Akkusativobjekt oder Adverbialbestimmung: „die Treppe hinaufgehen“?

Frage

Es geht um Sätze wie diese:

Sie geht die Treppe hinauf..
Er fällt die Leiter hinunter..

Handelt es sich bei „die Treppe“ bzw. „die Leiter“ um einen adverbialen Akkusativ (Streckenangabe) oder ein Akkusativobjekt? […]

Antwort

Guten Tag Frau S.,

Ihr Zweifel ist gut verständlich, denn diese Wortgruppen haben Merkmale beider Satzgliedarten. Es handelt sich hier aber eher um eine Adverbialbestimmung als um ein Akkusativobjekt. Warum?

  • Wenn man den Satz ins (unpersönliche) Passiv umsetzt, bleibt der Akkusativ ein Akkusativ. Wäre er ein Akkusativobjekt, würde er im Passiv zum Subjekt, also zu einem Nominativ:

Sie geht den Berg hinauf.
Es wird den Berg hinaufgegangen.
(nicht: *Es wird der Berg hinaufgegangen)

Er rennt den Abhang hinunter.
Es wird den Abhang hinuntergerannt.
(nicht: *Es wird der Abhang hinuntergerannt)

  • Das Perfekt wird mit sein gebildet, während transitiven Verben (Verben mit einem Akkusativobjekt) in der Regel mit haben stehen:

Sie ist die Treppe hinaufgegangen.
(nicht: *Sie hat die Treppe hinaufgegangen)

Er ist die Treppe hinuntergefallen.
(nicht: *Er hat die Treppe hinuntergefallen)

Sie ist den Abhang hinuntergefahren.
(nicht: *Sie hat den Abhang hinuntergefahren)

  • Die Adverbialbestimmung kommt in der gleichen Form auch zusammen mit einem Akkusativobjekt vor:

Er trägt den Hund die Treppe hinauf.
(Akkusativobjekt = den Hund)

Sie hat ihn die Leiter hinuntergestoßen.
(Akkusativobjekt = ihn)

Sie hat den Wagen den Abhang hinuntergefahren.
(Akkusativobjekt = den Wagen)

Aus diesen Gründen sind die Treppe und die Leiter in Ihren Beispielen als Adverbialbestimmungen (adverbiale Akkusative) anzusehen. Wie man genau fragen muss, ist allerdings nicht so einfach. Meist passt wo? (→ Adverbialbestimmung) allerdings etwas besser als wen oder was? (→ Akkusativobjekt):

Sie geht die Treppe hinauf – Wo geht sie hinauf?
Er ist die Leiter hinuntergefallen – Wo ist er hinuntergefallen?

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Mit oder ohne „es“: Sie konnte [es] sich aussuchen, wem …

Frage

Trotz intensiver Suche finde ich Internet keine Lösung. Ich schreibe:

Elisabeth konnte es sich aussuchen, wem sie ihre Gunst schenkt.

Verbessert wird der Satz:

Elisabeth konnte sich aussuchen, wem sie ihre Gunst schenkt.

Doch das klingt mir im Fluss des Satzes (und der Geschichte) nicht elegant, eher holprig. Habe ich Unrecht?

Antwort

Guten Tag Frau R.,

man kann hier sowohl mit als auch ohne es formulieren. Der mit wem beginnende Nebensatz ist ein Objektsatz, das heißt, er hat im Gesamtsatz die Funktion des Akkusativobjektes (wen oder was aussuchen?). Objektsätze können im übergeordneten Satz häufig fakultativ durch es vertreten sein (Korrelat). Damit ist gemeint, dass im übergeordneten Satz ein es steht, das den Objektnebensatz sozusagen ankündigt. Dieses es ist häufig fakultativ. Es kann, aber es muss nicht stehen (mehr dazu hier ).

Ein paar Beispiele:

Ich verstehe [es] gut, dass du heute keine Zeit hast.
Die meisten Menschen mögen [es] nicht, dass ihre Daten verkauft werden.
Wir bedauern [es], Sie enttäuschen zu müssen.
Ich weiß [es] nicht mehr, was sie genau gesagt hat.
Er konnte [es] nie vergessen, wie schlecht man ihn im Heim behandelt hatte.

Das gilt aber nicht immer. Manchmal kann kein Korrelat stehen. Zum Beispiel:

nicht: Die Polizei vermutet *es, dass der Dieb durch ein Fenster eingestiegen ist.
nicht: Wir beschlossen *es, noch nicht nach Hause zu gehen.

Ob ein Korrelat möglich ist, hängt vom Verb und seiner Bedeutung ab. Feste Regeln gibt es kaum, außer dass bei indirekter Rede und bei indirekten Fragen kein Korrelat stehen kann:

nicht: Er sagt *es, du habest das Geld gestohlen.
nicht: Sie fragt *es, wann ihr kommt.

Zurück zu Ihrer Frage: Das Verb sich aussuchen gehört zu den Verben, die mit einem Korrelat stehen können:

Nur die wenigsten Arbeitnehmenden können [es] sich aussuchen, ob sie länger arbeiten oder nicht.
Elisabeth konnte [es] sich aussuchen, wem sie ihre Gunst schenkt.

Siehe die Angaben im Wörterbuch zur Verbvalenz des IDS Mannheim, Stichwort aussuchen, Beispielsätze 8–11.

Beide Varianten sind korrekt. Wofür man sich entscheidet, ist vor allem eine Geschmacksfrage. Sie können in Ihrem Satz also wählen, was Ihnen besser zusagt. Ich hätte spontan ohne es formuliert, aber das ist, wie gesagt, Geschmackssache.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „würde wollen“ falsch?

Frage

Mein Deutschlehrer hat mir gesagt, dass man „wollen“ im Konjunktiv II mit „würden“ verwenden kann, da „wollten“ gleich aussieht wie die Präteritumform. Zum Beispiel: „Ich würde das machen wollen“ oder „Das würde ich gar nicht wollen“. Nun frage ich mich, ob das wirklich standardsprachlich ist […].

Antwort

Guten Tag A.,

man kann wollen mit würde verwenden, das kommt aber standardsprachlich nicht allzu häufig vor.

In vielen Fällen steht möchte statt würde wollen:

Das möchte ich machen.
Das möchte ich gar nicht.

Das ist aber von der Bedeutung her nicht immer möglich oder nicht immer gewünscht (würde wollen  hat nicht immer die gleiche Bedeutung wie möchte). Dann stehen häufig die Formen des Konjunktivs II, auch wenn sie mit den Formen des Indikativs Präteritum identisch sind. Die konjunktivische Bedeutung ergibt sich aus dem Zusammenhang:

Wenn du es wirklich finden wolltest, würdest du besser suchen.
Selbst wenn wir es wollten, könnten wir euch nicht helfen.
Er ist zu alt, als dass er sich das noch zumuten wollte.
Die Katze sieht mich an, als wollte sie sagen: „Lass mich in Ruhe!“
Die Arbeitgeber behaupten, sie wollten weiter mit den Gewerkschaften unterhandeln.

In diesen Fällen ist es stilistisch meist besser, nicht wollen würde zu verwenden. Die würde-Formen sind aber nicht grundsätzlich falsch. Zum Beispiel:

Selbst wenn wir es wollen würden, könnten wir euch nicht helfen.
Die Katze sieht mich an, als würde sie sagen wollen: „Lass mich in Ruhe!“

Stilistisch ist es hier aber – wie gesagt – meist besser, nicht die würde-Form zu verwenden.

Manchmal reicht der Zusammenhang allerdings nicht aus, um die konjunktivische Bedeutung vom Indikativ zu unterscheiden. Dann kann man gut auf die würde-Formen ausweichen. Zum Beispiel:

Wie du überall herumreisen, das würde ich nicht wollen (statt: das wollte ich nicht).
Ihr seid die Letzten, denen er helfen wollen würde (statt: helfen wollte).

Zusammenfassend: Die würde-Formen kommen in der Standardsprache bei wollen nicht häufig vor, sie sind aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen und manchmal sogar die beste Lösung.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was für eine Verbform ist „aufgehört haben würde“?

Frage

Gestern, habe ich etwas Interessantes gefunden:

Sie hoffte, dass der Regen bald aufgehört haben würde.
Wir waren uns sicher, dass sie das Problem bis Freitag gelöst haben würde.

Warum steht hier Infinitiv 2 + würde? Was ist diese grammatische Form? […]

Antwort

Guten Tag Her T.,

es geht hier um eine würde-Form, mit der „Zukunft in der Vergangenheit“ ausgedrückt werden kann.

Futur I → einfache würde-Form

Er nimmt auf niemand Rücksicht. Das wird er noch bereuen.
Er nahm auf niemand Rücksicht. Das würde er noch bereuen.

Wir wissen, dass Marianne um 17 Uhr ankommen wird.
Wir wussten, dass Marianne um 17 Uhr ankommen würde.

Futur II → Perfekt der würde-Form

Sie hofft, dass der Regen bald aufgehört haben wird.
Sie hoffte, dass der Regen bald aufgehört haben würde.

Wir sind uns sicher, dass sie das Problem bis Freitag gelöst haben wird.
Wir waren uns sicher, dass sie das Problem bis Freitag gelöst haben würde.

Die Formen aufgehört haben würde (o. würde aufgehört haben) und gelöst haben würde (o. würde gelöst haben) heißen ganz klassisch Konjunktiv II Futur II. Manchmal werden sie auch anders genannt, zum Beispiel Perfekt der würde-Form oder Konjunktiv II Vergangenheit mit würde.

Standardsprachlich sind diese Formen nur dann üblich, wenn wie in den Beispielen oben Zukunft in der Vergangenheit ausgedrückt wird. Sonst wählt man besser die Konjunktiv-II-Formen mit hätte:

besser nicht: Wenn der Regen früher aufgehört haben würde, wären wir nicht zu spät gekommen.
sondern: Wenn der Regen früher aufgehört hätte, wären wir nicht zu spät gekommen.

besser nicht: Sie behaupten, sie würden das Problem allein gelöst haben.
sondern: Sie behaupten, sie hätten das Problem allein gelöst.

Das Ganze könnte man jetzt auch noch im Passiv durchspielen (gelöst worden sein würde), aber das erspare ich Ihnen und mir für heute. Es sind schon genug Verbformen vorbeigekommen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Erhält man persönlich Beratung oder persönliche Beratung?

Frage

Ich habe mir von ChatGPT ein Diktat erstellen lassen. Beim Durchlesen bin ich über folgende Formulierung gestolpert:

Trotzdem gibt es auch Filialen, in denen man persönlich Beratung erhält. (= ChatGPT-Formulierung)
Trotzdem gibt es auch Filialen, in denen man persönliche Beratung erhält.

Bezieht sich das „persönlich“ im ersten Beispiel von ChatGPT auf das „man“? Irgendwie scheint mir das zweite Beispiel geläufiger. Ich kann aber nicht wirklich erklären, weshalb. Welchen Bedeutungsunterschied gibt es hier?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

rein grammatisch sind beide Formulierungen korrekt. Bei der ersten Formulierung bezieht sich persönlich auf erhalten (persönlich erhalten). Gesagt wird, dass man die Beratung persönlich erhält. Bei der zweiten Formulierung bezieht sich persönlich auf Beratung (persönliche Beratung). Gesagt wird, dass man eine persönliche Beratung erhält.

Nach der Bedeutung ist wahrscheinlich passender, dass man eine persönliche Beratung erhält. Dabei kann das Persönliche sein, dass die Beratung von Person zu Person stattfindet oder dass man eine auf die eigene Person zugeschnittene Beratung erhält. Nicht falsch, aber wahrscheinlich weniger passend ist, dass man die Beratung persönlich erhält, also nicht über eine andere Person oder einen anderen Weg. Deshalb kommt Ihnen die zweite Formulierung geläufiger vor.

Trotzdem gibt es auch Filialen, in denen man persönliche Beratung erhält.

Die Unterschiede sind recht subtil. Man sollte sich deshalb nicht wundern, wenn sich in einem Text für persönlich Beratung erhalten aus dem Zusammenhang dieselbe Bedeutung ergibt wie für persönliche Beratung erhalten. Besser ist es allerdings, den feinen Unterschied beim Formulieren zu berücksichtigen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Stellte es sich als einen Fehler oder als ein Fehler heraus?

Frage

Ich habe eine Frage zur Verbvalenz. Auf die Schnelle habe ich leider auch online […] nichts gefunden, daher wende ich mich jetzt an Sie!

Es geht um Verben wie „herausstellen“. Was ist richtig?

Es stellte sich als einen Fehler heraus.
Es stellte sich als ein Fehler heraus.

Ich weiß nicht, ob ich den Nominativ oder den Akkusativ nehmen muss. Ein anderes Beispiel wäre: „Das Problem stellte sich als ein/einen Fehler heraus.“
[…]

Antwort

Guten Tag Herr M.,

es geht hier um das reflexive Verb sich herausstellen, das mit einer als-Gruppe steht. Dann gilt im heutigen Deutschen das Folgende:

Bei reflexiven und reflexiv verwendeten Verben kann eine als-Gruppe sich theoretisch auf das Subjekt oder auf das Reflexivpronomen sich beziehen. Wenn die als-Gruppe sich auf das Subjekt bezieht, steht sie im Nominativ. Wenn sie sich auf sich bezieht, steht sie im Akkusativ. Im heutigen Deutschen steht meistens der Nominativ (vgl. hier).

Worum es geht, ist wahrscheinlich mit Hilfe einiger Beispiele einfacher zu sehen:

Er spielt sich gern als der große Gönner auf.
Der Komponist empfand sich als ein Vertreter der Moderne.
Der Rottweiler hat sich als guter Wachhund bewährt.
Das Museum präsentiert sich als moderner und multimedialer Erlebnisraum.
Du zeichnest dich als perfekter Gastgeber aus.
Franz betrachtet sich als dein bester Freund.
Die Region stellt sich als einzigartiger Kulturraum dar.
Er empfiehlt sich als neuer Leiter des Chors.
Er empfand sich als deutscher Maler.
Er fühlt sich als großer Gönner.
Dieses Vorgehen erwies sich als ein großer Fehler.
Der Fremde gab sich als Deutscher zu erkennen.

Und entsprechend auch:

Das Problem stellte sich als ein Fehler heraus.

Seltener kommt auch der Akkusativ vor, wenn das Verb bei gleicher Bedeutung auch mit einem Akkusativobjekt stehen kann*:

Er stellt sich als guten, besorgten Vater hin.
üblicher: Er stellt sich als guter, besorgter Vater hin.

Der Komponist empfand sich als einen Vertreter der Moderne.
üblicher: Der Komponist empfand sich als ein Vertreter der Moderne.

Das Museum präsentiert sich als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
üblicher: Das Museum präsentiert sich als moderner und multimedialer Erlebnisraum.

Du zeichnest dich als perfekten Gastgeber aus.
üblicher: Du zeichnest dich als perfekter Gastgeber aus.

Er sieht sich als den Retter der Menschheit.
üblicher: Er sieht sich als der Retter der Menschheit.

Wenn das Verb (mit einer gewissen Bedeutung) nur reflexiv verwendet wird, ist der Akkusativ veraltet oder er kommt gar nicht vor:

Er spielt sich gern als der große Gönner auf.
(Er spielt sich gern als den großen Gönner auf = veraltet)

Der Rottweiler hat sich als guter Wachhund bewährt.
(Der Rottweiler hat sich als guten Wachhund bewährt = veraltet)

Das Problem stellte sich als ein Fehler heraus.
(Das Problem stellte sich als einen Fehler heraus = veraltet)

Dieses Vorgehen erwies sich als großer Fehler.

Wie so häufig sind die Übergänge bei selten, veraltet und gar nicht fließend. Im Allgemeinen gilt aber, dass man am besten den Nominativ wählt, wenn eine als-Gruppe bei einem reflexiven oder reflexiv verwendeten Verb steht. Das bietet sich als der einfachste Weg an.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

* Mit Akkusativobjekt:

Sie stellen ihn als guten, besorgten Vater hin.
Der Kritiker empfand ihn als einen Vertreter der Moderne.
Das Museum präsentiert den Saal als modernen und multimedialen Erlebnisraum.
Das zeichnet dich als perfekten Gastgeber aus.
Sie sahen ihn als den Retter der Menschheit.

Linksversetzung und Rechtsversetzung

Frage

In den letzten Jahren habe ich gelegentlich eine Satzstellung gehört, die ein Journalist beim Deutschlandfunk […] offenbar zum Markenzeichen entwickelt hat. Ist das eine klassische Form oder ein Trend, das Satzsubjekte voranzustellen und direkt mit einem Personalpronomen wieder aufzugreifen?

Der Präsident, er hat das Land verlassen.
Die Katze, sie begrüßt alle, die ins Haus kommen.

[…]

Antwort

Guten Tag Herr L.,

diese Konstruktion wird in der Regel Linksversetzung genannt. Dabei steht ein Ausdruck links vor einem vollständigen Satz, in dem er durch ein Pronomen oder ein anderes Verweiswort wiederaufgenommen wird. Wo möglich, stehen der Ausdruck und das Verweiswort im gleichen Fall.

Der Präsident, er hat das Land verlassen.

Die Linksversetzung kommt nicht nur beim Subjekt, sondern auch bei anderen Satzteilen vor. Hier ein paar Beispiele:

Diesen Vorschlag, den kannst du am besten gleich wieder vergessen.
Meiner Schwester, ihr musst du danken, nicht mir.
Mit diesem Lügner, mit dem rede ich nicht mehr.
Über eine solche Sache, darüber kann man besser schweigen.
Am ersten Adventssonntag, dann zünden wir die erste Kerze an.
Nach Sizilien, dahin zog es sie schon lange.

Die Linksversetzung kommt vor allem in der gesprochenen Sprache vor. Sie dient meist dazu, etwas besonders hervorzuheben. Bei längeren Ausdrücken kann die Linksversetzung auch der Verdeutlichung der Satzstruktur dienen:

Der Hund, der immer wieder hier herumschnüffelt und den ich schon viele Male weggejagt habe, er läuft schon wieder im Hof herum.


Es ist mir leider nicht bekannt, ob die Linksversetzung speziell im Journalismus oder ganz allgemein häufiger vorkommt als früher. Es könnte sich auch einfach um den persönlichen Sprachgebrauch des Journalisten handeln.

Neben der Linksversetzung gibt es übrigens auch die Rechtsversetzung. Dabei steht ein Ausdruck – wie könnte es anders sein – ganz rechts, also hinter einem vollständigen Satz:

Er hat das Land verlassen, der Präsident.
Den kannst du am besten gleich vergessen, diesen Vorschlag.
Mit dem rede ich nicht mehr, mit diesem Lügner.
Darüber kann man besser schweigen, über eine solche Sache.
Die erste Kerze zünden wir dann an, am ersten Adventssonntag.
Dahin zog es sie schon lange, nach Sizilien.

Auch die Rechtsversetzung gehört vor allem (aber nicht nur)  zur gesprochenen Sprache.

Zur Linksversetzung und zur Rechtsversetzung, dazu gäbe es noch einiges zu sagen, aber für diesmal schließe ich es ab, dieses Thema.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Jede Menge trockene/trockener Äste

Frage

Ich hätte wieder einmal eine Frage, Sie können mir sicherlich helfen. Was ist richtig?

Am Waldrand fand er jede Menge trockene/trockener Äste.

Antwort

Guten Tag Frau R.

nach einer ungenauem Mengenangabe wie Anzahl, Fülle, Reihe, Menge usw. kann das Gemessene/Gezählte im Genitiv oder im gleichen Fall wie die Mengenangabe stehen. Dies allerdings nur dann, dann wenn es im Plural steht.

Mit Genitiv (partitiver Genitiv, häufig):

Wir haben Fragen zu einer Anzahl kleinerer Probleme.
Sie stellte eine Reihe neuer Produkte vor.
Eine Gruppe Demonstrierender besetzte das Gebäude.
Am Waldrand fand er eine große Menge trockener Äste.

Mit Kasusangleichnung (partitive Apposition; seltener):

Wir haben Fragen zu einer Anzahl kleineren Problemen.
Sie stellte eine Reihe neue Produkte vor.
Eine Gruppe Demonstrierende besetzte das Gebäude.
Am Waldrand fand er eine große Menge trockene Äste.

Es gibt sogar noch eine dritte Variante (häufig):

Wir haben Fragen zu einer Anzahl von kleineren Problemen.
Sie stellte eine Reihe von neuen Produkten vor.
Eine Gruppe von Demonstrierenden besetzte das Gebäude.
Am Waldrand fand er eine große Menge von trockenen Ästen.

Siehe auch die Angaben in der LEO-Grammatik.

In Ihrem Satz steht aber keine „gewöhnliche“ Mengenangabe, sondern die umgangssprachliche Wendung jede Menge = sehr viel. Das oben Gesagte gilt im Prinzip auch hier, aber am üblichsten ist doch die Kasusangleichung, das heißt, man formuliert gleich, wie wenn sehr viel stünde:

Am Waldrand fand er jede Menge trockene Äste.
(vgl. Am Waldrand fand er sehr viel[e] trockene Äste.)

Das ist eher umgangssprachlich. Etwas formeller gibt es, wie oben gezeigt, diese Varianten:

Am Waldrand fand er eine große Menge trockener Äste.
Am Waldrand fand er eine große Menge trockene Äste.
Am Waldrand fand er eine große Menge von trockenen Ästen.

Es sind also jede Menge verschiedene Formulierungen möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Sieh mal, der Baum! / Sieh mal den Baum!

Frage

Was ist richtig: „Sieh mal, der Baum!“ oder „Sieh mal, den Baum!“?

Antwort

Guten Tag Herr B.,

beides ist richtig. Einen Unterschied gibt es aber der Kommasetzung (und der Aussprache).

Sieh mal, der Baum!

Hier geht es um den Ausruf Sieh mal!, auf den separat im Nominativ folgt, was man beachten soll. Das Komma entspricht einer kurzen Pause in der gesprochenen Sprache. Man könnte auch einen Doppelpunkt oder ein zweites Ausrufezeichen verwenden:

Sieh mal: der Baum!
Sieh mal! Der Baum!

Beim zweiten Satz ist Baum direkt von sehen abhängig (Sieh mal wen oder was?):

Sieh mal den Baum!

Mit dieser eher umgangssprachlichen Äußerung ist gemeint:

Betrachte einmal den Baum!
Sieh dir einmal den Baum an!

Wenn Sie die Äußerung laut aussprechen, hören Sie wahrscheinlich, ob Sie eher Sieh mal, der Baum! (mit Pause) oder Sieh mal den Baum! (ohne Pause) meinen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Eine zunehmend wichtige/wichtigere Rolle?

Frage

Kürzlich las ich in einer wissenschaftlichen Publikation die Formulierung „eine zunehmend wichtige Rolle“. Da mir nur der Ausdruck „eine zunehmend wichtigere Rolle“ geläufig ist, stutzte ich. Nach kurzem Nachdenken befand ich aber die gelesene Variante für die bessere, da mir „zunehmend“ + Komparativ tendenziell pleonastisch erscheint. Wie sehen Sie das? Mögliche Beispiele wären:

Sie kamen in zunehmend größere Schwierigkeiten.
Sie kamen in zunehmend große Schwierigkeiten.

Man denke auch an einen Fall wie diesen, in dem man von der Verwendung von „zunehmend“, wie mir scheint, überhaupt Abstand nehmen sollte.

Sie wird zunehmend älter.
Sie wird zunehmend alt.
Sie wird älter.

Antwort

Guten Tag Herr K.,

was „richtig“ ist, hängt davon ab, wie viel und welche eigenständige Bedeutung man zunehmend zugesteht. Wörtlich genommen bedeutet es so etwas wie immer mehr. Dann passt in Ihren Beispielen die Grundstufe (Positiv) besser als die Höherstufe (Komparativ)

eine zunehmend wichtige Rolle
zunehmend große Schwierigkeiten
Sie wird zunehmend alt

Etwas weiter weg von der wörtlichen Bedeutung steht zunehmend, wenn es gleich wie immer (also ohne mehr) vor einem Komparativ verwendet wird. Dieses immer gibt vor einem Komparativ eine stetige Steigerung an:

ein zunehmend wichtigere Rolle
zunehmend größerer Schwierigkeiten
Sie wird zunehmend älter.

Ich halte diese Verwendung von zunehmend für (stilistisch) weniger gut, sie kommt aber auch häufig vor und ist entsprechend nicht als falsch anzusehen. Und beim letzten Beispiel haben Sie recht: Manchmal sollte man sich überlegen, zunehmend ganz einfach wegzulassen oder durch immer zu ersetzen.

NB: Sprache ist ist nicht Logik. Strikt wörtlich genommen ist eine zunehmend wichtigere Rolle entweder pleonastisch (es wird zweimal dasselbe ausgedrückt) oder es drückt eine immer schneller verlaufende (exponentielle) Steigerung aus. Im „normalen“ Sprachgebrauch wird aber zunehmend nicht nur mit der Bedeutung immer mehr vor einem Positiv, sondern auch wie einfaches immer vor einem Komparativ verwendet.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp.