Reflexive Verben im Passiv: Es darf sich gewundert werden

Frage

Könnten Sie etwas über das „Reflexivpassiv“ sagen? Ich habe zum ersten Mal davon gehört und auch Beispiele gelesen:

Um ihn wird sich gekümmert werden.

Ich dachte immer, es gebe kein Passiv bei Reflexiven!

Antwort

Guten Tag Herr N.,

es wird tatsächlich häufig gesagt und gelehrt, dass reflexive und reflexiv verwendete Verben nicht im Passiv stehen können. Im Prinzip ist das auch richtig:

Sie kümmert sich um ihn
nicht: *Um ihn wird sich von ihr gekümmert

Er wäscht sich
nicht: *Er wird von sich gewaschen

Wir beeilen uns
nicht: Von uns wird uns/sich beeilt

Das Passiv ist aber nicht gänzlich ausgeschlossen, denn ohne Ausnahmen geht es auch hier nicht:

Selten kommt das Passiv bei reflexiven Verben zum Ausdrucks eines Befehls oder einer Aufforderung vor (vgl. hier):

Jetzt wird sich hingelegt!
Bevor ihr zu Bett geht, wird sich gewaschen

Sonst ist das Reflexivpassiv nur beschränkt möglich. Man kann es nur dann bilden, wenn es unpersönlich ist, das heißt, wenn es im Aktiv einem Satz mit dem unpersönlichen Subjekt „man“ entspricht:

Um ihn wird sich gekümmert werden
Bis in den frühen Morgen wurde gelacht, getanzt und sich amüsiert
Es konnte sich darauf geeinigt werden, das Spiel zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen

Wenn Sie sich nun wundern, dass Formulierungen wie die letzten drei Beispiele möglich sein sollen, kommen Sie wahrscheinlich nicht aus dem Nordosten oder der Mitte Deutschlands. Nach den Angaben der Variantengrammatik ist dieses Reflexivpassiv vor allem im Nordosten, aber weniger im Westen und kaum im Süden des deutschen Sprachraumes üblich (siehe hier).

Sie stehen mit Ihrer Verwunderung auch nicht allein: Nach der Dudengrammatik (2016, Randnr. 800) kommen solche Passivformen vor, sie werden aber nicht von allen als korrekt akzeptiert. Ich persönlich verwende dieses Reflexivpassiv nicht und empfinde es zumindest als „auffällig“, wenn ich ihm begegne. Ich komme eben aus dem Süden.

Wenn es darum geht, ob es reflexive Verben im Passiv gibt, lautet die Antwort also ja – aber es darf sich gewundert werden.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

2 Gedanken zu „Reflexive Verben im Passiv: Es darf sich gewundert werden“

  1. Lieber Herr Bopp,

    da ich aus dem Norden komme, empfinde ich diese Sätze tatsächlich nicht als unangenehm oder auffällig. Allerdings hat meine Mutter immer gesagt: “Erst werden sich die Hände gewaschen.” Das Verb also im Plural. Das hört sich für meine Ohren auch richtiger an. Findet man hierzu etwas in den Grammatiken?

    Herzliche Grüße
    Ove Heinrichsen

  2. Das Beispiel “Bevor wir anfangen, wird sich die Hände gewaschen” war schlecht gewählt, weil beim Vorhandensein eines Akkusativobjekts meist ohne “sich” formuliert wird:

    Bevor wir anfangen, werden die Hände gewaschen

    Wenn doch reflexiv formuliert wird (umgangssprachlich?), kommt beides vor, häufiger allerdings der Plural:

    Bevor wir anfangen, wird/werden sich die Hände gewaschen

    Ich habe das Beispiel im Artikel der Einfachheit halber angepasst.

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