Frage
Wie „Mädchen“ und „Käse“ geschrieben wird, ist eindeutig. Wie wird es aber offiziell auf Hochdeutsch ausgesprochen? Ich finde sehr widersprüchliche Antworten zu dieser Frage […] Wie würde man dann das lange ä aussprechen, wenn man denn den Anspruch hätte, eine neutrale (nicht regionale), „offizielle“ Aussprache zu wählen)? Gibt es eine eindeutige Regel, wie das ä in dem Fall auszusprechen wäre?
Antwort
Guten Tag V.,
nach der Standardaussprache, die in einigen Wörterbüchern angegeben wird, unterscheidet man zwischen einem langen <ä> und einem langen <e> . Das lange <ä> wird offen ausgesprochen (umschrieben als /ɛː/ oder /æ:/). Das lange <e> wird geschlossen ausgesprochen (umschrieben als /e:/). Nach diesen Angaben gibt also einen Ausspracheunterschied zwischen Ähre und Ehre, Bären und Beeren, Dänen und dehnen, gäbe und gebe etc.
ABER: Nach den Angaben in anderen (vor allem älteren) Quellen gibt es „offiziell“ kein offenes /ɛː/. Das länge <ä> werde wie das lange <e> geschlossen ausgesprochen. In vielen Regionen, insbesondere in der nördlichen Hälfte Deutschlands und in Österreich (mit Ausnahme Vorarlbergs) hört man tatsächlich keinen Unterschied zwischen langem <ä> und langem <e>.
Was ist nun richtig? – Beides. Eine eindeutige Regel gibt es nicht. Beides kommt nämlich bei großen Teilen der Standarddeutsch Sprechenden vor. Wer Käse und Mädchen wie Keese und Meedchen (also mit /e:/) ausspricht, macht also nichts falsch. Selbst bei Bären und Beeren oder Ähre und Ehre kommt es kaum zu Verständnisproblemen, auch wenn jeweils beides gleich klingt. Nur bei den Verbformen gebe und gäbe oder lese und läse wird es schwieriger, aber auch bei unterschiedlicher Aussprache ist nicht immer allen klar, welche Form zu wählen ist (vgl. hier). Umgekehrt ist es auch nicht falsch, Mädchen und Käse als Määdchen und Kääse (also mit /ɛ:/) auszusprechen und Beeren und Bären lautlich auseinanderzuhalten.
Es gibt keine Standardaussprache die von der östlichen bis zur westlichen Sprachgrenze und von Nord- und Ostsee bis zu den Alpengipfeln und darüber hinaus dieselbe wäre. Regional „outet“ man sich hiermit auch nur bedingt, denn die unterschiedslose Aussprache /e:/ für langes <e> und langes <ä> ist zwar im nördlichen Deutschland und in Österreich vorherrschend, sie kommt aber nicht nur dort und auch dort nicht überall vor (vgl. hier).
Hauptsache ist sowieso, dass ein Käse denen schmeckt, die Käse mögen, ganz gleich ob die Aussprache Kääse oder Keese ist.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
PS: Anders sieht es bei kurzem <e> und <ä> aus. Sie werden standarsprachlich beide offen ausgesprochen (umschrieben als /ɛ/). Deshalb gibt es in der Standardaussprache keinen Unterschied zwischen Äschen und Eschen oder Lärchen und Lerchen und konnte der Stengel zum Stängel reformiert werden, ohne dass sich etwas an der Aussprache geändert hat. Aber auch hier geht es nicht ohne regionale Varianten: So kann man zum Beispiel in der Schweizer Variante des Standarddeutschen häufig einen eindeutigen Unterschied zwischen dem <ä> in hätte (offenes /ɛ/ wie im allgemeinen Standard) und dem <e> in nette (geschlossenes /e/) hören.
Dem PS (nicht “P.S.”?) nach zu urteilen ist die korrekte Aussprache von Straßenglätte wirklich Straßenklette? Das ist gruselig.
Meine etwas zu humorlose Reaktion: Die standardsprachliche Aussprache von Straßenglätte ist nicht gleich wie die von Straßenklette. Der Unterschied wird aber nicht bei ä und e gemacht (beidesmal /ɛ/), sondern beim stimmhaften /g/ und dem stimmlosen /k/. Deshalb klingt Klette nicht gleich wie Glätte; vgl. Gabel/Kabel, Gunst/Kunst, glauben/klauben, Grippe/Krippe, Galgen/kalken.
Den Unterschied zwischen /g/ und /k/ kann man leicht überhören, aber selbst dann hilft jeweils der Zusammenhang: Wenn man aufgefordert wird, bei winterlichen Wetterverhältnissen wegen etwas vorsichtig zu fahren, das wie Straßenklette klingt, werden die allermeisten verstehen, dass die Straßen glatt sein könnten. Schließlich schaffen wir mit etwas Kontext auch solche “Hürden” mit gleich klingenden Wörtern (Homophonen) wie der Kelte in der Kälte, dem Schlächter geht’s schlechter, der Ire, den sie an der Küste küsste, wurde der ihre.
PS: Die übliche Abkürzung für Postskriptum ist gem. den Wörterbüchern PS, nicht P.S.