Der Anredenominativ macht nicht richtig mit

Frage

Eine Frage:

Für Sie, liebe Studienkollegen, beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
liebe Studienkollegen = lockere Apposition

Wie schaut es aus, wenn ich umstelle?

Liebe Studienkollegen, für Sie beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Wie kann ich den Satz analysieren?

Liebe Studienkollegen = Anrede
für Sie = Präpositionalobjekt
beginnt = Prädikat
ein neuer Lebensabschnitt = Subjekt

Könnte, ganz weit gefasst, die Anrede auch als Apposition verstanden werden?

Antwort

Guten Tag Frau R.,

im ersten Satz könnte die Anrede auf den ersten Blick als lockere Apposition gesehen werden. Es ist aber üblich, Anreden als relativ eigenständige Einheiten zu betrachten, die außerhalb der eigentlichen Satzkonstruktion stehen. So stehen sie zum Beispiel immer im „neutralen“ Nominativ (Anredenominativ). Man sieht das allerdings wie in Ihren Beispielen häufig nicht, deshalb hier zwei andere, anschaulichere Beispiele:

Für dich[Akk], lieber Studienkollege[Nom], beginnt ein neuer Lebensabschnitt.
Lieber Studienkollege[Nom], für dich[Akk] beginnt ein neuer Lebensabschnitt.

Zusammen mit Ihnen[Dat], liebe Studienkolleginnen[Nom], beginnen wir ein neues Jahr.
Liebe Studienkolleginnen[Nom], zusammen mit Ihnen[Dat] beginnen wir ein neues Jahr.

Ein zweites Indiz dafür, dass Anreden im Satz nicht richtig mitmachen, ist die Satzstellung. In einem Aussagesatz kann immer nur ein Satzglied im Vorfeld (vor der konjugierten Verbform) stehen. Wenn eine Anrede am Anfang eines Aussagesatzes steht, folgt nicht das Verb, sondern immer zuerst ein anderer Teil des Satzes:

nicht: Lieber Freund, habe ich gelesen deine Mail.
sondern: Lieber Freund, ich habe deine Mail gelesen.

Anreden stehen immer im Nominativ, können nicht das Vorfeld besetzen und gehören somit nicht zur eigentlichen Satzkonstruktion. Sie machen im Satz gewissermaßen nicht richtig mit. Es ist deshalb besser, liebe Studienkollegen in beiden Sätzen als Anrede zu bezeichnen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp