Frage
Ich habe eine Frage zum Thema „doppelte Verneinung“. In einer bayrischen Online-Zeitung stand vor kurzem folgende Überschrift:
#Faktenfuchs: Nein, beim Impfen werden keine Mikrochips eingesetzt
Ich habe daraufhin geschrieben: „… es werde also doch Chips eingesetzt.“ Die Antwort der Zeitung war: „Bei dieser Überschrift handelt es sich nicht um eine doppelte Verneinung. Das Satzzeichen trennt die beiden Sätze voneinander.”
Da laust mich doch der A….. – Hat sich unsere Sprache schon so verselbständigt, dass nun jeder schreibt, wie er will? Wann endlich wird es für solche Fälle Klarheit geben? Es kann doch nicht so schwer sein. Andere Sprachen können das doch auch!
Antwort
Guten Tag Herr S.,
die Zeitung hat recht. Es handelt sich hier nicht um eine doppelte Verneinung, auch wenn zwei verneinende Elemente vorkommen. Es handelt sich um eine negative Antwort oder Entgegnung, die aus zwei separat zu betrachtenden Teilen besteht. Die Überschrift, die Sie zitieren, ist als Antwort auf eine Frage oder als Entgegnung auf eine Aussage zu verstehen:
– Werden bei der Impfung Mikrochips eingesetzt?
– Nein, bei der Impfung werden keine Mikrochips eingesetzt.– Bei der Impfung werden Mikrochips eingesetzt.
– Nein, bei der Impfung werden keine Mikrochips eingesetzt.
Die Antwort oder Entgegnung besteht aus zwei Teilen: aus der Antwortpartikel „nein“ und einem verneinten Satz. Hier werden zwei einfache Verneinungen nebeneinandergestellt. Dass sie separat zu betrachten sind, zeigt in der Schrift das Komma und in der gesprochenen Sprache eine kurze Pause an. Vielleicht illustrieren ein paar einfache Beispiele etwas besser, dass wir häufig so formulieren:
– Geht es dir gut?
– Nein, mir geht es nicht gut.– Hast du jemanden gesehen?
– Nein, ich habe niemanden gesehen.– Ich habe recht.
– Nein, du hast nicht recht.
Es kommen jeweils zwei verneinende Wörter vor, aber es handelt sich bei diesen Äußerungen nicht um doppelte Verneinungen. Die verneinende Wirkung von „nein“ erstreckt sich nämlich nicht auf den ihm folgenden Satz. Es ist eine selbstständige Einheit, die sozusagen als eigenständiger Satz betrachtet werden kann. Das ist ohne Zweifel klar und gilt allgemein für das Deutsche. Niemand würde wie folgt verneinend formulieren:
– Ich habe recht.
– Nein, du hast recht.
Diese Entgegnung ist nicht möglich, weil die verneinende Wirkung von „nein“ beim Komma stoppt, so dass das Nachfolgende eine eigene Verneinung benötigt, wenn es verneint zu verstehen ist:
– Ich habe recht.
– Nein, du hast nicht recht.
Das gilt nicht nur für das Deutsche, sondern auch für andere Sprachen. So enthalten die folgenden Übersetzungen von „Nein, du hast nicht recht“ auch jeweils zwei verneinende Elemente: „No, you are not right“; „Nee, je hebt niet gelijk“, „No, non hai ragione“, „Non, tu n’as pas raison“, „Ne, nemáš pravdu“.
Im Gegensatz dazu haben wir es bei den folgenden Beispielen mit einer doppelten Verneinung zu tun, die zu zumindest standardsprachlich zu einer Bejahung wird:
Bei der Impfung werden nicht keine Mikrochips eingesetzt.
(= Es werden Mikrochips eingesetzt)
Du hast nie nicht recht.
(= Du hast immer recht)
Mir geht es nicht nicht gut.
(= Mir geht es gut)
Niemand hat mich nicht gesehen.
(= Alle haben mich gesehen)
Hier stehen die beiden Verneinungen nicht separat nebeneinander. Sie haben beide denselben Wirkungsbereich und heben sich dadurch gegenseitig auf.
Die Tatsache, dass in einer Äußerung zwei Verneinungen vorkommen, bedeutet nicht immer, dass es sich um eine doppelte Verneinung mit bejahender Bedeutung handelt. Wenn die verneinten Elemente selbstständig nebeneinanderstehen, wie dies bei „nein“ und einem verneinten Satz der Fall ist, heben sie sich nicht gegenseitig auf. Sie sind als Wiederholung zu verstehen und bleiben verneint.
Die Überschrift, die Sie bemängeln, bedeutet somit eindeutig, klar und in Übereinstimmung mit der deutschen Grammatik, dass bei der Impfung keine Mikrochips eingesetzt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Wobei Aussagen mit einer Verneinung schon manchmal verwirrend sein können. Ich lese auch gerade eine Zeitungsüberschrift: „Alle Vögel sind nicht mehr da“.
Natürlich soll das ein Anklang an das Volkslied „Alle Vögel sind schon da“ sein. Aber trotzdem, man kann wahlweise verstehen: Es sind keine Vögel mehr da, oder aber: Nicht mehr alle Vögel sind da. Gesprochen kann man das mit der Betonung ein bisschen steuern, sonst meistens aus dem Zusammenhang. In diesem Fall natürlich dann im Zeitungsartikel. Es sind schon noch Vögel da, aber eben nicht mehr alle, die man früher so im Winter gesehen hat.
Auch bei diesem Beispiel geht es letztlich darum, wie groß der Wirkungsbereich der Verneinung ist. Wenn nicht (mehr) den ganzen Satz verneint, steht es weit hinten:
So auch hier:
Mit nicht wird hier also der ganze Satz verneint. Der verneinte Satz bedeutet deshalb eigentlich, dass keine Vögel mehr da sind. Wenn gesagt werden soll, dass nur ein Teil der Vögel nicht mehr da ist, muss nur dieser Satzteil verneint werden, indem man die Verneinung vor ihn stellt:
Der Satz Alle Vögel sind nicht mehr da klingt aus noch einem anderen Grund seltsam. Er müsste bedeuten das alle nicht mehr da sind. Häufiger wird alle nicht mit kein(e) ausgedrückt.
üblicher:
oder:
Wie ist es denn bei diesem Text:
Hugo und Otto haben gemeinsam ein Geschenk gekauft. Hugo sichert zu, dass er das Geschenk nicht Berta sowie ihren Freundinnen nicht ohne Erlaubnis von Otto zukommen lässt.
Was hat denn Hugo damit zugesichert?
Hugo hat damit etwas gänzlich Unverständliches zugesichert. Selbst wenn man den Satz als grammatisch korrekt ansieht, ist seine Bedeutung kaum erschließbar.
Wenn man “nicht ohne Erlaubnis” durch gleichbedeutendes “nur mit Erlaubnis” ersetzt, enthält der Satz nur noch eine Verneinung:
Ich vermag auch dem zweiten Satz keine sinnvolle Bedeutung zu entlocken. Eine theoretisch mögliche Interpretation ist, dass Hugo das Geschenk Berta auch ohne Erlaubnis von Otto zukommen lässt. Dann steht aber das erste “nicht” an der falschen Stelle:
Wenn wir nun für “nur mit Erlaubnis” wieder “nicht ohne Erlaubnis” einsetzen:
Das müsste dann auch so viel wie “auch ohne Erlaubnis” bedeuten, ist aber für kaum jemanden veständlich.
Eine zweite Interpretation von a) könnte sein, dass Hugo nicht Berta (und ihren Freundinnen), sondern einer anderen Person das Geschenkt nicht ohne Erlaubnis von Otto zukommen lässt. Berta und Freundinnen können das Geschenk auch ohne Erlaubnis von Otto erhalten, die andere Person aber nur mit Erlaubnis. Diese Interpretation ist theoretisch möglich, aber wenig realistisch und sowieso kaum verständlich.
Wie sieht es denn bei folgendem Beispiel aus?
, aber nicht ohne Kritik zu üben.
, aber nicht ohne mit Kritik zu sparen.
Wird das “nicht” weggelassen ergeben sich zwei unterschiedliche Aussagen, so ergeben beide Sätze aber den gleichen Sinn.
Zuerst muss gesagt werden, dass die beiden Sätze weder mit noch ohne nicht dieselbe Bedeutung haben.
Auch hier handelt es sich um eine doppelte Verneinung, das heißt, nicht und ohne haben denselben Bereich. Das nicht kehrt die verneinende Bedeutung von ohne um.
Die Kombination nicht ohne mit im zweiten Satz ist allerdings nur schwer verständlich. Hinzu kommt die negative Bedeutungskomponente nicht viel von sparen. Dadurch wird der Satz unverständlich. Das sollen die beiden Fragezeichen oben angeben. Der zweite Satz ist als theoretisches Sprachpuzzle interessant, aber in der Sprachrealität durch seine Komplexität praktisch unbrauchbar.
Immer noch schwierig, aber knapp verständlich ist diese Konstruktion mit einem Verb, das keine negative Bedeutungskomponente hat: