Frage
Bei Ihnen wird „geschmeichelt“ als Adjektiv ausgewiesen, ich bin aber der Meinung, dass es sich immer um ein Verb „schmeicheln“ oder ein Partizip oder eine Passivform „geschmeichelt“ handelt. Eine adjektivische Nutzung ist mir nicht bewusst.
Antwort
Guten Tag D.,
in den folgenden Beispielen ist geschmeichelt als Adjektiv (oder adjektivisch verwendetes Partizip) anzusehen:
ein geschmeicheltes Bild (ein sehr günstiges, zu günstiges Bild)
eine geschmeichelte Darstellung der Ereignisse (eine zu positive Darstellung)
Aus heutiger Sicht könnte geschmeichelt streng genommen auch in den folgenden Formulierungen als Adjektiv bezeichnet werden:
geschmeichelt sein
sich geschmeichelt fühlen
wie
zufrieden sein
sich zufrieden fühlen
Das Verb schmeicheln ist nämlich ein intransitives Verb (jemandem schmeicheln) und intransitive Verben können kein Zustandspassiv bilden. Zum Beispiel:
jemandem danken
nicht: *gedankt sein
nicht: *sich gedankt fühlen
Aber zum Beispiel:
jemanden ehren
geehrt sein
sich geehrt fühlen
Diese für ein intransitives Verb untypischen Verwendungen des Partizips geschmeichelt sind wahrscheinlich ein Überbleibsel aus einer Zeit, als schmeicheln nicht nur mit dem Dativ, sondern auch mit dem Akkusativ verwendet wurde. Ein paar Beispiele:
Bey meiner Treu, ich sag es ohne sie zu schmeicheln, sie sind ein Kerl, der es, hohl mich der Teuffel, mit manchem Cantor annehmen könnte.
[G. E. Lessing, Weiber sind Weiber, 5. Auftritt, 1749]Ich danke Gott mit Saitenspiel, dass ich kein König worden. Ich wär geschmeichelt worden viel, und wär vielleicht verdorben.
[Matthias Claudius, Täglich zu singen, 1777]Dolon, schmeichle dich nicht mit der Hoffnung, dein Leben zu retten
[Ilias, 10, 435, übers. von F. L. Graf zu Stolbert, 1781]
Im heutigen Deutschen ist schmeicheln, wie bereits gesagt, ein intransitives Verb, das heißt, es wird nicht mehr mit dem Akkusativ verwendet:
jemandem schmeicheln
Sie schmeichelte dem Grafen mit schönen Worten.
Die Hose schmeichelt Ihrer Figur.
Außer in Formulierungen der eingangs genannten Art sollte geschmeichelt deshalb genauso wenig adjektivisch verwendet werden wie gedankt oder geholfen. Es heißt also nicht:
*die gedankten Helferinnen und Helfer
*die geholfene Kundschaft
*der geschmeichelte Graf
Fazit: Man kann geschmeichelt als Adjektiv verwenden. Es gibt allerdings nur geschmeichelte (zu günstige) Darstellungen und Bilder, nicht aber *mit schönen Worten geschmeichelte Leute.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Ich muss gestehen, Ihre letzte Aussage hat meinem “Sprachgefühl” so fundamental widersprochen, dass ich mich in einem Anfall von Sturheit über eine Stunde lang in Googles Ngram-Viewer und Google Books vertieft habe. Nur eindeutige, besonders interessante oder von einem bekannten Autor stammende Stellen von Werken bis zum Jahr 2000, ungeordnet und teilweise ungeprüft übernommen, wie ich sie notiert habe:
der geschmeichelte Gaumen; gern gewährter und sogar geschmeichelter Vertraulichkeit – Stefan Zweig
geschmeichelte Eitelkeit – Arthur Schnitzler
auf stolze zugleich und geschmeichelte Art; ein geschmeichelter Zuschauer – Thomas Mann
der geschmeichelte Abbé; der geschmeichelte Prior; dem geschmeichelten Süß – Lion Feuchtwanger
der überraschte und geschmeichelte Prinz – Joseph Freiherr von Eichendorff
die geschmeichelte Frau; in geschmeichelter Eitelkeit – Theodor Storm
der durch diese Kritik geschmeichelte Dichter – Achim von Arnim
der geschmeichelte Zar – Erhard Gorys
die geschmeichelte Primadonna – Max Brod
das höchst geschmeichelte Gespenst – Karl Marx
der geschmeichelte Meister – Egon Erwin Kisch
seine geschmeichelte Eitelkeit – Robert Musil
der geschmeichelte Mutterstolz – Eva Walter
der Geschmeichelte; geschmeichelte und plötzlich nach oben geworfene Kommunalbeamte; in einem Schaumbad geschmeichelter Eitelkeit; dem geschmeichelten Bürgerpublikum – Kurt Tucholsky
der geschmeichelte Soldat; den geschmeichelten Untertan – Friedrich Schiller
der geschmeichelte Heraufkömmling – Hermann Kesten
der zunächst geschmeichelte Cicero – Marion Giebel
die geschmeichelte Georgine – Else Lasker-Schüler
durch geschmeichelte Autoreneitelkeit – Kurt Krolop
ein Strahl geschmeichelter Wonne – Franz Werfel
ein holdes Lächeln geschmeichelter Selbstzufriedenheit – Wilhem Hauff
vor geschmeichelter Eitelkeit strahlen – Elisabeth Langgässer
ein Gemisch von Einbildung und gekränkter oder geschmeichelter Eitelkeit – Erich Maria Remarque
Niedergeschlagene schmeicheln uns, indes dich ein Geschmeichelter erniedrigt – Robert Walser
ein Aufblitzen geschmeichelter Eitelkeit – Paul Heyse
wie schon ein angeknurrter Hund wieder knurrt, ein geschmeichelter wieder schmeichelt – Arthur Schopenhauer
das bescheidene Lächeln geschmeichelter Hausfrauen – Fritz Rudolf Fries
das ängstliche Forschen geschmeichelter Eitelkeit – Sophie Mereau
ein geschmeichelter Junge – Agnes Miegel
der geschmeichelte Dichter – Ludwig Ganghofer
der durch Privilegien verwöhnte und durch Stalins Bitte geschmeichelte Dichter – Thomas Kunze
ein wenig geschmeichelte Eitelkeit – Carl Zuckmayer
ein geschmeichelter Kornett – Alfred Döblin
dein geschmeichelter Herr Vater – Hugo Thimig
zum Gaudi der geschmeichelten Massen – Rudolf Augstein (wohl eher Heinz P. Lohfeldt, Spiegel 1984)
dem geschmeichelten Politiker – Albert Paris Gütersloh
die Tränen des entsetzt geschmeichelten Mädchens – Hermann Broch
Das ist natürlich alles ad verecundiam, nichtig und irrelevant, Fehler machen wir alle, und diese Liste beweist selbstverständlich gar nichts, aber ich fühle mich dennoch besser. Wenigstens ist mein Sprachgefühl in einigermaßen guter Gesellschaft. Übrigens ließen sich auch ein paar Beispiele ab dem Jahr 2000 finden, ich sehe jedoch keinen großen Sinn in dieser Übung; es wäre reine Fleißarbeit (beim Überfliegen aufgefallen: FAZ, Cicero, Süddeutsche, Freitag, Spiegel, Tagesspiegel, Focus, Zeit sind alle mindestens einmal vertreten, aber auch hier gilt natürlich ad verecundiam usw.).
Schließlich, auch wenn ich Ihr Argument grundsätzlich akzeptiere: Die “geschmeichelten Eitelkeit” ist so verbreitet, dass man sie womöglich als feststehenden Ausdruck akzeptieren sollte. Ähnliches gilt vielleicht auch für die Kombination “sichtlich geschmeichelte(n/m/r/s) X”?
Vielen Dank für Ihre Mühe! Es zeigt sich, dass geschmeichelt tatsächlich häufiger in dieser Weise als attributives Adjektiv verwendet wird. Die Frage stellt sich nun, ob man es zu den akzeptierten Ausnahmen wie ein gelernter Maurer zählen soll oder – wie ich es im Artikel oben tue – zu den ebenfalls häufiger vorkommenden, standardsprachlich nicht als korrekt geltenden Formulierungen wie: