Ein Schwerpunkt bildet der …

Frage

Heißt es „Ein Schwerpunkt bildet der künstliche Kniegelenkersatz“ oder „Einen Schwerpunkt bildet der künstliche Gelenkersatz“?

Antwort 

Sehr geehrte Frau M.,

verdächtigerweise klingen beide Formulierungen irgendwie richtig. Grammatisch gesehen ist aber nur eine von ihnen korrekt. Mittelpunkt des Satzes ist das Verb bilden. Es verlangt ein Subjekt und ein Akkusativobjekt:

Wer oder was bildet wen oder was?

Subjekt und Akkusativobjekt sind in Ihrem Satz so verteilt: Das künstliche Kniegelenk (= Subjekt) bildet einen Schwerpunkt (= Akkusativobjekt). Wenn nun Schwerpunkt an den Satzanfang gestellt wird, bleibt es ein Akkusativobjekt. Es heißt deshalb:

Einen Schwerpunkt bildet der künstliche Kniegelenkersatz.

Auch mit dem Verb darstellen trifft man relativ häufig einen Nominativ an, wo ein Akkusativ stehen sollte. Es heißt also nicht:

*Ein Schwerpunkt stellt der Erwerb sozialer Kompetenzen dar.

sondern:

Einen Schwerpunkt stellt der Erwerb sozialer Kompetenzen dar.

Wie kommt es, dass hier relativ oft fälschlich ein Nominativ steht und dass dieser Nominativ auf den ersten Blick gar nicht so furchtbar falsch aussieht? Ich vermute, dass es daran liegt, dass die Verben bilden und darstellen vor allem die Funktion haben, das „langweilige“ sein zu vermeiden. Mit sein ist der Nominativ korrekt:

Ein Schwerpunkt ist der künstliche Kniegelenkersatz.
Ein Schwerpunkt ist der Erwerb sozialer Kompetenzen.

Es könnte also sein, dass die eigentlich gemeinte Konstruktion mit dem gewöhnlichen sein sich bei den Formulierungen mit den Ersatzverben bilden und darstellen doch in den Vordergrund drängt. Anders gesagt: Die Ersatzformulierung wird nur zum Teil durchgeführt. Nur das Verb, nicht aber die dazugehörende Konstruktion wird angepasst.

Wenn Schwerpunkt am Satzanfang stehen soll, gefällt mir persönlich übrigens die Formulierung mit dem schlichten sein besser als die Varianten mit bilden oder darstellen. Doch das ist natürlich eine reine Stil- und Geschmackssache.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

4 Gedanken zu „Ein Schwerpunkt bildet der …“

  1. Lieber Dr. Bopp

    Meine Vermutung, weshalb es (jedenfalls in der Schweiz) in diesem und vielen ähnlichen Fällen zu Verwechslungen von Nom. und Akk. kommt – ich erhalte fast täglich Mails und Briefe mit Formulierungen der Art: “… sende ich Ihnen der Prospekt …” -, ist, dass die beiden Kasus in der (Schweizer) Mundart in vielen Fällen homophon sind und somit nicht als unterschiedliche Fälle wahrgenommen werden: “ich gseh *dr* Maa” (Akk.) / “*dr” Maa stoht uf dr Strooss” (Nom.). Entsprechend kommt es dann auch im “Schriftdeutschen” zu entsprechenden Fehlleistungen: “En Schwerpunkt bildet dr künstligi …”.

    Beste Grüsse, Ilja Karenovics

  2. Es ist richtig, dass manchen deutschsprachigen Schweizerinnen und Schweizern gelegentlich der Nominativ und der Akkusativ durcheinandergeraten, weil die beiden Fälle in ihren Dialekten formal identisch sind. Dieser Fall ist insofern anders, als hier auch in den anderen deutschen Sprachregionen regelmäßig der Nominativ anstelle des Akkusativs erscheint.

  3. Damit ist dieser Fall doch nicht anders, sondern eben einer der auch von Ihnen gerade beschriebenen Fälle – es ist m. E. dabei unerheblich, in welcher Richtung die Verwechslung stattfindet, da sie eben in der Erfahrung dieser Sprecher aufgrund der von ihnen erlebten formalen Identität austauschbar sind: “en Schwerpunkt bildet” (CH) –> “einen Schwerpunkt bildet”. Jedenfalls würde die Tatsache, dass der Nominativ anstelle des Akk. steht (und nicht umgekehrt) nicht gegen meine These sprechen (oder habe ich Sie hier falsch verstanden)?

  4. Ihre Betrachtung ist für die Deutschschweiz eine mögliche Erklärung. Mit “ein anderer Fall” meinte ich, dass diese Erklärung 1. nur dort zutreffen kann und 2. es auch dort eine andere Erklärung geben kann, nl. diejenige, die auch für Sprachregionen gilt, in denen Nominativ- und Akkusativformen nicht identisch sind.

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