Wonach richtet sich das Verb bei Subjekten mit „nicht (nur) … sondern (auch) …“?

Frage

Mal wieder ein Kongruenzproblem, für das ich in den einschlägigen Nachschlagewerken keine befriedigende Lösung finde. Es geht um diesen Satz: „Es wird so sein, dass nicht die Mutter die Blicke auf sich ziehen wird, sondern ihre Kinder.“ In der Leo-Grammatik steht zwar, dass sich die Personalform des Verbs nach dem ihm am nächsten stehenden Subjekt richtet, aber das kann hier ja nicht gelten. Wie würde hier die Regel lauten? Ist der Satz so korrekt?

Antwort

Guten Tag Herr H.,

nach der „Regel“, die Sie in der LEO-Grammatik gefunden haben, richtet sich das Verb bei einem mehrteiligen Subjekt mit nicht (nur)  – sondern (auch) tatsächlich nach dem Teil des mehrteiligen Subjekts, der am nächsten beim Verb steht:

Nicht nur die Bank, sondern auch die Lieferbetriebe erheben zusätzliche Gebühren.
Nicht nur die Lieferbetriebe, sondern auch die Bank erhebt zusätzliche Gebühren.

Nicht die Mutter, sondern ihre Kinder werden die Blicke auf sich ziehen.
Nicht die Kinder, sondern ihre Mutter wird die Blicke auf sich ziehen.

So weit ist die Lage übersichtlich. Ihr Beispielsatz ist deshalb komplizierter, weil er zwei verschiedene Phänomene in sich birgt:

1) Das mehrteilige Subjekt steht in einem Nebensatz:

Stimmt es, dass nicht nur die Bank, sondern auch die Lieferbetriebe zusätzliche Gebühren erheben?
Stimmt es, dass nicht nur die Lieferbetriebe, sondern auch die Bank zusätzliche Gebühren erhebt?

Es wird so sein, dass nicht die Mutter, sondern ihre Kinder die Blicke auf sich ziehen werden.
Es wird so sein, dass nicht die Kinder, sondern ihre Mutter die Blicke auf sich ziehen wird.

Auch hier gilt, dass das Verb sich nach dem Teil des mehrteiligen Subjekts richtet, der ihm am nächsten steht.

2) Die sondern-Gruppe wird vom anderen Subjektteil getrennt an des Schluss des Satzes ins Nachfeld verschoben. In einem Hauptsatz ist das immer noch relativ problemlos:

Nicht nur die Bank erhebt zusätzliche Gebühren, sondern auch die Lieferbetriebe.
Nicht nur die Lieferbetriebe erheben zusätzliche Gebühren, sondern auch die Bank.

Nicht die Mutter wird die Blicke auf sich ziehen, sondern ihre Kinder.
Nicht die Kinder werden die Blicke auf sich ziehen, sondern ihre Mutter.

1) + 2) Problematischer wird es erst, wenn die sondern-Gruppe wie in Ihrem Beispiel in einem Nebensatz steht und von der nicht-Gruppe getrennt ins Nachfeld ausgelagert wird. Dann steht die sondern-Gruppe direkt nach dem abschließenden Verb des Nebensatzes. Gemessen am reinen Wortabstand steht sie nun zwar näher beim Verb, sie ist aber trotzdem „weiter weg“, weil sie sozusagen aus dem Satz ausgelagert worden ist. Das Verb richtet sich dann nach dem Subjektteil, der vor ihm im Mittelfeld steht:

Stimmt es, dass nicht nur die Bank zusätzliche Gebühren erhebt, sondern auch die Lieferbetriebe?
Stimmt es, dass nicht nur die Lieferbetriebe zusätzliche Gebühren erheben, sondern auch die Bank?

Es wird so sein, dass nicht die Mutter die Blicke auf sich ziehen wird, sondern die Kinder.
Es wird so sein, dass nicht die Kinder die Blicke auf sich ziehen werden, sondern ihre Mutter.

Die Angabe, die Sie in der LEO-Grammatik gefunden haben, müsste eigentlich für Fälle wie diesen präzisieren, dass mit „näher“ nicht immer der reine Wortabstand gemeint ist. Wie die Antwort auf Ihre Frage vielleicht zeigt, kann es aber manchmal eher verwirrend als hilfreich sein, wenn man ganz präzise sein will. Deshalb für den Allgemeingebrauch einfacher: In den meisten Fällen richtes sich das Verb bei mehrteiligen Subjekten mit nicht (nur) – sondern (auch) nach dem Teil des Subjekts, das ihm am nächsten steht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp