Verbformenreiche Formulierung:
Soll er sich haben ansprechen lassen, ansprechen haben lassen oder ansprechen lassen haben?

Frage

Wie sollte man Ihrer Meinung nach in diesem Satz die Verben anordnen? „Er soll sich mit ,Boss‘ ansprechen haben lassen“ („haben ansprechen lassen“, „ansprechen lassen haben“?). Ich finde im Duden leider nichts dazu und auch nicht in Ihrem Blog-Archiv unter dem Stichwort „Infinitiv(e)“.

Antwort

Guten Tag Herr H.,

hier haben wir es wieder einmal mit einer Anhäufung von Verbformen zu tun, die nicht allzu oft vorkommt und bei der man leicht ins Stolpern geraten kann – vor allem wenn man anfängt, darüber nachzudenken.

Als standardsprachlich korrekt gilt hier:

Er soll sich mit Boss haben ansprechen lassen.
Er soll sich mit Boss ansprechen lassen haben.

Die allgemeine Regel lautet so:

Wenn eine Verbgruppe einen Ersatzinfinitiv von heißen, lassen, helfen, sehen, fühlen, hören enthält und dieser Ersatzinfinitiv vom Hilfsverb haben abhängig ist, wird das finite Hilfsverb im Nebensatz in der Regel vor die Verbgruppe gestellt. Zumindest bei lassen, sehen, fühlen, hören gilt aber die Endstellung des finiten Hilfsverbs auch als korrekt.

dass er sich mit Boss hat ansprechen lassen
dass er sich mit Boss ansprechen lassen hat

ob jemand die Verdächtigen habe weggehen sehen
ob jemand die Verdächtigen weggehen sehen habe

obwohl er das Kind hatte weinen hören
obwohl er das Kind weinen hören hatte

Die Regel gilt auch im folgenden Fall, in dem noch eine Verbform hinzukommt:

Das Hilfsverb haben steht auch dann vor den anderen Infinitiven, wenn es selbst im Infinitiv steht.

Er soll sich mit Boss haben ansprechen lassen.
Er soll sich mit Boss ansprechen lassen haben.

Jemand musste die Verdächtigen haben weggehen sehen.
Jemand musste die Verdächtigen weggehen sehen haben.

Er will das Kind haben weinen hören.
Er will das Kind weinen hören haben.

Siehe hierzu auch die LEO-Grammatik; Duden, Grammatik, 9. Auflage, 2016, Randnummer 684; Duden, Grammatik, 10. Auflage, 2022, Randnummer 658 ff.

Wie die Beispiele zeigen, sind Formulierungen dieser Art schwierig zu verwenden, ebenso schwierig zu erklären und manchmal auch gar nicht so einfach zu verstehen. Wenn sie nicht spontan der Tastatur entspringen oder wenn man zweifelt, ist es oft besser, etwas weniger verbformenreich zu formulieren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist man über den Berg oder über dem Berg (wenn man das Gröbste hinter sich hat)?

Frage

Erlauben Sie bitte die folgende Frage:

Er ist über den Berg (er hat die Krise überstanden)!

Frage: Weshalb steht hier der Akkusativ? Keine statische Situation?

Antwort

Guten Tag Herr M.,

wer über den Berg ist oder noch nicht über den Berg ist, hat die größte Schwierigkeit überwunden oder eben noch nicht überwunden. Es geht also um eine Situation, in der man sich befindet. Weshalb steht dann der Berg in der Redewendung im Akkusativ und nicht im Dativ (vgl. statisch über dem Berg und dynamisch über den Berg)?

Den Akkusativ kann man damit verteidigen, dass die Wendung als Verkürzung von (noch nicht) über den Berg gegangen/gekommen sein verstehen kann. Grammatisch lässt sich dieses Fallwahl somit einigermaßen „logisch“ erklären.

Seltener wird allerdings auch über dem Berg sein gesagt. Dass hier häufiger der Akkusativ als der Dativ steht, lieg an der Bedeutung von über. Hier ist nicht über = oberhalb gemeint, sondern das über, das mit dem Akkusativ steht und einen Ort angibt, der überquert wird (über den Platz gehen, über die Brücke fahren, über den Zaun springen, über den Berg gehen).

Nur das erste über ist eine sogenannte Wechselpräposition, die mit dem Akkusativ  (Angabe des Ziels der Handlung)  oder mit dem Dativ (statische Ortsangabe) stehen kann:

Sie hängten das Poster über das Sofa.
Das Poster hing über dem Sofa.

Beim zweiten über, um das es hier geht, fehlt sozusagen die statische Variante. Wenn man über den Berg gegangen ist, ist man danach nicht über dem Berg, sondern jenseits oder auf der anderen Seite des Berges:

Sie gingen über die Brücke.
Sie waren auf der anderen Seite/jenseits der Brücke.

über den Berg gehen
jenseits/auf der anderen Seite des Berges sein

Mit über dem Berg wird also eigentlich oberhalb des Berges gesagt. Vgl. zum Beispiel:

Dunkle Wolken hängen über dem Berg.
Der Adler kreist über dem Berg.

Darum steht über in Wendungen, bei denen sprichwörtlich Berge überwunden worden sind,  am besten mit dem Akkusativ:

über den Berg sein (die Krise überwunden haben)
längst über alle Berge sein (längst auf und davon / weit weg sein)

Nicht jedes über wird mit dam Akkusativ und dem Dativ verwendet oder: Das eine über ist das andere nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ich dachte, Luchse seien/wären/sind kleiner

Frage

Wir diskutieren gerade die Frage, wie es heißt: „Ich dachte, Luchse seien/wären/sind  kleiner.“ Was sagen Sie?

Antwort

Guten Tag Frau H.,

zuerst muss gesagt werden, dass es im Deutschen bei der Tempus- und Moduswahl nur wenige feste Regeln gibt. Vieles kommt vor und vieles ist möglich. Eine einfache und eindeutige Antwort  kann ich Ihnen auch hier nicht geben.

Richtig ist hier sicher der Konjunktiv I, der zur indirekten Rede gehört:

Ich dachte, Luchse seien kleiner.

Der Indikativ kommt auch vor. In einem uneingeleiteten Nebensatz gilt er hier aber als umgangssprachlich:

Ich dachte, Luchse sind kleiner.

So formuliert mal also besser nicht (siehe aber unten beim dass-Satz).

Auch der Konjunktiv II kommt hier vor, er ist aber sozusagen überflüssig. Man wählt in der Standardsprache den Konjunktiv II dann, wenn der Konjunktiv I sich nicht vom Indikativ unterscheidet. Das ist hier nicht der Fall (seien bzw. sind). 

Ich dachte, Luchse wären kleiner.

Auch so formuliert man besser nicht, denn es ist zumindest stilistisch weniger gut.

Anders sieht es aus, wenn man statt des uneingeleiteten Nebensatzes einen dass-Satz verwendet. Dann ist der Indikativ auch möglich:

Ich dachte, dass Luchse kleiner seien.
Ich dachte, dass Luchse kleiner sind.

Und wenn es um Luchse geht, die es zum Sprechzeitpunkt nicht mehr „aktuell“ sind:

Ich dachte, dass Luchse früher kleiner waren.

Noch einmal anders sieht es aus, wenn man ich denke statt ich dachte verwendet. Dann ist der Indirektheitskonjunktiv nicht mehr möglich. Mehr dazu lesen Sie in diesem Artikel.

Sie dachten vielleicht, es gebe eine eindeutige Antwort / dass es eine eindeutige Antwort gebe / dass es eine eindeutige Antwort gibt. Es gibt sie aber – je nachdem, ob man strenge Regeln oder mehr sprachliche Freiheit vorzieht – leider oder zum Glück nicht.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Kardinäle, die unter 80 Jahre[n] alt sind – mit oder ohne n?

Frage

Eine Kasusfrage zur folgenden Formulierung: „alle Kardinäle, die unter 80 Jahren alt sind“. Muss es nicht heißen: „alle Kardinäle, die unter 80 Jahre alt sind“?

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

auch wenn man es des Öftern anders hört und liest, richtig ist hier die unter 80 Jahre alt sind. In dieser Formulierung ist unter keine Präposition, sondern ein Adverb, das keinen Einfluss auf den Fall des Nachfolgenden hat.

Wenn unter vor einer Zahlenangabe steht und durch weniger als ersetzt oder weggelassen werden kann, hat es keinen Einfluss auf den Fall des nachfolgenden Ausdruckes:

Kardinäle, die 80 Jahre alt sind
Kardinäle, die weniger als 80 Jahre alt sind
Kardinäle, die unter 80 Jahre alt sind

Kardinäle von 80 Jahren
Kardinäle von weniger als 80 Jahren
Kardinäle von unter 80 Jahren

Wenn man unter nicht durch weniger als ersetzen oder weglassen kann, folgt der Dativ:

Kardinäle unter 80 Jahren

Sie haben also recht. Nur Kardinäle, die unter 80 Jahre alt sind, können den Papst wählen. Es heißt also richtig:

Wahlberechtigt sind alle Kardinäle, die unter 80 Jahre alt sind.

Aber:

Wahlberechtigt sind alle Kardinäle unter 80 Jahren.

Das gilt übrigens auch für über und bis zu:

Kardinäle, die über 80 Jahre alt sind, können nicht an der Papstwahl teilnemen.
Kardinäle über 80 Jahren können nicht an der Papstwahl teilnehmen.

Wahlberechtigt sind nur Kardinäle, die bis zu 80 Jahre alt sind.
Wahlberechtigt sind nur Kardinäle bis zu 80 Jahren.

Siehe auch hier und hier.

Wer als Papst gewählt worden sein wird, wenn weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kappelle aufsteigt, wissen wir natürlich noch nicht. Wir wissen nur, dass er wahrscheinlich unter 80 Jahre alt sein wird (und männlich und katholisch und …).

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Das höfliche „Sie“ für eine und für mehrere Personen

Frage

Ich habe gelesen, dass die Höflichkeitsform im Plural identisch sei mit der Höflichkeitsform im Singular. Ist das richtig? […]

Singular, zu einer einzelnen Person: „Haben Sie alles gefunden, was Sie brauchen?“
Plural, zu einer Personengruppe: „Haben Sie alles gefunden, was Sie brauchen?“

Singular, zu einer einzelnen Person: „Ich gebe Ihnen den Schlüssel zu den Gebäuden.“
Plural zu einer Personengruppe: „Ich gebe Ihnen den Schlüssel zu den Gebäuden.“

Folgendes irritiert mich:

Wir können in der Nicht-Höflichkeitsform zwischen Singular und Plural unterscheiden, deshalb gibt es ja den Plural. Ich finde es sehr merkwürdig, dass man in der Höflichkeitsform nicht zwischen Singular und Plural unterscheidet.

Wenn es den Plural in der Höflichkeitsform nicht braucht, wieso den Plural nicht auch in der Nicht-Höflichkeitsform abschaffen?

Weshalb hat man den Plural überhaupt eingeführt? Offenbar geht es auch ohne […]

Antwort

Guten Tag Herr W.,

die Höflichkeitsform ist im Deutschen tatsächlich für eine und für mehrere Personen identisch. Man verwendet in beiden Fällen die dritte Person Plural:

Haben Sie alles gefunden, was Sie brauchen?
Ich gebe Ihnen den Schlüssel zu den Gebäuden.

Was gemeint ist, ergibt sich in der Regel problemlos aus dem Kontext. Wenn dem nicht so ist, hilft in der gesprochenen Sprache meist ein Blick oder man ergänzt zum Beispiel in der folgenden Weise:

Ich gebe Ihnen, Frau M., den Schlüssel zu den Gebäuden.
Ich gebe Ihnen allen den Schlüssel zu den Gebäuden.

Das gleiche „Problem“ gibt es zum Beispiel auch im Französischen mit dem höflichen vous oder ganz allgemein im Englischen mit you. Auch dort ist ohne Kontext nicht erkennbar, ob man sich an eine oder an mehrere Personen richtet.

Zu Ihren Fragen: Man verwendet die Anredepronomen so, weil es sich im Verlauf der Sprachentwicklung so ergeben hat und es im Allgemeinen so funktioniert. Es liegt keine bewusste und „logisch“ begründete Entscheidung zu Grunde. Es ist ja auch nicht logisch, die dritte Person für die Höflichkeitsform zu verwenden. Man kann also nicht sagen, dass der Plural gezielt eingeführt wurde oder umgekehrt abgeschafft werden könnte.

Grob vereinfacht dargestellt sieht die Entwicklung der Höflichkeitsform im Deutschen wie folgt aus: Zuerst gab es als Anrede für eine Person nur du. Ab dem 9. Jahrhundert begann man die Pluralform ihr als höfliche Anrede für eine Person  zu verwenden. Später kam daneben die dritte Person Einzahl er bzw. sie auf, die eine größere Distanz zur angeredeten Person schafft. Noch später wurde diese Einzahl (unter dem Einfluss des Majestätsplurals) auch für nur eine Person langsam durch die Pluralform Sie ersetzt. Seit ca. dem 19. Jahrhundert sind nur noch du und Sie üblich. Letzteres, wie gesagt, für eine und für mehre Personen.

In anderen europäischen Sprachen gibt es andere „Lösungen“ für die höfliche Anrede. Zum Beispiel:

  • Französisch: vous, 2. Pers. Plur. für eine und mehrere Personen
  • Italienisch: Lei, 3. Pers. Sing. für eine Person; voi, 2. Person Plural für mehrere Personen
  • Spanisch: Usted + Verb in der 3. Pers. Sing. für eine Person; Ustedes + Verb in der 3. Pers. Plur. für mehrere Personen
  • Niederländisch: u + Verb in der 2. oder 3. Pers. Sing. für eine und für mehrere Personen

Von einem einheitlichen Prinzip kann hier also nicht die Rede sein – zumal für all diese Sprachen gilt, dass die richtige Verwendung der Höflichkeitsformen in verschiedenen Situationen noch ein bisschen komplizierter sein kann.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Viele Verben am Satzende: in Gefahr gebracht hätten werden können, hätten in Gefahr gebracht werden können, in Gefahr hätten gebracht werden können?

Frage

In einem Nachrichtenartikel bin ich auf einen Nebensatz mit vier Verben gestoßen. Die Wortstellung verstehe ich allerdings nicht.

Für Kritiker ist das ein klarer Beleg dafür, dass dadurch US-Militärs in Gefahr gebracht hätten werden können.

So wie ich das verstehe, ist das ein Ersatzinfinitiv in einem Nebensatz, also sollte „hätten“ als Hilfsverb vor allen anderen Verben stehen, also:

… dass dadurch US-Militärs hätten in Gefahr gebracht werden können

Weil „in Gefahr“ eng mit „gebracht“ verbunden ist, sollte „hätten“ auch schon davor stehen. Irre ich mich?

Antwort

Guten Tag N.,

Sie irren sich nicht. Standardsprachlich sollte das Hifsverb hätten in diesem Satz am Anfang der Verbgruppe stehen. Dabei kann das eng mit dem Vollverb bringen verbundene in Gefahr (vgl. in Gefahr bringen) zwischen hätten und dem Vollverb stehen

Für Kritiker ist das ein klarer Beleg dafür, dass dadurch US-Militärs hätten in Gefahr gebracht werden können.

Man kann aber in Gefahr auch aus der Verbgruppe herauslösen und vor hätten stellen:

Für Kritiker ist das ein klarer Beleg dafür, dass dadurch US-Militärs in Gefahr hätten gebracht werden können.

Ganz ähnlich zum Beispiel:

Es liegt nahe, dass die Verteidigung auf die Entscheidung hätte Einfluss nehmen können.
Es liegt nahe, dass die Verteidigung auf die Entscheidung Einfluss hätte nehmen können.

Dies hat zur Folge, dass der Kläger sich vor dem Verkauf mit der Beklagten hätte in Verbindung setzen müssen.
Dies hat zur Folge, dass der Kläger sich vor dem Verkauf mit der Beklagten in Verbindung hätte setzen müssen.

Man hätte Zelte aufbauen müssen, wenn die Gemeinde dieses Gebäude nicht hätte zur Verfügung stellen wollen.
Man hätte Zelte aufbauen müssen, wenn die Gemeinde dieses Gebäude nicht zur Verfügung hätte stellen wollen.

Weil diese Vergruppen am Satzende ziemlich komplex sind, geraten die Verbformen manchmal durcheinander, so dass auch Formulierungen, wie Sie sie in Ihrer Frage zitieren, häufiger vorkommen, auch wenn sie streng genommen nicht korrekt sind.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Akkusativobjekt oder Adverbialbestimmung: „die Treppe hinaufgehen“?

Frage

Es geht um Sätze wie diese:

Sie geht die Treppe hinauf..
Er fällt die Leiter hinunter..

Handelt es sich bei „die Treppe“ bzw. „die Leiter“ um einen adverbialen Akkusativ (Streckenangabe) oder ein Akkusativobjekt? […]

Antwort

Guten Tag Frau S.,

Ihr Zweifel ist gut verständlich, denn diese Wortgruppen haben Merkmale beider Satzgliedarten. Es handelt sich hier aber eher um eine Adverbialbestimmung als um ein Akkusativobjekt. Warum?

  • Wenn man den Satz ins (unpersönliche) Passiv umsetzt, bleibt der Akkusativ ein Akkusativ. Wäre er ein Akkusativobjekt, würde er im Passiv zum Subjekt, also zu einem Nominativ:

Sie geht den Berg hinauf.
Es wird den Berg hinaufgegangen.
(nicht: *Es wird der Berg hinaufgegangen)

Er rennt den Abhang hinunter.
Es wird den Abhang hinuntergerannt.
(nicht: *Es wird der Abhang hinuntergerannt)

  • Das Perfekt wird mit sein gebildet, während transitiven Verben (Verben mit einem Akkusativobjekt) in der Regel mit haben stehen:

Sie ist die Treppe hinaufgegangen.
(nicht: *Sie hat die Treppe hinaufgegangen)

Er ist die Treppe hinuntergefallen.
(nicht: *Er hat die Treppe hinuntergefallen)

Sie ist den Abhang hinuntergefahren.
(nicht: *Sie hat den Abhang hinuntergefahren)

  • Die Adverbialbestimmung kommt in der gleichen Form auch zusammen mit einem Akkusativobjekt vor:

Er trägt den Hund die Treppe hinauf.
(Akkusativobjekt = den Hund)

Sie hat ihn die Leiter hinuntergestoßen.
(Akkusativobjekt = ihn)

Sie hat den Wagen den Abhang hinuntergefahren.
(Akkusativobjekt = den Wagen)

Aus diesen Gründen sind die Treppe und die Leiter in Ihren Beispielen als Adverbialbestimmungen (adverbiale Akkusative) anzusehen. Wie man genau fragen muss, ist allerdings nicht so einfach. Meist passt wo? (→ Adverbialbestimmung) allerdings etwas besser als wen oder was? (→ Akkusativobjekt):

Sie geht die Treppe hinauf – Wo geht sie hinauf?
Er ist die Leiter hinuntergefallen – Wo ist er hinuntergefallen?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Mit oder ohne „es“: Sie konnte [es] sich aussuchen, wem …

Frage

Trotz intensiver Suche finde ich Internet keine Lösung. Ich schreibe:

Elisabeth konnte es sich aussuchen, wem sie ihre Gunst schenkt.

Verbessert wird der Satz:

Elisabeth konnte sich aussuchen, wem sie ihre Gunst schenkt.

Doch das klingt mir im Fluss des Satzes (und der Geschichte) nicht elegant, eher holprig. Habe ich Unrecht?

Antwort

Guten Tag Frau R.,

man kann hier sowohl mit als auch ohne es formulieren. Der mit wem beginnende Nebensatz ist ein Objektsatz, das heißt, er hat im Gesamtsatz die Funktion des Akkusativobjektes (wen oder was aussuchen?). Objektsätze können im übergeordneten Satz häufig fakultativ durch es vertreten sein (Korrelat). Damit ist gemeint, dass im übergeordneten Satz ein es steht, das den Objektnebensatz sozusagen ankündigt. Dieses es ist häufig fakultativ. Es kann, aber es muss nicht stehen (mehr dazu hier ).

Ein paar Beispiele:

Ich verstehe [es] gut, dass du heute keine Zeit hast.
Die meisten Menschen mögen [es] nicht, dass ihre Daten verkauft werden.
Wir bedauern [es], Sie enttäuschen zu müssen.
Ich weiß [es] nicht mehr, was sie genau gesagt hat.
Er konnte [es] nie vergessen, wie schlecht man ihn im Heim behandelt hatte.

Das gilt aber nicht immer. Manchmal kann kein Korrelat stehen. Zum Beispiel:

nicht: Die Polizei vermutet *es, dass der Dieb durch ein Fenster eingestiegen ist.
nicht: Wir beschlossen *es, noch nicht nach Hause zu gehen.

Ob ein Korrelat möglich ist, hängt vom Verb und seiner Bedeutung ab. Feste Regeln gibt es kaum, außer dass bei indirekter Rede und bei indirekten Fragen kein Korrelat stehen kann:

nicht: Er sagt *es, du habest das Geld gestohlen.
nicht: Sie fragt *es, wann ihr kommt.

Zurück zu Ihrer Frage: Das Verb sich aussuchen gehört zu den Verben, die mit einem Korrelat stehen können:

Nur die wenigsten Arbeitnehmenden können [es] sich aussuchen, ob sie länger arbeiten oder nicht.
Elisabeth konnte [es] sich aussuchen, wem sie ihre Gunst schenkt.

Siehe die Angaben im Wörterbuch zur Verbvalenz des IDS Mannheim, Stichwort aussuchen, Beispielsätze 8–11.

Beide Varianten sind korrekt. Wofür man sich entscheidet, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Sie können in Ihrem Satz also wählen, was Ihnen besser zusagt. Ich hätte spontan ohne es formuliert, aber das ist, wie gesagt, Geschmackssache.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „würde wollen“ falsch?

Frage

Mein Deutschlehrer hat mir gesagt, dass man „wollen“ im Konjunktiv II mit „würden“ verwenden kann, da „wollten“ gleich aussieht wie die Präteritumform. Zum Beispiel: „Ich würde das machen wollen“ oder „Das würde ich gar nicht wollen“. Nun frage ich mich, ob das wirklich standardsprachlich ist […].

Antwort

Guten Tag A.,

man kann wollen mit würde verwenden, das kommt aber standardsprachlich nicht allzu häufig vor.

In vielen Fällen steht möchte statt würde wollen:

Das möchte ich machen.
Das möchte ich gar nicht.

Das ist aber von der Bedeutung her nicht immer möglich oder nicht immer gewünscht (würde wollen  hat nicht immer die gleiche Bedeutung wie möchte). Dann stehen häufig die Formen des Konjunktivs II, auch wenn sie mit den Formen des Indikativs Präteritum identisch sind. Die konjunktivische Bedeutung ergibt sich aus dem Zusammenhang:

Wenn du es wirklich finden wolltest, würdest du besser suchen.
Selbst wenn wir es wollten, könnten wir euch nicht helfen.
Er ist zu alt, als dass er sich das noch zumuten wollte.
Die Katze sieht mich an, als wollte sie sagen: „Lass mich in Ruhe!“
Die Arbeitgeber behaupten, sie wollten weiter mit den Gewerkschaften unterhandeln.

In diesen Fällen ist es stilistisch meist besser, nicht wollen würde zu verwenden. Die würde-Formen sind aber nicht grundsätzlich falsch. Zum Beispiel:

Selbst wenn wir es wollen würden, könnten wir euch nicht helfen.
Die Katze sieht mich an, als würde sie sagen wollen: „Lass mich in Ruhe!“

Stilistisch ist es hier aber – wie gesagt – meist besser, nicht die würde-Form zu verwenden.

Manchmal reicht der Zusammenhang allerdings nicht aus, um die konjunktivische Bedeutung vom Indikativ zu unterscheiden. Dann kann man gut auf die würde-Formen ausweichen. Zum Beispiel:

Wie du überall herumreisen, das würde ich nicht wollen (statt: das wollte ich nicht).
Ihr seid die Letzten, denen er helfen wollen würde (statt: helfen wollte).

Zusammenfassend: Die würde-Formen kommen in der Standardsprache bei wollen nicht häufig vor, sie sind aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen und manchmal sogar die beste Lösung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was für eine Verbform ist „aufgehört haben würde“?

Frage

Gestern, habe ich etwas Interessantes gefunden:

Sie hoffte, dass der Regen bald aufgehört haben würde.
Wir waren uns sicher, dass sie das Problem bis Freitag gelöst haben würde.

Warum steht hier Infinitiv 2 + würde? Was ist diese grammatische Form? […]

Antwort

Guten Tag Her T.,

es geht hier um eine würde-Form, mit der „Zukunft in der Vergangenheit“ ausgedrückt werden kann.

Futur I → einfache würde-Form

Er nimmt auf niemand Rücksicht. Das wird er noch bereuen.
Er nahm auf niemand Rücksicht. Das würde er noch bereuen.

Wir wissen, dass Marianne um 17 Uhr ankommen wird.
Wir wussten, dass Marianne um 17 Uhr ankommen würde.

Futur II → Perfekt der würde-Form

Sie hofft, dass der Regen bald aufgehört haben wird.
Sie hoffte, dass der Regen bald aufgehört haben würde.

Wir sind uns sicher, dass sie das Problem bis Freitag gelöst haben wird.
Wir waren uns sicher, dass sie das Problem bis Freitag gelöst haben würde.

Die Formen aufgehört haben würde (o. würde aufgehört haben) und gelöst haben würde (o. würde gelöst haben) heißen ganz klassisch Konjunktiv II Futur II. Manchmal werden sie auch anders genannt, zum Beispiel Perfekt der würde-Form oder Konjunktiv II Vergangenheit mit würde.

Standardsprachlich sind diese Formen nur dann üblich, wenn wie in den Beispielen oben Zukunft in der Vergangenheit ausgedrückt wird. Sonst wählt man besser die Konjunktiv-II-Formen mit hätte:

besser nicht: Wenn der Regen früher aufgehört haben würde, wären wir nicht zu spät gekommen.
sondern: Wenn der Regen früher aufgehört hätte, wären wir nicht zu spät gekommen.

besser nicht: Sie behaupten, sie würden das Problem allein gelöst haben.
sondern: Sie behaupten, sie hätten das Problem allein gelöst.

Das Ganze könnte man jetzt auch noch im Passiv durchspielen (gelöst worden sein würde), aber das erspare ich Ihnen und mir für heute. Es sind schon genug Verbformen vorbeigekommen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp