Frage
Heute möchte ich mich mit einem für mich nicht ganz eindeutigen Fall der Verneinung an Sie wenden. Der Satz lautet:
Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als keiner mehr daran glaubte, weder hier noch in anderen Ländern.
oder
Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als keiner mehr daran glaubte, sowohl hier als auch in anderen Ländern.
Da im Deutschen im Gegensatz zu einigen anderen Sprachen ja die doppelte Verneinung eigentlich eine Bejahung bedeutet, sollte eigentlich die zweite Variante für die Aussage zutreffen, dass weder im In- noch im Ausland jemand daran glaubte. Mir scheint aber auch die erste Variante nicht abwegig.
Antwort
Sehr geehrter Herr G.,
es stimmt, dass im Deutschen – zumindest in seiner Standardvariante – die doppelte Verneinung zu einer bejahten Aussage führt:
Ich habe nie nichts gesagt.
= Ich habe immer etwas gesagt.Sie haben niemandem nichts geglaubt.
= Sie haben allen etwas geglaubt.Weder im In- noch im Ausland glaubte keiner daran.
= Sowohl im In- als auch im Ausland glaubte jemand daran.
Man formuliert deshalb korrekt ohne doppelte Verneinung:
Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als weder hier noch in anderen Ländern noch jemand daran glaubte.
oder
Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als sowohl hier als auch in anderen Ländern keiner mehr daran glaubte.
Und trotzdem bin ich bei Ihrem Beispiel für die erste Variante:
Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als keiner mehr daran glaubte, weder hier noch in anderen Ländern.
Das liegt nicht daran, dass ich mich plötzlich zur doppelten Verneinung bekehrt hätte. Nein, ich bin einfach der Meinung, dass hier keine doppelte Verneinung vorliegt, weil die Wortgruppe weder… noch… als Nachtrag sozusagen aus dem Satz ausgelagert wird. Die Verneinung im Satz hat deshalb keinen Einfluss mehr auf den Nachtrag. Der Nachtrag gehört nicht zu ihrem Wirkungsbereich, so dass die Verneinung im Satz und die Verneinung im Nachtrag einander nicht aufheben.
Ich weiß, dass dies keine wissenschaftlich fundierte Argumentation ist, aber so scheint es im Deutschen zu funktionieren: Nachträge zu etwas Verneintem gehören nicht mehr zum Wirkungsbereich der Verneinung und müssen deshalb ggf. ebenfalls verneint werden. Weitere Beispielpaare a) ohne Nachtrag und b) mit einem Nachtrag:
a) Sie hatte weder im Haus noch im Garten jemanden gesehen.
b) Sie hatte niemanden gesehen, weder im Haus noch im Garten.a) Ich habe auch zu Hause nie geraucht.
b) Ich habe nie geraucht, auch nicht zu Hause.a) Sie können nirgendwo jemanden für diese Aufgabe finden.
b) Sie können niemanden für diese Aufgabe finden, wirklich nirgendwo.
Ich hoffe, dass dies dazu beitragen kann, Ihre Zweifel an der Variante zu beseitigen, die Sie zu Recht für nicht abwegig halten. Es ist die richtige, weil ein Nachtrag separat verneint sein will. Zweimal verneint ist nicht immer doppelt verneint.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Für mich haben die beiden Sätze auch unterschiedliche Bedeutungsschwerpunkte.
“Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als keiner mehr daran glaubte, weder hier noch in anderen Ländern.”
=> weder hier noch in anderen Ländern wurde daran geglaubt.
“Sie blieben auch dann bei ihrer Meinung, als keiner mehr daran glaubte, sowohl hier als auch in anderen Ländern.”
=> sowohl hier als auch in anderen Ländern haben Sie Ihre Meinung vertreten.
Die beiden Sätze haben tatsächlich unterschiedliche Bedeutungen. Mit sowohl … als auch … im Nachtrag wird aber nicht das ausgesagt, was nach den Angaben in Herrn G.s Frage gemeint ist, nämlich „dass weder im In- noch im Ausland jemand daran glaubte.“
Auch Sätze mit doppelter Verneinung sind nicht grundsätzlich falsch. Mit ihnen ist nur oft etwas anderes gemeint, als ausgesagt wird:
Gemeint ist damit oft:
Ausgesagt wird nach der Standardgrammatik aber:
Doppelte Verneinung mit verneinender Aussage ist auch bei uns im Dialekt recht verbreitet und dient zur Bekräftigung der Verneinung. Da wird aber anders betont als bei der echten doppelten Verneinung.
a) Betonung: i håb níanix gsågt = Absolute Verneinung
b) Betonung: ich habe níe níchts gesagt = Ich habe stets meine Meinung geäußert
Die doppelte Verneinung kommt auch im deutschen Sprachgebiet vor. Ich habe versucht, im Artikel darauf hinzuweisen, dass sie im Standarddeutschen als nicht korrekt gilt. In der Umgangssprache und in den Dialekten sieht das oft ganz anders aus, wie Sie, Rappelkopf, so schön aufzeigen.
In diesem Zusammenhang fällt mir eine Diskussion ein, die ich schon mehrmals geführt habe:
Auf eine Frage, die eine Verneinung enthält, antwortet man im Deutschen (wie in allen anderen mir bekannten Sprachen) dann mit “nein”, wenn man dem Fragenden recht gibt:
“Gestern hat es doch nicht geregnet?”
“Nein, hat es nicht”
Alle paar Jahre habe ich das zweifelhafte Glück auf Leute zu stoßen, die darauf beharren, man müsse hier “ja” antworten. Seltsamerweise kenne ich aus anderen Sprachen diese scheinbare Unklarheit nicht. Vielleicht liegt das daran, dass wir im Deutschen das Wörtchen doch für solche Fälle haben, in denen ein Engländer oder Spanier “yes” oder “sí” sagen würde:
It didn’t rain yesterday.
No, it didn’t.
Yes, it did.
In Ihrem Beispiel, Rolf, geht es um verneinte Fragen und die Schwierigkeit, sie mit einem Wort zu beantworten. Das Wörtchen doch spielt hier sicher eine wichtige Rolle: Was ist bei der Beantwortung einer verneinten Frage das Gegenteil von doch? – Ja oder Nein? Mehr dazu hier und hier.