Am Haus vorbei, unter der Brücke hindurch, über den Berg hinweg – Wechselpräpositionen, Bewegung an etwas vorbei und die Fälle

Frage

Im Kapitel zu den Präpositionen, die mit dem Dativ und dem Akkusativ stehen können, schreiben Sie (siehe hier):

  • Der Dativ ist mit einem nicht zielgerichteten, statischen Zustand verbunden (Frage: wo?).
  • Der Akkusativ ist mit einem zielgerichteten, dynamischen Geschehen verbunden (Frage wohin?)

Zuerst möchte ich 3 verschiedene Fälle von „über“ vorstellen:

  1. Ich lege die Plane über das Auto.
    Ziel ist das Auto → Akkusativ
  2. Der Vogel schwebt über dem Berg.
    Hier gibt es zwar Dynamik, aber der Berg ist nicht das Ziel, sondern der Ort der Bewegung → Dativ
  3. Der Vogel fliegt über den Berg.
    Hier gibt es zwar Dynamik, aber der Berg ist nicht das Ziel, denn der Vogel fliegt am Berg vorbei

Analog dazu möchte ich 3 verschiedene Fälle von “an” vorstellen:

  1. Ich fahre mit dem Auto an den Strassenrand.
    Ziel ist der Strassenrand → Akkusativ
  2. Das Auto steht am Straßenrand.
    Hier gibt es keine Dynamik → Dativ
  3. Der Ball rollt an meinem Freund vorbei.
    Hier gibt es zwar Dynamik, aber der Freund ist nicht das Ziel, denn der Ball rollt am Freund vorbei

[…] Schwierig ist vor allem der dritte Fall, die Bewegung an etwas vorbei. Bei „über“ steht der Akkusativ und bei „an“ steht er Dativ. […]

Antwort

Guten Tag Herr S,

Ihre Beispiele zeigen, dass die Verwendung der sogenannten Wechselpräpositionen (an, auf, hinter, in, neben, über, unter, vor, zwischen) komplexer ist, als die Schulregeln es vermuten lassen. Die Unterscheidung zwischen Dativ bei „statisch–wo?“ und Akkusativ bei „dynamisch–wohin?“ ist zwar sehr hilfreich, aber sie deckt nicht alle Fälle ab. Wie Ihre Beispiele zeigen, gibt es nämlich noch mindestens einen weiteren Fall. Ich würde es wie folgt umschreiben:

  1. Ziel der Bewegung → Akkusativ
  2. Ort der Bewegung/Handlung → Dativ
  3. Ort, an dem die Bewegung vorbeiführt → Dativ

Das gilt für viele, aber nicht für alle Wechselpräpositionen. Zuerst ein paar Beispiele mit Wechselpräpositionen, für die diese Darstellung stimmt:

  1. Der Ball rollt an den Straßenrand.
  2. Der Ball rollt am Straßenrand.
  3. Der Ball rollt an meinem Freund vorbei.
  1. Ich laufe hinter das Haus.
  2. Ich laufe hinter dem Haus.
  3. Ich laufe hinter dem Haus vorbei.
  1. Sie stellt das Auto neben die Kirche.
  2. Sie lässt das Auto neben der Kirche stehen.
  3. Sie fährt neben der Kirche vorbei.
  1. Wir gehen unter die Brücke.
  2. Wir verstecken uns unter der Brücke.
  3. Wir gehen unter der Brücke hindurch.
  1. Ich gehe vor das Haus.
  2. Ich gehe vor dem Haus hin und her.
  3. Ich gehe vor dem Haus vorbei.
  1. Wir fahren zwischen die Bäume.
  2. Wir halten zwischen den Bäumen.
  3. Wir fahren zwischen den Bäumen hindurch.

Für die Präpositionen „in“, „auf“ und „über“ funktionieren a) und b) noch nach dem gleichen Prinzip. Bei c) sieht es dann aber anders aus.

Mit „in“ kann keine Bewegung an etwas vorbei ausgedrückt werden. Diese Funktion erfüllt in der Regel „durch“:

  1. Sie fährt in die Tiefgarage.
  2. Sie fährt in der Tiefgarage.
  3. Sie fährt durch die Tiefgarage.

Auch mit „auf“ kann keine Bewegung an etwas vorbei ausgedrückt werden. Diese Funktion übernimmt meist „über“ mit Akkusativ:

  1. Ich spaziere auf den Berg.
  2. Ich spaziere auf dem Berg.
  3. Ich spaziere über den Berg.

Der Spezialfall ist vor allem „über“. Mit „über“ kann eine Bewegung an etwas vorbei ausgedrückt werden, aber anders als bei den oben stehenden Präpositionen steht dann der Akkusativ:

  1. Ich lege die Plane über das Auto.
  2. Die Plane liegt über dem Auto.
    Der Vogel schwebt über dem Berg.
  3. Ich werfe den Ball über das Auto.
    Der Vogel fliegt über den Berg.

Der Vogel fliegt also an mir vorbei, hinter dem Haus entlang, neben der Scheune durch, vor dem Nachbarhaus vorbei, zwischen den Bäumen und unter der Stromleitung hindurch und schließlich über den Hügel hinweg aus dem Blickfeld. Der Vogel fliegt überall vorbei und überall steht die Wechselpräposition dabei mit dem Dativ – außer bei „über“.

Man könnte hieraus also eine Art Regel ableiten, aber ob die Sache für Deutschlernende damit wirklich einfacher wird?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp