Frage
Wo liegt der Grund dafür, dass der See männlich ist, die Nordsee und Ostsee aber weiblich? Ich fahre ja auch an die See, wenn ich ans Meer fahre. […] Das Meer ist auch die See. Der See ist ein Binnengewässer. Bin sehr auf Ihre Antwort gespannt.
Antwort
Sehr geehrte Frau L.,
ursprünglich war See ein männliches Wort und bezeichnete eine große Wasserfläche, die sowohl ein Binnensee als auch ein Meer sein konnte. Im Westgermanischen ist daneben schon früh eine weibliche Variante entstanden. Die heutige Bedeutungsunterscheidung zwischen der See = Binnensee und die See = Meer hat sich aber erst im Neuhochdeutschen allgemein voll herausgebildet.
Eine schöne Theorie zu dieser Bedeutungsunterscheidung sagt, dass man in den niederdeutschen Dialekten, also im Norden, die See sagte. Dort kannte man eigentlich nur das Meer und keine Binnenseen. Weiter im Süden, wo man der See sagte, hatte man umgekehrt Binnengewässer, aber kein Meer. Wenn diese Theorie stimmt, könnte man sagen, dass die See im heutigen Standardddeutschen, das auf dem Hochdeutschen basiert, ein Lehnwort aus dem Niederdeutschen ist. In meinem südlichen Dialekt gibt es auch heute noch nur der See und das Meer, die See verwenden wir nicht (außer in »importierten« Namen wie Ostsee und Nordsee).
Die strenge Unterscheidung zwischen der See und die See ist also sprachgeschichtlich relativ jüngeren Datums. Auffallend finde ich in diesem Zusammenhang, dass die meisten Zusammensetzungen mit See an erster Stelle etwas mit Meer zu tun haben: Vom Seehecht über den Seehund und den Seeteufel bis zur Seezunge, sie schwimmen alle im Salzwasser. Seeleute, Seefahrerinnen, Seeräuber und Seejungfrauen, sie alle haben ihren Wirkungsbereich auf dem oder im Meer. Eine Ausnahme ist die Seerose genannte Pflanze, deren Habitat nicht die See, sondern ein See oder ein anderes stilles Binnengewässer ist. Eine Erklärung für diese Verteilung muss ich Ihnen leider schuldig bleiben.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp