Frage
Immer wieder stolpere ich über das „de“ bei Neugierde und Begierde. Während Begier meines Erachtens deutlich seltener verwendet wird als Begierde, sind Neugier und Neugierde vielleicht gleich häufig. Aber eine Gierde gibt es doch gar nicht? Wo kommt denn da das „de“ her?
Antwort
Sehr geehrter Herr N.,
ähnliche Wörter beeinflussen einander häufiger im Laufe der Wortgeschichte, auch wenn ihr Entstehungsgeschichte nicht ganz gleich ist. In diesem Fall haben wir es mit drei Wörtern zu tun, deren Geschichte unterschiedlicher ist, als man auf den ersten Blick annehmen würde.
Das Wort Gier ist eine althochdeutsche Ableitung des Adjektivs gir, ger = begierig. Dieses Adjektiv wiederum wurde später durch die Ableitung gierig abgelöst.
Das Wort Begierde ist keine direkte Ableitung von Gier, sondern eine Ableitung vom mittelhochdeutschen Verb begirn = begehren. Mit dem alten Ableitungssuffix ‑ida, später zu ‑de reduziert, wurden auch andere Wörter gebildet. Heute noch kennen wir neben Begierde zum Beispiel Gebärde, Freude, Beschwerde, Behörde, Zierde. Die suffixlose Form Begier ist dann durch Analogie mit Gier entstanden.
Das Wort Neugier hat eine andere Entstehungsgeschichte: Es ist eine Rückbildung von neugierig. Mit „Rückbildung“ ist Folgendes gemeint: Zuerst entstand das Adjektiv neugierig (16. Jh.). Später bildet man dann ein dazugehörendes Substantiv, von dem dieses Adjektiv hätte abgeleitet sein können: Neugier (17. Jh.). Die Variante Neugierde lässt sich schließlich durch Analogie mit Begierde erklären.
Gier, Begierde, Neugier – drei Wörter mit ähnlicher Form und unterschiedlicher Entstehungsgeschichte, die sich im Lauf der Zeit gegenseitig beeinflusst haben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Quellen u. a.:
– Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, De Gruyter, 2002.
– Das Herkunftswörterbuch, Dudenverlag 2007.
– DWDS, Etymologisches Wörterbuch nach Pfeifer.
Ein Gedanke zu „Gier, Begierde, Neugier“
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