Frage
Es geht um den medizinischen Begriff „Fragiles-X-Syndrom“. Im Text, den ich bearbeite, wird das Adjektiv immer mitdekliniert, also „dem Fragilen-X-Syndrom“, „das Fragile-X-Syndrom“, „des Fragilen-X-Syndroms“ usw., und dies nicht nur im mir vorliegenden Text, sondern auch im Ärzteblatt und auf der […]-Website.
Aber die Beugung des Adjektivs ist doch nicht korrekt. Oder liege ich hier völlig falsch?
Antwort
Mit Fragiles-X-Syndrom wird eine Erbkrankheit bezeichnet, die durch eine genetische Veränderung auf dem X-Chromosom verursacht wird. Fragil ist nicht das Syndrom, sondern das X. Es ist das Syndrom des fragilen X. Die Zusammensetzung hat also diese Struktur:
fragiles X + Syndrom
Nach dieser Analyse ist die Beugung des Adjektivs tatsächlich nicht richtig, denn fragiles bezieht sich nicht auch Syndrom oder X-Syndrom, sondern nur auf X. Korrekt ist deshalb:
das Fragiles-X-Syndrom
dem Fragiles-X-Syndrom
des Fragiles-X-Syndroms
Zusammensetzungen mit einem Adjektiv mit Endung an erster Stelle sind im Deutschen sehr selten. Wenn Sie vorkommen, werden Sie häufig so gebeugt, wie wenn sich das Adjektiv auf den Wortkern und nicht nur auf das vor ihm stehende Substantiv beziehen würde. Das führt zu den Formen, die Sie in Ihrer Frage angeben:
das Fragile-X-Syndrom
dem Fragilen-X-Syndrom
des Fragilen-X-Syndroms
Ich zögere, diese Formen als wirklich falsch zu bezeichnen. Sie sind zwar rein formal betrachtet nicht korrekt. Sie klingen aber auf Anhieb natürlicher und sind, wie ein kurzer Blick ins Netz zeigt, viel üblicher als die Formen mit Fragiles-. Dies gilt auch für Fachtexte.
Auch bei zum Beispiel Saure-Gurken-Zeit (saure Gurken + Zeit) und Rote-Armee-Fraktion (Rote Armee + Fraktion) kommen häufig Formen vor, bei denen das Adjektiv gebeugt wird, obwohl es sich nicht auf den Wortgruppenkern bezieht:
der Sauren-Gurken-Zeit statt der Saure-Gurken-Zeit
der Roten-Armee-Fraktion statt der Rote-Armee-Fraktion
Auch hier werden die rein formal nicht korrekten Formen häufig als „alltagssprachlich“ toleriert (vgl. hier).
Wenn Sie im Text, den Sie bearbeiten, das Fragile-X-Syndrom und des Fragilen-X-Syndroms überall in das Fragiles-X-Syndrom und des Fragiles-X-Syndroms umändern, haben Sie zwar formal recht, es könnte aber sein, dass die Fachleute, die diesen Begriff in ihrem Beruf verwenden, nicht damit einverstanden sind. Und wer hat dann recht, die theoretische Grammatik oder der praktische Gebrauch? Ich würde für das Fragiles-X-Syndrom und des Fragiles-X-Syndroms plädieren, aber ich bin halt ein „Sprachler“.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Witzigerweise gibt es ein entgegengesetztes Phänomen:
In einer Art Hyperkorrektur werden Eigennamen nicht flektiert, d.h. man “arbeitet bei der Deutsche Bank” und man wohnt am “Alter Markt”. Ich erinnere mich noch an einen Slogan in der ARD, der so ähnlich lautete wie “Viel Spaß mit das Erste”.
Sie haben recht: Mehrteilige Eigennamen werden grundsätzlich gleich gebeugt wie „gewöhnliche“ Wortgruppen. Das gilt nicht nur für die gesprochene, sondern auch für die geschriebene Sprache. Hier einige mehr oder weniger bekannte Beispiele, die dieses Prinzip veranschaulichen sollen:
(Eine Ausnahme ist Alter Markt in Köln, weil es dort so üblich ist, den Namen nicht zu beugen, dass der Alter Markt und am Alter Markt nicht als Fehler gelten kann.)