Lächelnde Gastgeber, wartende Patienten, betörende Filme und bestechende Schnelligkeit – Das Präsenspartizip und sein Subjekt

Heute gibt es wieder einmal etwas Grammatisches. Wer solches nicht mag oder zu kompliziert findet, geht einfach ganz nach unten und liest den allerletzten Abschnitt.

Frage

In Canoonet steht auf der Seite zum Partizip Präsens:

Dabei bezieht sich das Subjekt des Hauptverbs immer auch auf das Partizip Präsens:

Er begrüßt die Gäste lächelnd. = Er begrüßt die Gäste und er lächelt.
Nicht: Er begrüßt und die Gäste lächeln

Was ist es aber bei:

Er findet den Film betörend. Er hält die Frau für ätzend. (Bezug auf Objekt?)
Das ist ein überragend guter Einfall. (Bezug auf ?)
Er läuft bestechend schnell? (Bezug auf ?)
Er begrüßte die wartenden Patienten / Wartenden. (Bezug auf ?)

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

die Canoonet-Seite, auf die Sie sich beziehen, ist nur eine vereinfachte Darstellung. Die Situation ist (wie so oft) um einiges komplexer. Sie vereinfachen die Darstellung allerdings noch mehr, indem Sie nur eine einzelne Stelle zitieren. Der zitierte Satz bezieht sich auf die Situation, in der das Präsenspartizip zu einem finiten Verb gehört. Dann ist das Subjekt des finiten Verbs auch das Subjekt der Verbhandlung, die durch das Präsenspartizip ausgedrückt wird:

Er begrüßt die Gäste lächelnd.
= Er begrüßt die Gäste und er lächelt dabei.

Mordend und plündernd zogen sie durch das Land.
= Sie zogen durch das Land und sie mordeten und plünderten dabei.

Für den Fall, dass das Präsenspartizip zu einem Nomen gehört, steht auf derselben Seite Folgendes:

Das Subjekt der durch das Partizip ausgedrückten Verbhandlung ist das Nomen, bei dem es steht.

Dabei müssen wir zwischen verschiedenen Verwendungsarten unterscheiden:

a) Bei attributivem Gebrauch steht das Partizip in gebeugter Form vor einem Nomen. Dieses Nomen ist das Subjekt der durch das Partizip ausgedrückten Verbhandlung:

Sie begrüßt die wartenden Patienten.
= Sie begrüßt die Patienten. Die Patienten warten.

Sie sprangen auf den fahrenden Zug.
Sie sprangen auf den Zug. Der Zug fuhr.

b) Bei prädikativem Gebrauch: Problemlos ist die Zuweisung, wenn das Partizip über Verben wie sein, werden und bleiben das Subjekt des Satzes näher bestimmt, d.h. wenn es Prädikativ zum Subjekt ist:

Der Film ist betörend.
= Der Film betört.

Die Frau war ätzend.
= Die Frau „ätzte“.

Die Verben finden und halten für verbinden das Partizip nicht mit dem Subjekt, sondern mit dem Objekt des Satzes. Das Prädikativ – in diesem Fall das ungebeugte Präsenspartizip – ist Prädikativ zum Objekt, das heißt, es bezieht sich auf das Objekt.

Er findet den Film betörend.
= der Film betört

Er hält die Frau für ätzend.
= die Frau „ätzt“

In diesen Beispielsätzen wird das Präsenspartizip über finden resp. halten für mit dem Objekt des Satzes verbunden (vgl. Er findet den Film gut; Er hält die Frau für nett). Das Subjekt der durch das Partizip ausgedrückten Verbhandlung ist auch hier das Nomen, das es bestimmt, also das Akkusativobjekt Film resp. Frau.

c) Damit sind noch nicht all Ihre Beispiele besprochen. Es gibt noch einen weiteren Fall: den adverbialen Gebrauch, das heißt die Verwendung des Präsenspartizips als Adverbialbestimmung zu einem Adjektiv.

Das ist ein überragend guter Einfall.
Er läuft bestechend schnell?

Bei überragend gut und bestechend schnell wird das Präsenspartizip als Adverbialbestimmung zu einem Adjektiv verwendet (vgl. besonders gut, außerordentlich gut; sehr schnell, unerwartet schnell). Es bestimmt also weder das Verb noch ein Nomen, sondern ein Adjektiv. Das Präsenspartizip hat in dieser Funktion seinen verbalen Charakter teilweise verloren. Wenn dennoch ein Subjekt der Verbhandlung angegeben werden soll, so ist dies entweder die Eigenschaft, die das von ihm bestimmte Adjektiv ausdrückt, oder eventuell das Subjekt des Hauptverbs:

Er singt überragend gut.
= Die Güte überragt / Er überragt durch seine Güte.

Er läuft bestechend schnell
= Die Schnelligkeit besticht / Er besticht durch seine Schnelligkeit.

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Alle Präsenspartizipien können als Adjektiv verwendet werden. Meist geschieht dies (wie in der Darstellung in unserer Grammatik) als attributives Adjektiv. Wie die Beispiele oben zeigen, kommt aber auch prädikativer und adverbialer Gebrauch vor. Bei attributivem (a) und prädikativem (b) Gebrauch ist das von ihm bestimmte Nomen das Subjekt der vom Partizip ausgedrückten Verbhandlung. Bei der Verwendung als Adverbialbestimmung zu einem Adjektiv (c) ist die Bestimmung des Subjekts undeutlicher.

Wieder einmal klingt alles recht kompliziert, wenn man anfängt es etwas genauer zu beschreiben. Das Beruhigende (suche das dazugehörende Subjekt!) und gleichzeitig auch Bewundernswerte ist, dass wir die Präsenspartizipien in der Regel problemlos verwenden und verstehen, ohne dass wir bewusst komplizierte Satzanalysen vornehmen müssen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp