Wahlkampf, Wahlkämpfer, Wahlkämpfende

Frage

Was soll man nur von der Form „die Wahlkämpfenden“ (für „die sich *im* Wahlkampf Engagierenden“ oder „die *im* Wahlkampf Tätigen“) bzw. „die wahlkämpfenden Parteien“ halten?

Antwort

Sehr geehrter Herr A.,

die Form wahlkämpfend ist eine Wortbildung, die verständlich und nach den Wortbildungsmustern des Deutschen möglich ist:

der Wahlkampf = der Kampf um die Wahl
Wahlkämpfer/in = der/die um die Wahl Kämpfende
wahlkämpfend = um die Wahl kämpfend
die Wahlkämpfenden = die um die Wahl Kämpfenden

Man muss also rein formal gesehen wahlkämpfend nicht als direkte Ableitung von Wahlkampf interpretieren. Vielleicht war es ja diese „Ableitungsgeschichte“, die Sie irritiert hat. Eine Ableitung dieser Art wäre aber möglich, wenn man zum Beispiel ein (fiktives) von Wahlkampf abgeleitetes Verb wahlkämpfen annimmt:

der Wahlkampf -> (wahlkämpfen) -> wahlkämpfend

Dieses Verb könnte man dann (theoretisch) auch gleich den Wörtern Wahlkämpfer und Wahlkämpferin zugrunde legen.

Wörter haben oft die Neigung, in gleichartigen Wortbildungsgruppen aufzutreten. Eine Wortbildung wie Wahlkampf birgt bereits weitere Ableitungen wie Wahlkämpfer und wahlkämpfend in sich, die dann manchmal tatsächlich vorkommen – oder oft auch nicht. In diesem Fall ist das zentrale Wort der Gruppe eine Zusammensetzung mit einem Substantiv mit verbalem Charakter (-kampf). Weitere Beispiele ähnlicher Art:

Wettkampf, wettkämpfend, Wettkämpfer/Wettkämpferin
Tagtraum, tagträumend, Tagträumer/Tagträumerin
Raumfahrt, raumfahrend, Raumfahrer/Raumfahrerin
Glücksspiel, glücksspielend, Glücksspieler/Glücksspielerin
Freiheitsliebe, freiheitsliebend
Leberleiden, leberleidend

Die Wortschöpfung wahlkämpfend überzeugt wahrscheinlich stilistisch nicht alle, sie ist aber leicht verständlich und nach deutschen Wortbildungsmustern gebildet. Praktisch ist auch, dass man, wenn man will, mit der Substantivierung die Wahlkämpfenden die ständige Wiederholung von Wahlkämpfer und Wahlkämpferinnen vermeiden kann. Grammatisch gibt es nichts gegen wahlkämpfend einzuwenden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

8 Gedanken zu „Wahlkampf, Wahlkämpfer, Wahlkämpfende“

  1. Ich halte “Wahlkämpfende” für ein weiteres Beispiel von schlechtem, ungelenkem, auf politische Korrektheit im Sinne von “Gender-Mainstreaming” bedachtem Deutsch. Das etablierte Wort “Wahlkämpfer” tut’s auch: JedeR weiß doch, dass Frauen sowohl aktives wie passives Wahlrecht haben und es gibt längst keineN mehr, deR das in Frage stellen würde!!

    WeR (auch so ein böses, formal maskulines Fragepronomen!) wähnt sich denn allen Ernstes noch im Zeitalter der Suffragetten, in dem Frauen noch darum zu kämpfen hatten? Ich habe als Mann schließlich auch kein Problem damit, mich als “Person” (feminin, oha!) zu bezeichnen. Werdet endlich erwachsen und hört auf, unsere deutsche Sprache mit solchen Wortungetümen zu verhunzen!

  2. @ Gernot Back: Selbst wenn ich mit Ihrer deutlichen Ablehnung geschlechtergerechter Formulierungen dieser Art einverstanden wäre, müsste ich erwähnen, dass wahlkämpfend bei Weitem nicht nur in diesem Bereich verwendet wird. Ein kurzer Google-Blick ins Netz liefert diese Beispiele:

    wahlkämpfende Politiker
    wahlkämpfende Heuchler
    die wahlkämpfende SPÖ
    wahlkämpfende Genossen
    wahlkämpfende Organisationen
    die wahlkämpfende CDU-Chefin
    der wahlkämpfende Bundesrat
    eine wahlkämpfende Walküre
    aus dem wahlkämpfenden Norden der Republik

    Das Wort kann als Beispiel für schlechtes und ungelenkes Deutsch empfunden werden, es kann aber nicht zu „auf politische Korrektheit im Sinne von ,Gender-Mainstreaming‘ bedachte[s] Deutsch“ reduziert werden. Es deckt offenbar auch noch anderen Fomulierungsbedürfnisse ab.

  3. Und, um ein bisschen gegenzupolemisieren: Gernot, werd endlich erwachsen und akzeptiere, dass nicht du entscheidest, was akzeptables Deutsch ist, sondern die Gesamtheit der Deutschsprechenden – und da wirst du mit der geschlechtergerechten Sprache leben zu lernen müssen. #sorrynotsorry

  4. @Dr. Bopp: “müsste ich erwähnen, dass wahlkämpfend bei Weitem nicht nur in diesem Bereich verwendet wird. Ein kurzer Google-Blick ins Netz liefert diese Beispiele:”

    Bei Ihren Beispielen handeld es sich samt und sonders um attributiv gebrauchte Partizipien. dagegen ist nichts einzuwenden, warum auch?. Wogegen ich michaber wehre, ist die Substantivierung eines Präsens-Partizips, wenn es gleichzeitig ein viel eleganteres Nomen agentis auf “-er” gibt.

    Das mit dem Gender-Sprech geht ja schon seit der Zeit so, als ich selbst noch Student war und mich sogar in “Studierendenparlamenten! (!) herumgetrieben habe.

    Die Krönung von allem ist ja, wenn bei diesem “Mainstreaming” auch noch ein vermeintlich geschlechtsneutrales “_der Studierende (an sich)” im Singular herauskommt oder ein “Kollegen und Kollegen”, etwa bei Interviews oder Ansprachen von “Ämtern bei einer Gewerkschaft Innehabenden”, bei der das Motionssuffix in der gedoppelten Anrede aus unwillkürlich-sprachökonomischem Reflex verschluckt wird. Eine solche Sprachverrenkung ist einfach nur noch lächerlich!

  5. Es war und ist mir schon klar, Herr Back, worum es Ihnen bei Ihrer Kritik geht. Sie lässt wie Ihr zweiter Kommentar nichts an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Da ich an diesem Ort lieber keine polemisierenden Diskussionen führe, wollte ich nur erwähnen, dass dieses Wort, das Sie im ersten Kommentar ganz zu verurteilen schienen, auch anders verwendet wird. Auf den Kern Ihrer Kritik bin ich nicht eingegangen. Ich hatte gehofft, dass sie den leisen Hinweis vielleicht verstehen. Da mir das offensichtlich nicht gelungen ist, hier noch einmal: Ich teile Ihre Meinung nicht. Weiter halte ich ich den Kommentarbereich dieses Blogs nicht für den geeigneten Ort dafür, polemisierende und sich immer wieder gleichende Diskussionen zum Thema gendergerechter Sprache zu führen. Ich bilde mir nämlich nicht ein, dass ich Sie in irgendeiner Weise von Ihrer Meinung abbringen könnte.

  6. In meiner näheren Umgebung befindet sich ein Verkehrszeichen, das mir immer wieder Anlass zum Nachdenken bietet:

    Das Zeichen ist das Rufezeichen für “Achtung”, mit der Zusatztafel “Ausbauende”.

    Heißt das nun, dass hier das Ende der ausgebauten Strecke ist, oder sind hier “Ausbauende” dabei, weiter am Ausbau zu werkeln?

    Fragt sich mit eniem kleinen Grinsen
    Rappelkopf

  7. Dieses Verkehrsschild lässt tatsächlich einiges an Deutlichkeit zu wünschen übrig. Weitere Beispiele für ähnliche uneindeutige Wortbilder sind: Fußende, Schichtende, Spielende, Stauende, Streikende, Vorsitzende. Normalerweise erschließt sich problemlos aus dem Kontext, ob zum Beispiel das Ende des Streiks oder streikende Menschen gemeint sind. Beim Entwerfen von Verkehrsschildern ist aber erhöhte Vorsicht geboten, weil hier ja durch Platzmangel nur wenig Kontext möglich ist.

  8. …“wahlkämpfend“ – eine nicht selten Wortbildung, wenn Sprache etwas spitzfindig oder auch ironisch eingesetzt wird.
    Ich kann mir diesen Satz jedenfalls nicht allgemein-normal und deutral formuliert vorstellen.

    Trotzdem fand ich Interessantes aus Wahlkampfzeiten, ohne drohalben einen Sprachkampf zu befürworten:

    Für die Gesamtheit des 105 Belege im ZEIT-Archiv auf dwds.de eine stolze Spezialsparte des Journalismus:
    http://dwds.de/?view=1&qu=Wahlk%C3%A4mpfend

    Daraus ein Exemplum selektiert; weil es sich um die Sprache des Jochen Steffen handelt, samt eine Erinnerung an dessen Sprachmacht:

    „Als Jochen Steffen , der Spitzenkandidat der schleswig-holsteinischen SPD, im Wahlkampf die Präsenz der alliierten Truppen in der Bundesrepublik in eine Parallele zum Einmarsch der Sowjets in die Tschechoslowakei setzte, breitete sich allenthalben berechtigter Zorn aus. Aber schließlich handelte es sich um einen wahlkämpfenden Politiker – noch dazu um einen hemdsärmligen. Wenn aber fünf Monate später Thomas von der Vring, der Gründungsrektor der Bremer Universität, behauptet, eine CDU-Regierung an der Weser wäre für die Universität , was der Einmarsch der Russen für die ČSSR war, wenn also ein Homme de lettres nicht weiß, was Buchstaben, was Worte bedeuten, dann ist das etwas ganz anderes.“ („Dff“. In: Die Zeit, 10.09.1971. So von Frau Marion Dönhoff, abgekürzt gezeichnet)
    Nachzulesen: http://www.zeit.de/1971/37/nicht-zum-lachen

    Zur De-, pardon: Semantik, jdfls. [ˈjeːdn̩ˈfals]. der kämpferischen Attitüde des Polit-Sprachgebrauchs, sei erklärt: Für Demokraten od. Demokratien (?) gilt demnach eine besondere Wahrheitsform, die des Wahlmampfes, pardon: -kampfes.

    Wenn ich mich ‘wahlkämpfend’ mal äußern müsste, würde ich es wahlkämpferisch …, äh: tun (od. lassen).

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