Frage
In der Zeitung habe ich neulich diese interessante Zwitterform von einerseits Kompositum und andererseits Attribut + substantiviertem Infinitiv gefunden: „Die Angewohnheit des grün Redens und grau Bauens“. Ich wüsste zwar nicht, dass unsere Grammatikregeln so etwas hergeben, aber die erlaubten Alternativen „Grünredens” bzw. „grünen Redens“ würden hier ja eine andere Bedeutung haben, weswegen ich „das grün Reden“(beides gleich betont) eigentlich ganz gut finde und gelten lassen würde. Wie sehen Sie das.
Antwort
Guten Tag Herr H.,
man kann so formulieren, wenn man will, aber beim Schreiben wird es ungewöhnlich oder sogar unpraktisch. Es geht hier um eine substantivierte Infinitivgruppe, die aus zwei Teilen besteht. Solche Substantivierungen schreibt man gem. der Rechtschreibregelung zusammen:
die Angewohnheit, schnell zu fahren
→ die Angewohnheit des Schnellfahrensdie Tugend, pünktlich zu sein
→ die Tugend des Pünktlichseinswenn man nicht erscheint
→ bei Nichterscheinenüben, aufeinander zu hören
→ das Aufeinanderhören übendie Gabe, sich zu wundern
→ die Gabe des Sichwunderns
Die beiden letzen Beispiele zeigen, dass auch dann zusammengeschrieben wird, wenn nicht das erste Wort die Hauptbetonung trägt. Für Ihr Beispiel bedeutet dies:
die Angewohnheit, grün zu reden und grau zu bauen
→ die Angewohnheit des Grünredens und Graubauens
Vor allem bei Grünreden könnte unklar sein, was genau gemeint ist (grün reden = grün [umweltbewusst] argumentieren oder etw. grünreden = etwas beschönigend als grün [umweltfreundlich] darstellen, was nicht grün ist). Gemeint ist hier die erste Bedeutung: in Worten umweltbewusst argumentieren, dann aber nicht umweltgerecht bauen.
Wenn man sich an die Rechtschreibregeln halten will oder muss, kann die Schreibweise das grün Reden aber (leider) nicht die Lösung sein. Man schreibt entweder doch zusammen und lässt den Kontext Klarheit schaffen, oder man formuliert um:
die Angewohnheit des Grünredens und des Graubauens
die Angewohnheit des grünen Redens und des grauen Bauens [auch missverständlich]
die Angewohnheit, grün zu reden und grau zu bauen [m. M. n. am deutlichsten]
Die Rechtschreibung ist nicht immer dazu geeignet, Bedeutungsunterschiede eindeutig zu machen. Das gilt auch bei einer ähnlichen Formulierung: die Kunst des Schönredens. Das kann (a) die Kunst, schön zu reden sein oder (b) die Kunst, Dinge schönzureden. Das Schönreden (a) ist die angenehmen Gabe, gut sprechen zu können. Das Schönreden (b) hingegen ist eine weniger angenehme Unart. Dabei wird mit beschönigenden Worten etwas als besser dargestellt, als es in Wirklichkeit ist. Beide Substantivierungen werden gleich geschrieben, auch wenn sie keineswegs dasselbe bezeichnen. Wie beim Grünreden muss auch beim Schönreden der Kontext oder eine Umformulierung Klarheit schaffen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bopp