Die Frage von Herrn Habermann – der hier ausnahmsweise nicht zu Herr H. verkürzt wird, sondern für die hier übliche Anonymisierung seiner Anfrage einen anderen Namen erhalten hat – gibt mir die Gelegenheit, die schöne Endung sch aufzugreifen. Im Prinzip ist es ganz einfach, aber eben …
Frage
Um etwas als für eine Person typisch zu kennzeichnen gibt es bekanntlich die Endung „sch“, also z. B. „Steinerscher Satz“. Man sieht aber oft die Schreibweise mit Apostroph: „Steiner’scher Satz“.
Frage 1: Was ist korrekt?
Frage 2: Steinersch ist ja eigentlich ein Adjektiv. Wie lautet in diesem Fall die Regel zur Gross/Kleinschreibung?
Antwort
Sehr geehrter Herr Habermann,
die boppsche oder Bopp’sche Antwort auf die habermannsche oder Habermann’sche Frage lautet:
Ohne Apostroph werden die mit der Endung -sch von Namen abgeleiteten Adjektive kleingeschrieben. (Die Regel, dass großgeschrieben wird, wenn das Adjektiv eine persönliche Leistung oder Zugehörigkeit ausdrückt, gilt seit der Rechtschreibreform nicht mehr.) Verwendet man einen verdeutlichenden Apostroph, schreibt man mit großem Anfangsbuchstaben. Siehe hier. Man schreibt also:
der steinersche o. Steiner’sche Satz
die darwinsche o. Darwin’sche Evolutionstheorie
die einsteinschen o. Einstein’schen Feldgleichungen
ein freudscher o. Freud’scher Versprecher
die oppenheimsche o. Oppenheim’sche Pelztasse
die schillerschen o. Schiller’schen »Räuber«
die thatchersche o. Thatcher’sche Politik
Auch bei Zisch- und ähnlichen Lauten wird die Endung einfach angehängt:
das huygenssche o. Huygens’sche Prinzip
die strausssche o. Strauss’sche Salome
die straußschen o. Strauß’schen Walzer
die buschschen o. Busch’schen Werke
das heinzsche o. Heinz’sche Ketchup
ein kaschnitzsches o. Kaschnitz’sches Hörspiel
Vokale am Ende des Namens bleiben erhalten, auch wenn sie unbetont sind oder gar nicht ausgesprochen werden:
die voltasche o. Volta’sche Säule
die dantesche o. Dante’sche Hölle
von shakespearescher o. Shakespeare’scher Größe
die linnésche o. Linné’sche Einteilung der Arten
das curiesche o. Curie’sche Gesetz
der faradaysche o. Faraday’sche Käfig
Und wie steht es mit Namen mit Bindestrich und mehrteiligen Namen? Besser als eine Erklärung sind Beispiele:
die van-goghschen o. van-Gogh’schen Sonnenblumen (van Gogh)
die la-fontaineschen o. La-Fontaine’schen Fabeln (La Fontaine)
die droste-hülshoffsche o. Droste-Hülshoff’sche Lyrik (Droste-Hülshoff)
das kübler-rosssche o. Kübler-Ross’sche Trauerschema (Kübler-Ross)
die kant-laplacesche o. Kant-Laplace’sche Theorie (Kant und Laplace)
So weit, so gut. Alles wäre also ganz einfach, wenn es nicht die Ausnahmeregelungen zur Großschreibung gäbe. Wenn ein Adjektiv Teil eines Eigennamens ist, schreibt man es auch ohne Apostroph groß:
der Halleysche Komet
die Magellanschen Wolken (zwei Zwerggalaxien)
das Müllersche Volksbad (ein Hallenbad in München)
die Seylersche Schauspiel-Gesellschaft (eine deutsche Wanderbühne im 18. Jh.)
Bezeichnungen von Lehrsätzen, Gesetzen, Theorien, Erfindungen usw. sind keine Eigennamen. Deshalb findet man oben wohl zum Erstaunen einiger Fachleute huygenssches Prinzip, curiesches Gesetz, faradayscher Käfig und voltasche Säule. In vielen Fachsprachen ist bei solchen Begriffen die Großschreibung des Adjektivs üblich, aber nach der geltenden Rechtschreibregelung müssten sie eigentlich kleingeschrieben werden. Wundern Sie sich also nicht, wenn Sie in diesem Bereich trotz des hier Gesagten vielen großgeschriebenen Adjektiven begegnen!
Nun wäre allerdings zu erklären, warum ein Auslassungszeichen, das der Apostroph ist, Großschreibung erzwingen soll oder Großschreibung den Apostroph, warum also der Apostroph eine Funktion übernehmen soll, die ihm gar nicht zukommt.
Außerdem wäre zu erklären, warum einerseits der Apostroph bei Großschreibung die originale Schreibung des Namens herausstellen soll, andererseits ebendas bei Kleinschreibung nicht nötig erscheint.
Und drittens wäre zu erklären, was gewonnen wurde dadurch, daß von den Reformern befohlen wurde, den Bedeutungsunterschied zwischen Groß- und Kleinschreibung aufzugeben.
Und ganz zum Schluß wäre zu klären, warum in so vielen Fachgebieten die Fachleute den Unsinn gar nicht mitmachen und unbeirrt weiterhin von großgeschriebener Goldbachscher Vermutung, Gödelschem Unvollständigkeitssatz und manch anderem schreiben.
An dieser Stelle soll den Fragestellern und Fragestellerinnen eine Antwort auf ihre Fragen gegeben werden, nämlich was nach den geltenden Regeln richtig ist. Natürlich kann man immer auch über Sinn und Unsinn der geltenden Regeln diskutieren, aber so viele Jahre nach ihrer Einführung finde ich (wie schon in früheren Kommentaren erwähnt) Diskussionen über zum Beispiel die Vertretbarkeit des Apostrophs zur Verdeutlichung – äh – eher uninteressant. Und wenn Sie nicht zur Schule gehen oder für ein öffentliches Amt schreiben, sind Sie ohnehin nicht verpflichtet, diesen „Unsinn“ mitzumachen.
Wie Sie richtig feststellen und wie es auch am Ende des Blogartikels angedeutet wird, halten sich viele nicht an diese Regel. Ich kann es nicht mit Zahlen beweisen, aber ich vermute, dass dies eine der am wenigsten befolgten Rechtschreibregeln ist. Hier spielt aber etwas anderes eine mindestens ebenso große Rolle: die Tendenz, das Adjektiv in festeren Adjekt-Substantiv-Verbindungen großzuschreiben. Bis auf gewisse (zum Teil ziemlich schwammig definierte) Ausnahmen ist die Großschreibung in der Rechtschreibregelung nicht vorgesehen, sie kommt aber gerade in Fachsprachen sehr häufig vor. So wird das Adjektiv nicht nur in Goldbachsche Vermutung und Gödelscher Unvollständigkeitssatz regelmäßig großgeschrieben, sondern auch in sehr vielen anderen Verbindungen: die Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die Angewandte Chemie, die Archimedische Schraube, der Argentinische Tango, das Autogene Training, das Bürgerliche Recht, eine Dantische Hölle, die Erneuerbaren Energien, die Funktionale Grammatik, die Gewaltfreie Kommunikation, die Innere Medizin, das Kleine Latinum, das Kopernikanische Weltbild, das Kreative Schreiben, die Organische Chemie, die Sozialen Medien, die Technische Dokumentation, die Theoretische Physik usw. NB: Auch hier sieht die Rechtschreibregelung im Prinzip die Kleinschreibung des Adjektivs vor. Die Frage der Groß- und Kleinschreibung stellt sich also nicht nur bei mit sch von Personennamen abgeleiteten Adjektiven.
Die Deutsche Sprache ist wie ein Universum. Manchmal erscheint es einem so, als gebe es auch einige Paralleluniversen in diesem System. Erstaunlich eigentlich, dass Regeln eben nicht immer klar sind und die Sprache sich durch Logik und gesunden Menschenverstand zu wandeln scheint. Die “sch” Endung ist da nur ein kleiner Bruchteil und die Suche nach dem den Lösungen dieser Probleme macht Sprache so interessant…