Frage
Im Zusammenhang mit Abkürzungen ist mir aufgefallen, dass es Abkürzungen nicht nur für Substantive, Adjektive, Adverbien und Partikeln gibt, sondern auch „s.“ für „siehe“ und „vgl.“ für „vergleiche“, das heißt für flektierte Verbformen (beides Imperativ der 2. Person Singular). Wenn ich diese Abkürzungen verwende, duze ich dann den Leser? Gibt es noch andere Abkürzungen für flektierte Verben?
Antwort
Guten Tag Herr H.,
wenn man davon ausgeht, dass „siehe“ und „vergleiche“ hier einfach Imperativformen sind, sieht es tatsächlich so aus, als würde man die Leserschaft duzen. Wären dann für höfliche Menschen nicht eher Formulierungen wie „sehen Sie“ und „vergleichen Sie“ angebracht? – Nein, das muss nicht sein.
Die Form „siehe“ ist eine spezielle Imperativform, die fast nur in gewissen Ausrufen und eben bei Verweisen vorkommt:
Siehe da!
Siehe unten/Seite 22/nächstes Kapitel/…
Der „normale“ Imperativ Singular von „sehen“ kommt in der Regel ohne die Endung e aus:
Ändere die Einstellungen und sieh was passiert!
Sieh ihn als das, was er ist!
Bei „vergleiche“ könnte man mit ganz viel gutem Willen auch sagen, dass es eine Verkürzung von „man vergleiche“ ist, also ein Konjunktiv der dritten Person Singular (vgl. „man bemerke“).
Es ist aber gar nicht so wichtig, ob „siehe“ eine spezielle Form ist und „vergleiche“ als Konjunktiv angesehen werden kann. In Texten sind „s.“ und „siehe“ bzw. „vgl.“ und „vergleiche“ feststehende Ausdrucksformen, die nicht als Duzformen empfunden werden, ganz gleich wie man sie formal interpretiert. Sie können also auch als höflicher Mensch diese Art zu verweisen in Ihren Texten verwenden, ohne dass Sie damit riskieren, jemandem zu nahe zu treten.
Konjugierte Verbformen sind bei den gebräuchlichen Abkürzungen tatsächlich vergleichsweise selten. Hier noch ein paar Beispiele:
erg. = ergänze
d. h. = das heißt
d. i. = das ist
u. A. w. g. = um Antwort wird gebeten
Etwas häufiger sind Abkürzungen für infinite Verbformen (Partizip, Infinitiv), zum Beispiel:
anschl. = anschließend
beil. = beiliegend
erw. = erwähnt; erweitert
hrsg. = herausgegeben
übers. = übersetzt
zgst. = zusammengestellt
abk. = abkürzen
b. w. = bitte wenden
So viel zu bei V. übl. Abk. Wie man sieht, ist abgekürzt zwar kurz und bündig, aber nicht immer allzu lesefreundlich (und höflich?).
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Ich habe mich schon öfter gefragt, warum “usw.” heutzutage nicht mehr “u. s. w.” abgekürzt wird, und ob man nun auch “undsoweiter” auschreiben könnte.
Es gibt keine allgemeingültigen Regeln, wie man abkürzen muss. Wenn ein Punkt verwendet wird, steht er im Allgemeinen dort, wo abgebrochen wird (Abk. = Abkürzung; z. B. = zum Beispiel).
Richtig ist aber auch, was üblich ist. Für “und so weiter” und “et cetera” hat sich die Schreibung mit nur einem Punkt am Schluss eingebürgert: “usw.” bzw. “etc.”. Da dies keiner festen Regel entspricht, darf man nicht umgekehrt folgern, dass “undsoweiter” oder “etcetera” geschrieben werden kann. Das ist (vorläufig?) nicht korrekt.
Da muss ich jetzt doch eine kleine Anekdote beisteuern. Vor gut 40 Jahren habe ich in der Auslandsabteilung einer Bank gearbeitet. Damals gab es noch die sogenannten Fernschreiber (Telex). Dabei hatte man sich tunlichst kurz zu halten, da ja erstens die Telefongebühr zu berappen war und zweitens die Telefonleitungen kaum genügend Kilobytes schlucken konnten.
Unser Textschluss war da normalerweise „dks u aws“, was Eingeweihte als „Danke sehr und Auf Wiedersehen“ sofort verstanden. Wir in der Auslandsabteilung haben allerdings schon ab und zu von unseren Korrespondenzpartnern ein Antwortfax bekommen: „dks u aws“ = ???. Was dann nach dem Senden der Erklärung wohl ein kleines Grinsen auf beiden Seiten ausgelöst haben mag.