im Deutschen“

  1. Vielen Dank für diesen Artikel! Jetzt weiß ich auch, warum Friedrich Murnaus letzter Film, der auf Tahiti spielt, „Tabu“ heißt. Und ich sollte ihn mir endlich mal ansehen – das habe ich seit zwei Jahren schon vor.

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