Warnhinweis: Es folgt eine etwas haarspalterische Betrachtung zum Thema es, die vor allem Fans von grammatisch Kniffligerem interessieren könnte.
Frage
Ich habe eine Frage zur Funktion von „es“ als Korrelat. Zum Beispiel:
Er bereut es, sie besucht zu haben
Hier ist „es“ Korrelat zum Objektsatz. Dieses „es“ kann aber nicht im Vorfeld [an erster Stelle vor dem konjugierten Verb] auftreten, also nicht:
*Es bereut er, sie besucht zu haben
Ein anderes Beispiel:
Viele finden es gut, den Smalltalk witzig zu beginnen
Mit es im Vorfeld:
Es finden viele gut, den Smalltalk witzig zu beginnen
Wenn „es“ als Korrelat zum Objektsatz nicht vorfeldfähig ist, warum hört sich der zweite Satz doch richtig an? Haben Sie vielleicht eine Erklärung dafür?
Antwort
Guten Tag Herr K.,
wenn es um es geht, kann es im Deutschen ziemlich kompliziert werden. Es geht hier nämlich um zwei verschiedene es:
1) es als Korrelat zum Objektsatz (siehe hier)
Dieses es vertritt sozusagen den Nebensatz im übergeordneten Satz. Manchmal kann es weggelassen werden (erster Beispielsatz), manchmal aber eher nicht (zweiter Beispielsatz):
Er bereut [es], sie besucht zu haben.
Viele finden es gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.
Dieses es kann im Satz nicht an erster Stelle stehen:
nicht: *Es bereut er, sie besucht zu haben.
nicht: *Es finden viele gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.
2) Platzhalter-es im Vorfeld (siehe hier):
Das Pronomen es kann an erster Stelle im Satz stehen, wenn kein anderes Satzglied diese Stellung im Vorfeld einnimmt:
Jemand wartet auf dich.
Es wartet jemand auf dich.Ein Schrank steht im Gang.
Es steht ein Schrank im Gang.
Dieses Platzhalter-es kann im Prinzip immer stehen, es ist nur je nach Verb unterschiedlich üblich. In Ihrem zweiten Satz ist es relativ gut möglich:
Viele finden es gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.
Es finden es viele gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.
Beim Ihrem ersten Satz muss man sich etwas Mühe geben, um einen Kontext zu konstruieren, in dem ein Platzhalter-es vertretbar ist. Und auch dann klingt die Formulierung sehr gestelzt und ist wirklich kein stilistisches Meisterwerk:
Er kommt unverrichteter Dinge zurück.
Er bereut nun, sie besucht zu haben.Es kommt er unverrichteter Dinge zurück.
Es bereut er nun, sie besucht zu haben.
Der Satz, der oben unter 1) als nicht möglich bezeichnet wird, ist also zumindest theoretisch doch möglich. Das es ist dann aber kein Korrelat zum Objektsatz, sondern ein Platzhalter-es:
Er bereut es, sie besucht zu haben.
Es bereut er es, sie besucht zu haben.Er bereut, sie besucht zu haben.
Es bereut er, sie besucht zu haben.
Wie wir bereits gesehen haben, ist auch Ihr zweiter Beispielsatz möglich, aber meiner Meinung nach besser mit zwei es:
Viele finden es gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.
Es finden es viele gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.Viele finden gut, den Smalltalk witzig zu beginnen [?]
Es finden viele gut, den Smalltalk witzig zu beginnen [?]
Das Pronomen es kann so viele verschiedene Funktionen haben, dass wir ihm in unserer Grammatik eine eigene Seite gewidmet haben. Wie eingangs schon gesagt; Wenn es um es geht, kann es im Deutschen ziemlich kompliziert werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Interessant, für mich sind die Sätze mit doppeltem „es“ komplett indiskutabel und ungrammatisch:
Es finden es viele gut, den Smalltalk witzig zu beginnen.
geht für mich z. B. überhaupt nicht, das zweite „es“ muss hier für mich entfallen.
Die Verwendung des Platzhalter-es, die hier zu doppeltem „es“ führt, ist nicht immer gleich üblich. So ist seine Verwendung bei einem Subjekt in der 1. oder 2. Person nicht/kaum möglich. Auch bei den Beispielsätzen im Artikel sind die Formulierungen meiner Meinung nach zwar möglich, aber kaum gebräuchlich. Sie klingen ungewohnt, gestelzt und für Sie zum Teil sogar ungrammatisch.
Gerade weil wir uns hier in einem Randbereich des Möglichen/Akzeptablen befinden, vermeide ich im Artikel Begriffe wie „falsch“ oder „ungrammatisch“ zugunsten von „eher“ und „meiner Meinung nach“.
Ich finde diesen Satz nur mit „es“ gut formuliert:
Da das Platzhalter-es nicht das Korrelat-es ersetzten kann, ist für mich der Satz nur mit zwei „es“ möglich, wenn er mit einem Platzhalter-es formuliert wird:
Nochmals: Ich halte Formulierungen wie diese weder für üblich noch für stilistisch gelungen, aber für möglich.
Ich sollte als Amateurlinguist vermutlich nicht zu freimütig mit synaktischen Analysevorschlägen urassen, aber mir scheint, dass in meinem Grammatikalitätsverständnis bei den Konstruktionen, die Sie mit doppeltem „es“ bevorzugen, in meiner Sprachvarietät das initiale „es“ das andere schluckt (und bestenfalls eine Trace davon übriglässt), weswegen die Fassung mit zwei „es“ für mich so unnatürlich klingt.
Auch Amateurlinguisten und -linguistinnen haben ein recht auf eine Ansicht, zumal Sprache allen gehört. Die Sätze sind ohnehin ziemlich ungewöhnlich, ob sie nun mit einem oder zwei „es“ stehen.
Mein Lieblingssatz mit “Es…” am Anfang:
Es gibt kein Bier auf Hawaii, es gibt kein Bier. Drum fahr ich nicht nach Hawaii, drum bleib ich hier… (Paul Kuhn, 1963)