Frage
Handelt es sich beim nachfolgenden Fehler um einen Grammatik- oder Rechtschreibfehler: „Meine Mutter *laste mich in Ruhe.“ Meines Wissens wird dies als Grammatikfehler klassifiziert, da hier ein Fehler in der Formenbildung vorliegt.
Antwort
Guten Tag V.,
Sie haben recht: Es handelt sich bei diesem laste um einen Grammatikfehler. Die Grammatik bestimmt, welche Wörter und Wortformen man wählt. Die Rechtschreibung bestimmt nur, wie diese Wörter und Wortformen geschrieben werden.
Das Verb lassen ist ein unregelmäßiges Verb. Das Präteritum der 3. Person Einzahl lautet ließ, nicht lasste. In Ihrem Beispielsatz (Meine Mutter laste mich nicht in Ruhe) steht nicht die richtige Wortform. Es wurde ein Fehler bei der Wahl/Bildung der Wortform gemacht, also ein Grammatikfehler.
Für die Spitzfindigen unter uns enthält der Satz in Ihrer Frage dennoch einen „indirekten“ Rechtschreibfehler: Wenn lassen regelmäßig gebeugt würde, wäre die korrekte Schreibung der Vergangenheitsform lasste, nicht laste. Es würde also ein s fehlen.
Ein echter Rechtschreibfehler wäre es zum Beispiel, wenn lies statt ließ stünde: Meine Mutter lies mich nicht in Ruhe. Die Formen lies und ließ klingen gleich, sie werden nur unterschiedlich geschrieben. Wer s statt ß schreibt, sündigt gegen die Rechtschreibregeln.
Die bereits erwähnten Spitzfindigen könnten allerdings auch behaupten, dass es sich bei lies um einen Grammatikfehler handeln könnte. Wenn statt lassen das Verb lesen gemeint wäre (nicht sehr wahrscheinlich, aber theoretisch nicht unmöglich), würde die Schreibweise lies stimmen. Da lesen hier aber gar nicht passt und die Imperativform lies erst recht nicht, wäre lies statt ließ ein Grammatikfehler.
Wie man sieht, scheinen Grammatikfehler und Rechtschreibfehler manchmal gar nicht so weit auseinanderzuliegen. Dennoch ist die Trennung eindeutig: Die Grammatik bestimmt, wie man formuliert, und die Rechtschreibung bestimmt, wie das Formulierte mit Buchstaben ausgedrückt wird.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp