Wenn der heutige Artikel etwas schulmeisterlich klingt, liegt es daran, dass es um etwas geht, womit Schulmeisterinnen und Schulmeister sich früher abgeben mussten und Lehrpersonen sich auch heute noch hin und wieder abgeben müssen.
Frage
Meine Tochter ist 12 Jahre alt und geht in die siebte Klasse einer Realschule. Seit einiger Zeit entwickelt sie ihr eigenes Schriftbild. In diesem macht sie zum Beispiel über dem i, ä, ö und ü keinen Punkt sondern einen Kringel oder kleinen Kreis. Ihre Deutschlehrerin kommentiert ihre Arbeiten immer mit dem Satz: „Laut deutschen Rechtschreibgesetz ist ein i-Punkt ein Punkt und kein Kreis.“ Seit Neusten droht sie ihr sogar damit ihre Arbeiten mit einer sechs zu benoten wenn sie keinen richtigen i Punkt macht.
Gibt es tatsächlich ein Gesetz , nach dem man gezwungen werden kann, einen richtigen i Punkt zu machen. Kann die Lehrerin aufgrund der unechten i-Punkte Arbeiten mit einer Sechs benoten?
Antwort
Sehr geehrte Frau B.,
die amtliche Rechtschreibregelung schreibt nicht ausdrücklich vor, dass das kleine i mit einem Punkt geschrieben werden muss. Das i, das dort in § 0 (1) abgebildet ist, hat aber eindeutig einen Punkt und keinen Kringel. Streng genommen hat die Lehrerin Ihrer Tochter also recht.
Doch darum geht es eigentlich gar nicht. Es ist im Deutschen (und auch anderswo, wo man mit lateinischen Buchstaben schreibt) üblich, das i mit einem Punkt zu schreiben. Aufgabe der Schule ist es u. a., den Kindern gewisse Regeln und Konventionen mitzugeben, auch solche, die nicht von Gesetzes wegen vorgeschrieben sind. In nicht persönlichen Briefen, Bewerbungsschreiben usw. (sofern sie noch von Hand geschrieben werden) macht es sich im Allgemeinen schlecht, wenn man Kringel verwendet. Deshalb sollten auch auf der Schule Punkte verwendet werden.
Ich weiß nicht, ob die Lehrerin rechtlich gesehen die Möglichkeit hat, wegen Kringeln statt Punkten einen Notenabzug zu machen. Aus dem oben erwähnten Grund vermute ich allerdings, dass sie es kann. Die Rechtschreibregelung ist auf Schulen verbindlich.
Wenn Ihre Tochter in ihrer privaten Korrespondenz einen Kringel, ein Herzchen oder ein Blümchen statt des i-Punktes verwendet will, kann sie das natürlich tun, aber auf der Schule sollte sie tatsächlich Punkte schreiben. Ich empfehle Ihnen deshalb, die Lehrerin bei ihrer Aufgabe zu unterstützen.
Das i war ursprünglich punktlos. Der Punkt auf dem i kam im Mittelalter auf, zuerst als Akzentstrich, der später zu einem Punkt reduziert wurde. Er diente dazu, das i und vor allem zwei aufeinanderfolgende i (also ii, im Lateinischen relativ häufig), in der Frakturschrift von u, m und n zu unterscheiden. Auf dem großen I war diese Unterscheidung nicht notwendig, deshalb steht im Deutschen und den meisten anderen Sprachen kein Punkt auf dem Großbuchstaben I (Ausnahme z. B. im Türkischen: İ und I).
Die Umlautpunkte entstanden als kleines e, das über dem a, o oder u geschrieben wurde, um die Umlaute von diesen einfachen Vokalbuchstaben zu unterscheiden. Im Laufe der Zeit wurden dieses e über verschiedene Stufen zu zwei Punkten vereinfacht (siehe auch hier).
Mit der Einführung des Drucks haben sich der i-Punkt und die Umlautpunkte „definitiv“ etabliert. Ich gönne natürlich allen ihre Kringel, Kreise, Herzchen oder Smileys auf dem i, aber offiziell steht dort nur ein einfacher Punkt.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp