Heute wieder einmal „einschließlich“, weil’s so schön komplex ist:
Frage
Ich habe gerade folgenden Satz übersetzt:
Es handelt sich bei dieser Versicherung um eine kombinierte Reiserücktritt- und Abbruchversicherung einschl. ärztlichem Notdienst.
Normalerweise muss bei „einschließlich“ ja der Genitiv stehen und der Dativ lediglich in gewissen Fällen im Plural. Dennoch scheint mir der Dativ in diesem Fall vom Gefühl her richtig zu sein. Was ist richtig, Dativ oder Genitiv?
Antwort
Guten Tag Herr P.,
man hört und liest zwar häufig andere Formulierungen, aber standardsprachlich gilt in Ihrem Satz nur der Genitiv als richtig:
Es handelt sich bei dieser Versicherung um eine kombinierte Reiserücktritt- und Abbruchversicherung einschl. ärztlichen Notdienstes.
Das macht irgendwie einen sehr gehobenen oder gezierten Eindruck. Die Formulierung klingt vielleicht etwas natürlicher, wenn Sie den Artikel einfügen:
Es handelt sich bei dieser Versicherung um eine kombinierte Reiserücktritt- und Abbruchversicherung einschl. des ärztlichen Notdienstes.
Warum wird häufig anders formuliert und warum sind wir häufig unsicher? Es könnte damit zu tun haben, dass standardsprachliches „einschließlich“ im Prinzip zwar den Genitiv verlangt:
die Versandkosten einschließlich des Portos
Catering einschließlich aller Getränke
Reise- und Abbruchversicherung einschließlich [des] ärztlichen Notdienstes
… dass dem aber auch standardsprachlich nicht immer so ist. Die wichtigsten Ausnahmen sind:
Ein allein stehendes Substantiv (ohne vorhergehendes gebeugtes Artikelwort oder Adjektiv) im Singular wird in der Regel nicht gebeugt:
die Versandkosten einschließlich Porto
die Seitenzahl einschließlich Inhaltsverzeichnis
Reise- und Abbruchversicherung einschließlich Notdienst
Ein Substantiv im Plural, das nicht von „der“ und oder einem anderen Wort mit der Genitivendung -er begleitet wird, steht im Dativ:
Catering einschließlich Getränken
zehn Personen einschließlich Familienmitgliedern und Freunden
LED-Lichtpaket einschließlich vier Rückfahrscheinwerfern
Und damit es so richtig schön kompliziert wird, sei noch erwähnt, dass die Eigennamen sich sich zum Teil anders verhalten:
viele Länder einschließlich Italien/Italiens
alle Gemeinden einschließlich Wien/Wiens
fünf Personen einschließlich Peter
die Vorstandsmitglieder einschließlich Sandra Meier
Ist es verwunderlich, dass uns bei so vielen Sonderregeln nach „einschließlich“ (und übrigens auch „ausschließlich“, „inklusive“ und „exklusive“) hin und wieder die Fälle durcheinandergeraten?! Eine kurze Zusammenfassung für „Notfälle“ finden Sie hier.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Auch hier wundert es mich, dass etwas, das einerseits “standardsprachlich” ist, andererseits “einen sehr gehobenen oder gezierten Eindruck” machen kann. Schließt das eine nicht das andere aus? Grundsätzlicher gefragt: Kann etwas in der gesprochenen Sprache überhaupt überleben, das geziert daherkommt?
Etwas, das in der Sprache „geziert daherkommt“, wird wahrscheinlich nicht überleben oder sich auf die sog. gehobene oder poetische Sprachebene zurückziehen.
Der Genitiv ist im Deutschen dann noch springlebendig, wenn es um Nominalgruppen mit einem Artikelwort geht.
Wenn kein gebeugtes Artikelwort und auch kein gebeugtes Adjektiv vorhanden sind, stehen Nominalgruppen heute nicht mehr im Genitiv. Man weicht je nach der syntaktischen Konstruktion auf eine von-Gruppe, den Nominativ oder den Dativ aus:
In einem Übergangsbereich befinden sich die Wortgruppen, die kein Artikelwort, aber ein gebeugtes Adjektiv enthalten. Sie können im Genitiv stehen, was aber auch standardsprachlich nicht mehr in allen Kontexten die einzige akzeptierte Lösung ist:
Gewisse Nominalgruppen dieser „Übergangsgruppe“ können einen etwas gezierten oder gehobenen Eindruck machen. Das gefällt „Genitivfans“ meist gut, lässt aber andere häufig zweifeln und auf andere Formulierungsarten ausweichen. Wahrscheinlich werden die Zweifelnden „gewinnen“.
(Diese Darstellung ist übrigens sehr vereinfacht. Bei der Wahl zwischen dem Genitiv und anderen Ausdrucksmitteln spielen noch weitere Kriterien eine Rolle. Außerdem werden die alternativen Formulierungen zum Teil sehr unterschiedlich bewertet.)
Ein Punkt, den man (eigentlich jedesmal) bei der Verwendung der Begriffs Standardsprache berücksichtigen sollte, ist, von *welcher* Standardsprache man spricht, denn *die* Standardsprache gibt es nicht.
In Sachen Grammatik dürfte das weniger ausgeprägt sein als für Wortschatz und Aussprache. Wortschatz: das Variantenwörterbuch des Deutschen (Autorenkollektiv der Universitäten Basel, Duisburg, Innsbruck, erschienen 2004 be De Gryter, Berlin) spricht alleine für Deutschland von sechs Sprachregionen. Es ist auch bekannt, dass der Sprachgebrauch der Schweiz sich deutlich von dem nördlich des Rheins unterscheidet, und mir ist, von einer deutlichen Dativlastigkeit im Süden des deutschen Sprachraums gehört zu haben.
Zum Beispiel soll der Alemanne lieber mal “vom” + Dativ als “des” + Genitiv benutzen.
Offenbar ist die Variantengrammatik des Deutschen, ein Buchprojekt ähnlich dem (des?) Variantenwörterbuch(s) zwar angedacht und sogar angefangen sein, aber wohl nicht sehr fortgeschritten. Schade.
Wie sieht das “dr Bopp”?
(Ich hoffe, ich habe mit dem schweizerisch-akademischen Wortspiel niemanden vergrault…)
Man müsste tatsächlich jedesmal erwähnen, was genau mit dem Begriff “Standardsprache” gemeint ist und dass es verschiedene Varianten der Standardsprache gibt. Das wäre aber in einer Fragenrubrik wie dieser nicht sehr praktisch. Die Artikel sind jetzt schon immer viel zu lang … Ich verwende den Begriff dann, wenn es keine oder nicht allzu große regionale Unterschiede gibt. Das ist meist eine Verallgemeinerung, aber immer noch “subtiler” als einfach “richtig” und “falsch” zu sagen.
Bei “einschließlich” gilt von Nord bis Süd und von West bis Ost im Prinzip der Genitiv als korrekt. Davon wird häufig abgewichen (und entsprechend werden die Abweichungen vielleicht einmal Standard werden). Der Dativ nach “einschließlich” bei Wortgruppen mit Artikel kommt wahrscheinlich im Süden häufiger vor als im Norden und Osten des deutschen Sprachraums.
Bei Ihrem Wortspiel handelt es sich übrigens um ein Beispiel, bei dem gerade nicht der Genitiv, sondern der Dativ standardsprachlich als korrekt gilt: “ähnlich dem Variantenwörterbuch”. Mehr dazu hier.
Und hier noch die Adresse des empfehlenswerten Variantenwörterbuchs, das Sie erwähnen:
http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Start
Oha, ich wusste nicht, dass in Sachen Variantengrammatik was veröffentlicht wurde. Vielen Dank für den Link! Danke auch für die Aufklärung des Dativs, als Obersüdhöchsthochalemanne hat man sich da schnell mal im Verdacht…
Mit dem Wortspiel war übrigens “dr Bopp” gemeint, mit Aussprache des akademischen Titels wie geschrieben, was der Aussprache des Wörtchens “der” in mehreren schweizerischen Dialekten – auch meinem. Aber das wussten Sie ja schon.
Schöne Feiertage!