Warum „unverzeihlicherweise“ verzeihlicherweise nicht im Wörterbuch steht

Bemerkung

Danke für die schnelle Antwort. Übrigens steht Ihr „unverzeihlicherweise“ nicht in der Canoo-Liste, auch „verzeihlicherweise“ nicht.

Reaktion

Guten Tag Herr S.,

man kann von vielen Adjektiven ein mehr oder weniger übliches Adverb auf –erweise bilden. Dies geschieht häufig auch ad hoc, das heißt ganz spontan während des Sprechens oder Schreibens. Deshalb listen Canoonet und andere Wörterbücher lange nicht alle möglichen Ableitungen mit –erweise auf. Dies nicht nur wegen Platzmangels, was ja in der heutigen digitalen Welt viel weniger ein Problem ist als in der Zeit der dicken, vielbändigen Wörterbücher, die noch auf Papier gedruckt und gebunden werden mussten. Es ist auch nicht möglich und nicht sinnvoll, alle Ableitungen zu erfassen, die schon einmal verwendet worden sind oder einmal verwendet werden könnten. Hier ein paar Beispiele möglicher Bildungen, die nicht in (allen) Wörterbüchern zu finden sind:

abartigerweise, blamablerweise, cholerischerweise, diabolischerweise, enttäuschenderweise, fahrlässigerweise, grinsenderweise

… und viele andere mehr – auch mit positiver Bedeutung. Diese Ableitungen sind lange nicht alle stilistische Meisterwerke, aber das bedeutet natürlich nicht, dass sie nicht möglich sind.

Das Gesagte gilt nicht nur für die Adverbbildung mit -erweise, sondern auch für andere Worbildungsarten, mit denen noch neue Wörter gebildet werden können. Beispiele sind Ableitungen von Verben mit den Suffixen -bar und -ung und ganz besonders die Substantivzusammensetzungen, die in unendlicher Zahl bildbar sind.

Ich nenne hier deshalb wieder einmal einen wichtigen Grundsatz: Dass ein Wort nicht in den Wörterbüchern steht, heißt noch lange nicht, dass es das Wort nicht gibt oder nicht geben kann!

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

5 Gedanken zu „Warum „unverzeihlicherweise“ verzeihlicherweise nicht im Wörterbuch steht“

  1. Apropos Suffix -bar:
    Nicht nur Verben wird heutzutage oft ein -bar angehängt. Auch das tolle Wort “unkaputtbar” hat es bereits in den Duden geschafft. (Wenn auch mit dem Hinweis: Werbesprache)

  2. Wobei man sagen muss, dass Wortbildungen mit -bar, die nicht ein Verb als Grundwort haben, in der Regel scherzhaft gemeint sind. Das gilt ja auch für unkaputtbar.

  3. Nach einer neuerlichen Nachdenkpause sind mir allerdings noch ein paar …_bar – Worte in den Sinn gekommen, die auch nicht unbedingt auf Verben basieren, zumindest nicht auf den ersten Blick:
    Scheinbar, wunderbar, sonderbar, unbar (…tschuldigung, das hat natürlich nichts mit dem Suffix -bar zu tun 🙂 ), unsichtbar, unhaltbar (?) … usw.

  4. Hier haben wir es mit alten Bildungen zu tun. Dann wird es oft komplizierter, weil so viel Entwicklungsgeschichte mitspielen kann: Das Adjektiv “scheinbar” geht auf ahd. “skīnbāri” zurück, “wunderbar” kommt von mhd. “wunderbære” und sonderbar auf ahd. “suntarbāri”. Ursprünglich trat “-bære” zusammen mit Substantiven auf. Seit der spätmittelhochdeutschen Zeit bildet es von Verben abgeleitete Adjektive und ist mit dieser Funktion bis in die heutige Zeit sehr produktiv (siehe hier). Neuere mit “-bar” gebildete Adjektive, die nicht von Verben abgeleitet sind, sind in der Regel scherzhaft gemeint.

  5. Danke für die Infos. Sprache ist doch irgendwie faszinierend. Manchmal frage ich mich tatsächlich, wie man etwas so Fließendes und sich ständig Änderndes in ein festes Regelwerk packen kann.

    Chapeau an alle Sprachforscher und Linguisten!

Kommentare sind geschlossen.