Frage
Da lese ich: „Zum Gottesverständnis des alten Orients gehört ein gewalttätiges Gottesbild.“ Ich stutze, denn hier wird behauptet, dass ein Bild gewalttätig sei. Ein gewalttätiges Bild ist mir noch nie untergekommen. Freilich wäre denkbar, dass ein ein schweres Standbild aus Stein umfällt und einen daneben stehenden Menschen erschlägt. Allenfalls in diesem Sinn könnte ich mir „ein gewalttätiges Bild“ vorstellen. Aber in diesem Fall soll ja wohl gesagt werden, dass Gott gewalttätig ist, nicht dessen Bild. […]
Antwort
Guten Tag Herr Z.,
ein Attribut bezieht sich auf das Grundwort einer Zusammensetzung oder auf die gesamte Zusammensetzung. Es bezieht sich nicht auf das Bestimmungswort einer Zusammensetzung. In Ihrem Beispiel gilt:
gewalttätig = Attribut
Gottesbild = Zusammensetzung
Bild = Grundwort
Gott(es) = Bestimmungswort
Nach der genannten Regel wäre hier also von einem gewalttätigen Bild Gottes die Rede, nicht – so wie es sehr wahrscheinlich gemeint ist – von einem Bild eines gewalttätigen Gottes.
Die Verbindung gewalttätiges Gottesbild kann allerdings dann richtig sein, wenn Gottesbild als Ganzes mit gewalttätig charakterisiert wird und gewalttätig im Sinne von durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet gemeint ist (vgl. z. B. eine gewalttätige Region, gewalttätige Zwischenfälle, heftige Sprache mit gewalttätigen Bildern). Es bleibt für mich aber ein Zweifelsfall.
In gewissen Fällen sind Formulierungen möglich und akzeptiert, in denen sich ein Attribut eigentlich auf das Bestimmungswort bezieht, im Gebrauch aber einen Bezug auf das ganze Wort als eine Einheit hat. Beispiele sind:
das katholische Pfarrhaus
die flektierbaren Wortarten
ein atlantischer Tiefausläufer
die erweiterte Vorstandssitzung
eine deutsche Touristengruppe
Gemeint ist nicht nur das Haus des katholischen Pfarrers, sondern auch das Pfarrhaus der katholischen Gemeinde; nicht nur ein Ausläufer eines atlantischen Tiefs, sondern auch ein vom Atlantik kommender Tiefausläufer; nicht nur eine Gruppe deutscher Touristen, sondern auch eine aus Deutschland stammende Touristengruppe.
Formulierungen dieser Art scheinen aber ausgeschlossen zu sein, wenn das Attribut gar nicht zum Grundwort passen kann. Beispiele, von denen einige in diesem Zusammenhang häufiger zitiert werden, sind:
der dreistöckige Hausbesitzer
die hölzerne Spielzeugmacherin
das kleine Kindergeschrei
schwere Unwetterwarnungen.
Diese Verbindungen sind nicht akzeptabel oder sogar unverständlich.
Der Übergang zwischen akzeptierten/akzeptablen und nicht akzeptierten/nicht akzeptablen Verbindungen dieser Art ist fließend. So ist ein deutscher Sprachexperte vielmehr ein Sprachexperte mit deutscher Staatsangehörigkeit als ein Experte in deutscher Sprache. Dahingegen finde ich die Verbindung ein deutscher Sprachblog für einen Blog zur deutschen Sprache wenn auch nicht eindeutig, so doch relativ unproblematisch. Ich vermute allerdings, dass nicht alle zum gleichen Urteil kommen.
Im Zweifelsfall vermeidet man deshalb besser solche Formulierungen. Gilt dies auch für „ein gewalttätiges Gottesbild“? – Diese Verbindung gehört eher zur Gruppe der nicht akzeptablen Formulierungen. Nur wenn man dem Adjektiv gewalttätig neben der wörtlichen Bedeutung auch eine übertragene Bedeutung durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet zuerkennt, kann es als Attribut zu Gottesbild verwendet werden. Ich zweifle aber, ob diese Lesung von gewalttätig hier tatsächlich passt. Ich würde in diesem Fall auf zum Beispiel ein Bild eines gewalttätigen Gottes ausweichen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp
Guten Tag,
mir fallen zu diesem Thema auch noch ein paar Beispiele ein, über die ich schon gestolpert bin:
»Die digitale Medienausstattung an deutschen Schulen …«
Auch hier bezieht sich das Attribut (»digital«) nicht auf das Grundwort (»Ausstattung«), sondern auf das Bestimmungswort (»Medien«). Eigentlich sind ja die Medien digital und nicht die Ausstattung.
Folgende Überschrift finde ich ebenfalls merkwürdig:
»Aktivurlaub boomt –sportliche Reiseziele werden immer beliebter.«
Man kann sich in diesem Zusammenhang zwar zusammenreimen, was mit »sportlichen Reisezielen« gemeint sein soll, aber es klingt dennoch irgendwie falsch.
Oder die Werbung eines Supermarkts:
»Frische Obst-Angebote«.
»Frisch« ist das beworbene Obst, aber nicht die Angebote.
Mit freundlichen Grüßen
S. Kaiser
Während sportliche Reiseziele und frische Obstangebote (oder frische Obst-Angebote) bestimmt zu dem Konstruktionen gehören, die es zu vermeiden gilt, bin ich bei digitale Medienausstattung weniger sicher. Wenn man mit Ausstattung nicht den Vorgang des Ausstattens meint, sondern das, womit etwas ausgestattet ist, kann die Austattung auch digital sein. Es geht dann um die digitale Ausstattung im Bereich der Unterrichtsmedien oder eben die digitale Medienausstattung. Vielleicht kein sprachliches Meisterwerk, aber nicht unbedingt falsch. Solche Zweifelsfälle gibt es viele, gerade weil die Grenze zwischen „richtig“ und „falsch“ hier fließend ist.
Guten Tag, Herr Dr. Bopp,
vielen Dank für Ihre ergänzenden Überlegungen zum Ausdruck »digitale Medienausstattung«. So, wie Sie es interpretieren, erscheint mit der Ausdruck ebenfalls wenig kritikwürdig– zumal sich diese Formulierung meinem Eindruck nach inzwischen auch allgemein etabliert hat. Und selbst in (bildungs)wissenschaftlicher Fachliteratur begegnet man dieser Wendung zuhauf.
Nochmals danke für Ihren Hinweis.
Mit freundlichen Grüßen
S. Kaiser