Von »guten Mutes« über »jedes/jeden Kommentars« zu »dieses Jahres«

Frage

Heißt es „sich jedes Kommentars enthalten“ oder „sich jeden Kommentars enthalten“?

Antwort

Sehr geehrte Frau K.,

Zweifelsfälle sind oft deshalb Zweifelsfälle, weil es mehr als eine korrekte Formulierung gibt. Das ist auch hier so, denn beides ist möglich (vgl. hier):

Sie wurden gebeten, sich jeden Kommentars zu enthalten.
Sie wurden gebeten, sich jedes Kommentars zu enthalten.

Vor männlichen und sächlichen Substantiven kann das Indefinitpronomen jeder sowohl mit der Endung es als auch mit der schwachen Endung en stehen. Dies gilt aber nur dann, wenn das Substantiv die Genitivendung es oder s hat:

sich jedes/jeden Kommentars enthalten
im Leben jedes/jeden Mannes
die Erfüllung jedes/jeden Wunsches

aber nur

im Leben jedes Menschen
das Mandat jeder und jedes Abgeordneten

Nach eines steht dahingegen immer jeden:

im Leben eines jeden Mannes
das Mandat einer und eines jeden Abgeordneten

Hier zeigt sich eine interessante Tendenz in der deutschen Sprache: Bei den Endungen sind wir sparsam. Es reicht im Prinzip, den Genitiv nur einmal anzugeben. Deshalb wird dann, wenn schon ein s-Genitiv (Genitivendung es oder s) steht, häufig auf die schwache Endung en ausgewichen.

im Leben jeden Mannes
im Leben eines jeden Menschen

Der Genitiv muss aber einmal angegeben werden. Wenn sonst kein s-Genitiv vorhanden ist, muss die Endung es verwendet werden:

im Leben jedes Menschen

Dieser Ersatz der Endung es ist bei den Adjektiven am weitesten fortgeschritten: Sie haben die Genitivendung es im heutigen Deutsch aufgegeben. Während man früher noch voll süßes Weines (Luther), gutes Muthes und heutiges Tages sagte, heißt es heute nur noch voll süßen Weines, guten Mutes und heutigen Tages.

Gegenpol sind hier der bestimmte und der unbestimmte Artikel, bei denen der Ersatz von es auch heute noch unmöglich ist:

im Leben des/eines Mannes
sich des/eines Kommentars enthalten.

Zwischen den Adjektiven und den Artikeln stehen die Pronomen. Viele von ihnen haben Merkmale beider Wortklassen, das heißt, manche verhalten sie sich eher wie Artikelwörter und manche eher wie Adjektive. Das zeigt sich auch in diesem Fall: Einige Pronomen lassen wie die Adjektive den Ersatz von es im Genitiv zu, bei anderen ist dies wie bei den Artikeln (noch) nicht möglich. Die folgende Aufstellung soll diese Situation anhand einiger Beispiele aufzeigen:

Adjektive nur mit en

guten Mutes sein
eine Quelle großen Vergnügens

Pronomen nur mit en

die Ursache solchen Unbehagens
im Leben desselben Mannes (das es versteckt sich allerdings in des…)

Pronomen mit en oder es (vgl. hier)

die Ursache allen Übels
das Schicksal alles Menschlichen

Im Leben jedes/jeden Mannes
im Leben jedes Menschen

die Lösung manchen Rätsels
ein großer Wunsch manches Menschen

die Eltern welches/welchen Kindes
die Abenteuer welches Helden

Pronomen nur mit es

am Ende meines Lebens
Anfang dieses Monats
am Ende jenes Sommers

Artikel nur mit es

die Eltern des Kindes
im Leben eines Mannes

Es gibt also eine Tendenz, die Endung es dort aufzugeben, wo bereits ein s-Genitiv steht. Während dies bei den Adjektiven durchgehend der Fall ist, leisten die Artikel noch erfolgreich Widerstand. Die Pronomen stehen irgendwo dazwischen.

Ganz schön zeigt sich diese Entwicklung beim bekannten Beispiel dieses Jahres. Vor allem bei Zeitangaben setzt sich immer mehr diesen und jenen statt dieses und jenes durch:

Anfang diesen Monats wie z. B. Anfang nächsten Monats
am Ende jenen Jahres wie z. B. am Ende manchen Jahres

Statt standardsprachlich richtig:

Anfang dieses Monats
am Ende jenes Jahres

Wie man oben sieht, sind die Formen diesen Monats und jenen Jahres nicht einfach unerklärliche Nachlässigkeiten, sondern die Folge einer Entwicklung, die offenbar noch nicht abgeschlossen ist.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp