Eine Frage, die in unregelmäßigen Abständen immer wieder einmal auftaucht: allein stehendes jeder im Genitiv.
Frage
Folgendes ist ein klarer Genitivfall:
sich einer Sache bewusst sein
sich einzelner Schritte bewusst sein
sich seiner einzelnen Schritte bewusst sein
Wie sieht es aber aus, wenn das Indefinitpronomen „jeder“ vorangeht?
sich jeden seiner einzelnen Schritte bewusst sein
sich jedes seiner einzelnen Schritte bewusst sein
oder
sich jedem seiner einzelnen Schritte bewusst sein
Antwort
Guten Tag Frau H.,
keiner der beiden Vorschläge ist (zumindest standardsprachlich) korrekt. Das liegt daran, dass man die Genitivform jedes/jeden nur dann im Genitiv verwenden kann, wenn sie attributiv vor einem Nomen steht. Zum Beispiel:
im Leben jedes Menschen
am Ende jedes/jeden Tages (zu jedes/jeden siehe hier)
sich jedes einzelnen Schrittes bewusst sein
Wenn das Wort jeder nicht attributiv vor einem Nomen steht, kann es nicht im Genitiv verwendet werden. Für eine Erklärung, warum das genau so ist, müsste ich raten. Es geht ganz einfach nicht. Man muss dann auf eine andere Formulierung (z. B. ein jeder, alle, aber in diesem Fall nicht auf den Dativ) ausweichen:
im Leben eines jeden
im Interesse eines jeden / im Interesse aller
In Ihrem Satz wird jedes nicht attributiv verwendet, das heißt, es bestimmt nicht ein nachfolgendes Substantiv näher. Das Pronomen hat umgekehrt eine nähere Bestimmung bei sich, nämlich das Genitivattribut seiner einzelnen Schritte. Das sieht man gut, wenn man es durch die Fälle dekliniert:
Jeder seiner einzelnen Schritte ist gut vorbereitet.
Er hat jeden seiner einzelnen Schritte gut geplant.
Er hat bei jedem seiner einzelnen Schritten gut nachgedacht.
Und somit sind wir bei Ihrem Problem angelangt. Da die Genitivform jedes/jeden nur attributiv verwendet werden kann und hier keine attributive Verwendung vorliegt, muss auf eine andere Formulierung ausgewichen werden:
Man muss sich eines jeden seiner einzelnen Schritte bewusst sein.
Man muss sich all seiner einzelnen Schritte bewusst sein.
Siehe auch einen schon fast zehn Jahre alten Blogeintrag zu diesem Thema.
Das Gute an der komplizierten Sache ist, dass sich dieses Problem vor allem dann stellt, wenn man aus irgendeinem Grund ganz systematisch vorgehen will. Im normalen Sprachgebrauch vermeidet man solche Formen üblicherweise mehr oder weniger unbewusst, indem man eines der „Ausweichmanöver“ anwendet.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp