Frage
Könnten Sie mir vielleicht den semantischen Unterschied erklären zwischen „Ich sollte es schon gemacht haben“ und „Ich hätte es schon machen sollen“? Etwa wenn man ein Visum nach Russland beantragt und sich die Frage stellt, ob man bei der Anfrage das Hotel etc. „schon gebucht haben sollte“ oder „schon hätte buchen sollen“.
Antwort
Guten Tag Herr S,,
es gibt hier einen Bedeutungsunterschied, es ist aber nicht einfach, ihn auf Anhieb zu erkennen. Grob gesagt geht es darum, wann die durch sollen ausgedrückte „Verpflichtung“ besteht und wie sich das „Verpflichtete“ zeitlich dazu verhält. Spielen wir einmal theoretisch alle Möglichkeiten durch:
- Ich sollte es machen
„Verpflichtung“ in der Gegenwart, etwas zu machen - Ich sollte es gemacht haben
„Verpflichtung“ in der Gegenwart, etwas gemacht zu haben - Ich hätte es machen sollen
„Verpflichtung“ in der Vergangenheit, etwas zu machen - Ich hätte es gemacht haben sollen
„Verpflichtung“ in der Vergangenheit, etwas gemacht zu haben
Ihre Beispielsätze entsprechen den Formulierungen b und c.
Wenn man (b) das Hotel schon gebucht haben sollte, hat man in der Gegenwart die „Verpflichtung“, die Buchung vorgenommen zu haben. Wenn man (c) das Hotel schon hätten buchen sollen hat in der Vergangenheit die „Verpflichtung“ bestanden, die Buchung vorzunehmen.
Die Sache wird vielleicht dadurch schwieriger zu durchblicken, dass der Konjunktiv sollte zwar aussieht wie eine Vergangenheitsform, aber eine gegenwärtige Verpflichtung ausdrückt. Vgl. eine ähnliche Formulierung mit müssen:
- Sie müssten das Hotel schon gebucht haben.
- Sie hätten das Hotel schon buchen müssen.
Hier sieht man vielleicht etwas besser, dass eine irreale gegenwärtige Verpflichtung, etwas getan zu haben, und eine irreale vergangene Verpflichtung, etwas zu tun, zwar nicht dasselbe sind, hier aber mehr oder weniger auf das Gleiche hinauslaufen. Sehr groß ist der eingangs angekündigte Bedeutungsunterschied also nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
PS: Die Formulierungen mit sollte und müsste können je nach Kontext auch als Annahme oder Vermutung verstanden werden, vgl. hier und hier. Das ist aber eine ganz andere Frage.
Als Österreicher ist für mich die Vermutungs-Lesart für die Formulierungen mit „müsste/sollte etwas getan haben“ die einzig plausible, die andere wirkt für mein Sprachgefühl sehr unnatürlich.
Isolierte Sätze klingen schnell einmal unnatürlich. Die genaue Bedeutung von Modalverben wird häufig erst durch den Kontext klar. Hier ein meiner Meinung nach plausibles Beispiel, bei dem nicht eine Vermutung gemeint ist:
Ja, mit Kontext ist das wie intendiert verständlich, aber ich würde behaupten, dass in (Ost-)Österreich die natürliche Formulierung hierfür „hättest es selbst erleben müssen“ ist. (Mag mich natürlich irren, hab jetzt keine Korpuslinguistik dazu betrieben.)