Frage
Wir sind uns bei der Verwendung des Konjunktivs I nicht ganz einig. Könnten Sie bitte helfen? Es geht um die Verben des Meinens, Glaubens, Denkens in der ersten Person Präsens mit einem Objektsatz. Kann man hier den Konjunktiv I verwenden, um seine subjektive Sicht auszudrücken und zuzugestehen, dass man vielleicht falsch liegt? Beispiele:
Ich denke, Tanzen sei spannend.
Ich finde, dass das Kleid schön sei.
Ich nehme an, er sei krank.
Ich vermute, dass sie jetzt in der Schule sei.
Ich bin der Meinung, dass Alkohol ungesund sei.
Antwort
Guten Tag Frau S.,
bei Verben des Sagens, Denkens, Glaubens, Meinens usw. wird mit dem Konjunktiv angegeben, dass das Gesagte als indirekte Wiedergabe der Äußerung einer Drittperson verstanden werden soll. Man gibt an, dass man nicht die eigenen Worte/Gedanken äußert, sondern die Worte/Gedanken anderer wiedergibt.
Wenn das Subjekt des einleitenden Verbs eine erste Person ist, drückt der Sprecher bzw. die Sprecherin direkt die eigene Meinung, die eigenen Gedanken usw. aus. Der Konjunktiv, der Indirektheit anzeigt, ist deshalb nicht üblich. Möglich ist nur der Indikativ:
Ich denke, dass Tanzen spannend ist.1
Ich finde, dass das Kleid schön ist.
Ich nehme an, dass er krank ist.1
Ich vermutet, dass sie jetzt in der Schule ist.
Ich bin der Meinung, dass Alkohol ungesund ist.
Dann zum Aspekt der Subjektivität oder der Einschränkung des Gültigkeitsanspruchs, den der Konjunktiv auch ausdrücken kann: Dass es sich um eine subjektive Meinung handelt, mit der man falschliegen könnte, wird durch das einleitende Verb ausgedrückt. Dieser Aspekt ist bereits in der Bedeutung von „denken“, „finden“, „annehmen”, „vermuten“ usw. enthalten. Wenn man sicher ist, verwendet man nicht diese Verben, sondern zum Beispiel „ich weiß, dass“ oder man macht die Aussage ohne einleitendes Verb:
Tanzen ist spannend.
Er ist krank.
Ich weiß / bin sicher, dass er krank ist.
Bei Sätzen dieser Art (indirekte Rede) ist also der Konjunktiv nicht üblich, wenn das einleitende Verb in der ersten Person steht. Das ist allerdings nicht die ganze Wahrheit. Alle Beispiele oben stehen nämlich im Präsens. In der Vergangenheit sieht es anders aus: In der Vergangenheit ist der Konjunktiv auch bei der ersten Person möglich. Durch den zeitlichen Abstand ist sozusagen Indirektheit entstanden:
Ich dachte, Tanzen sei spannend.
Ich fand, dass das Kleid schön sei.
Ich habe angenommen, er sei krank.
Ich vermutete, dass sie in der Schule sei.
Ich war der Meinung, Alkohol sei ungesund.
Hier kann der Konjunktiv zusätzlich den Aspekt ausdrücken, dass man sich damals getäuscht hat. Das muss aber nicht so sein. Die Verwendung des Konjunktivs ist im Deutschen nicht sehr streng geregelt. Was genau gemeint ist, ergibt sich häufig erst aus dem weiteren Zusammenhang.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
1 In der (geschriebenen) Standardsprache ist es besser, einen dass-Satz im Indikativ anstelle eines uneingeleiteten Nebensatzes im Indikativ zu verwenden:
Ich denke, dass Tanzen spannend ist.
Ich nehme an, dass er krank ist.
Besser nicht:
Ich denke, Tanzen ist spannend.
Ich nehme an, er ist krank.
Diese Sätze sind nicht falsch, sie gehören aber eher der gesprochenen Sprache an.
Super Erklärung, Herr Dr. Bopp!
Doch wie verhält es sich mit der 2. Person? Zum Beispiel, wenn ich Folgendes ausdrücken möchte. Der Inhalt Ihrer Ausführungen zur Nutzung des Konjunktivs waren mir persönlich bereits bekannt. Daher ergibt sich für mich die Einschätzung, dass Sie entsprechend kompetent seien (?), mir auch meine Frage zur Nutzung des Konjunktivs in der “indirekten Rede” in der 2. Person fachlich fundiert beantworten zu können.
Finden Sie nicht auch, dass der Konjunktiv in Bezug auf die indirekte Rede von einigen Menschen regelrecht schon “diskriminiert” werde?
Ich würde mich freuen, wenn Sie mich diesbezüglich aufklärten (?).
Ich bedanke mich vielmals im voraus.
Mit freundlichen Grüßen,
Hier halte ich nur den Indikativ für passend:
In beiden Fällen handelt es sich nicht um eine indirekte Rede. Im ersten dass-Satz wird die Einschätzung der/des Schreibenden formuliert. Im zweiten dass-Satz wird die Frage formuliert, die der/die Schreibende stellt. In keinem der beiden Sätze werden also die Worte oder Gedanken einer anderen Person wiedergegeben.
Die Form aufklärten ist hier möglich. Diese Form des Kojunktivs II unterscheidet sich zwar nicht von der entsprechenden Indikativform – was üblicherweise zum Ersatz durch die würde-Form führt –, aber in einem irreaklen Konditionalgefüge reicht es aus, wenn einer der beiden Verbformen den Aspekt der Irrealität eindeutig ausdrückt (siehe hier). In diesem Satz drückt würde freuen die Irrealität aus, so dass die zweite Verbform nicht auch eine eindeutige Konjunktiv-II-Form oder eine würde-Form sein muss. Es gibt also verschiedene Möglichkeiten: