Wenn (es) jemanden nach etwas verlangt

Frage

Ich habe nirgends im Internet die reflexive Form des Verbs „verlangen“ gefunden. Beispiel: „Es verlangt mich nach Liebe“. […]

Ich las jetzt den Satz: „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte.“ Richtig müsste es doch heißen: „… wonach es sie verlangte.“ Aber warum? Mit welcher Begründung?

Antwort

Guten Tag Frau B.,

im Satz Es verlangt mich nach Liebe steht nicht eine reflexive Verwendung von verlangen (nicht *sich verlangen), sondern eine unpersönliche Verwendung des Verbs mit einem Akkusativ:

jemanden verlangt (es) nach jemandem/etwas

Die Bedeutung dieser Wendung ist: jemand sehnt sich nach jemandem/etwas, jemand hat ein Bedürfnis nach etwas.

Beispiele:

Es verlangt mich nach Liebe.
Mich verlangt (es) nach Liebe.

Es verlangt mich nach dir.
Mich verlangt (es) nach dir.

Es verlangte ihn nach Ruhe.
Ihn verlangte (es) nach Ruhe.

Es verlangt sie nicht danach, dieses Risiko einzugehen.
Sie verlangt es nicht danach, dieses Risiko einzugehen.

Siehe auch die Angaben im DWDS (Bedeutung 5).

Wie die Beispiele zeigen, gehört diese Verwendung von verlangen eher zum gehobenen Sprachgebrauch. Ich verwende diese Konstruktion jedenfalls in meinem „normalen“ Leben nie.

Der Satz, den Sie zitieren, müsste also tatsächlich mit dem Akkusativ und nicht mit dem Dativ stehen:

Sie nahmen sich, wonach es sie verlangte.

Dieser Satz steht übrigens besser mit es, weil ohne es undeutlich wird, ob es sich bei sie um einen Akkusativ Plural oder um einen Nominativ Singular handelt (das könnte sich nur aus dem weiteren Kontext ergeben).

Wenn man sich weniger gehoben ausdrücken möchte, gibt es andere Möglichkeiten wie zum Beispiel

Ich sehne mich nach dir.
Er verlangte nach Ruhe.
Sie nahmen sich, wonach sie sich sehnten.1

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Bei dieser Umformung kommt die Vermutung auf, dass mit „Sie nahmen sich, wonach ihnen verlangte“ etwas anderes gemeint war: „Sie nahmen sich (alles), was sie wollten/begehrten.“ Wenn dies tatsächlich zutrifft, ist nicht nur ihnen, sondern die ganze Wendung jemanden sehnt es nach etwas nicht richtig gewählt.

An etwas leiden und unter etwas leiden

Frage

Zurzeit beschäftige ich mit dem Verb „leiden“. Unter dem Duden-Eintrag „leiden“ finden wir folgende Beispiele:

• an Rheuma, an Bronchitis leiden
• sie leidet an einem hartnäckigen Ekzem, unter ständigen Kopfschmerzen
• sie leidet sehr unter seiner Unzuverlässigkeit, unter ihrer Einsamkeit, unter ihrem Chef
•  er litt an, unter dem Gefühl der Unsicherheit

Wie man den Beispielen entnehmen kann, steht das Verb „leiden“ mal in Verbindung mit der Präposition „an“, mal mit der Präposition „unter“. Wann verwende ich welche Präposition? […]

Antwort

Guten Tag Herr B.,

es gibt keine strenge Abgrenzung zwischen leiden an und leiden unter. Den Bedeutungsunterschied könnte man wie folgt zu beschreiben versuchen:

an X leiden = man hat das Leiden X
unter X leiden = X verursacht, dass man leidet

Wenn man ein Leiden hat (leiden an), kann dieses Leiden Beschwerden verursachen (leiden unter). Der Übergang ist häufig fließend, denn wenn man ein Leiden hat, leidet man häufig auch darunter. Zum Beispiel:

Ich leide an Kopfschmerzen
= Ich habe häufig/regelmäßig Kopfschmerzen
Ich leide unter Kopfschmerzen
= Kopfschmerzen verursachen mir Beschwerden

Ich leide an Schlafstörungen
= Schlafstörungen sind meine Krankheit
Ich leide unter Schlafstörungen
= Schlafstörungen bewirken, dass ich leide

Aber nicht immer ist beides möglich. Es gibt Formulierungen, in denen nur die eine oder nur die andere Variante in Frage kommt:

Sie leiden an Selbstüberschätzung.

Wer das „Leiden“ hat, das man Selbstüberschätzung nennt, empfindet deswegen keine Beschwerden (im Gegenteil).

Die Natur leidet unter dem Massentourismus.

Der Massentourismus ist nicht ein Leiden oder eine Krankheit der Natur. Er verursacht aber Leiden/Schaden für die Natur.

Ob man an oder unter etwas leidet, hängt davon ab, ob angegeben wird, welches Leiden jemand/etwas hat (leiden an), oder ob etwas als als Ursache von Leiden genannt wird (leiden unter). In vielen, aber nicht allen Fällen sind beide Sehensweisen möglich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Rezepte (zu) kurz formuliert: „… und verrührst es mit einem Löffel“

Frage

In Rezepten liest man gelegentlich:

Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst es mit einem Löffel.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt es 10 Minuten kochen.

Ich störe mich in beiden Fällen an dem „es“. Müsste es im ersten Satz statt „es“ nicht eher heißen „die Zutaten“ und im zweiten Satz „sie“ (die Mandeln) oder „die Masse“?

Antwort

Guten Tag Herr S.,

Sie haben recht. Die Formulierung mit es ist schön kurz und bündig, wie man es in Rezepten gerne sieht, aber sie ist nicht korrekt. Das Wörtchen es kann sehr viele Funktionen haben – so viele, dass es fast erstaunt, dass es nicht immer richtig ist (was natürlich eine grobe Übertreibung ist).

Hier ist es ein stellvertretendes Fürwort. Als stellvertretendes Fürwort kann es vieles sein:

  • Stellvertreter für ein sächliches Substantiv im Singular als Subjekt oder Akkusativobjekt,
  • Stellvertreter für ein Substantiv oder Adjektiv als Prädikativ,
  • Stellvertreter für ein Substantiv als Subjekt in einem Gleichsetzungssatz,
  • Stellvertreter für einen Infinitiv oder einen ganzen Satz.
    (Für mehr Details und Beispiele siehe die LEO-Grammatik)

In den beiden Beispielen ist es Akkusativobjekt (Wen oder was verrührst du / lässt du kochen?). Es kann sich dann also nur auf ein sächliches Substantiv im Singular beziehen. Das ist in diesen Beispielen der Fall:

Du schlägst das Ei in eine Schüssel und verrührst es mit einer Gabel.
Du verrührst das Mus und lässt es 10 Minuten kochen.

Es kann sich nicht wie im ersten Beispielsatz auf mehrere Substantive oder wie im zweiten Satz auf ein Substantiv im Plural beziehen. Es bleibt deshalb nur, anders zu formulieren. Zum Beispiel:

Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst die Zutaten mit einem Löffel.
Du gibst 100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel und verrührst alles mit einem Löffel.

Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt sie 10 Minuten kochen.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt die Masse 10 Minuten kochen.
Du verrührst die Mandeln mit dem Honig und lässt die Mischung 10 Minuten kochen.

In der Kürze liegt die Würze, aber bei Ihren Beispielsätzen mit es ist die Kürze etwas zu würzig geraten. Wenn es wirklich kurz sein soll, ist die in der Rezeptsprache sehr übliche Formulierung mit Infinitiven zu empfehlen:

100 g Zucker, 200 g saure Sahne und eine Prise Salz in eine Schüssel geben und mit einem Löffel verrühren.
Mandeln mit dem Honig verrühren und 10 Minuten kochen lassen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Was ist „einen Euro“ in „Der Wert beträgt einen Euro“?

Frage

Im Duden steht, dass der adverbiale Akkusativ verwendet wird bei: Zeitdauer, Strecke, Gewicht. Alter kommt dazu. Wie ist es mit Wert? Beispiel: „Der Wert beträgt ungefähr einen Euro“.

Antwort

Guten Tag Frau K.,

bei Verben wie dauern, kosten, betragen, messen und wiegen, deren Ergänzung eine Zeit- oder Maßangabe ist, handelt es sich bei der Ergänzung um einen Adverbialakkusativ (= eine Wortgruppe mit einem Substantiv im Akkusativ als Kern, die die Funktion einer Adverbialbestimmung hat):

Die Sitzung dauerte einen halben Tag.
Ein einfaches Ticket kostet einen Euro zwanzig.
Der Wert beträgt einen Euro.
Die Strecke misst einen Kilometer.
Ein Sack Kohlen wiegt einen Zentner.

Die Maßangabe ist obligatorisch und sie steht im Akkusativ, sie gilt aber „trotzdem“ nicht als Akkusativobjekt, sondern als Adverbialbestimmung. Das liegt daran, dass man diese Angaben anders als ein Akkusativobjekt nicht durch ein Personalpronomen ersetzen kann:

nicht: Die Sitzung dauerte ihn.
nicht: Ein einfaches Ticket kostet ihn.
nicht: Der Wert beträgt ihn.
nicht: Die Strecke misst ihn.
nicht: Ein Sack Kohlen wiegt ihn.

Es ist auch nicht möglich, Formulierungen dieser Art in eine Konstruktion mit einem als Adjektiv verwendeten Partizip umzuformen:

nicht: Die einen Tag gedauerte Sitzung.
nicht: Ein einen Euro zwanzig gekostetes einfaches Ticket.
nicht: Der einen Euro betragene Wert.
nicht: Die einen Kilometer gemessene Strecke.
nicht: Ein einen Zentner gewogene Sack Kohlen.

Es ist aber möglich, wie bei anderen Adverbialbestimmungen mit wie … zu fragen:

Wie lange dauerte die Sitzung?
Wie viel kostet ein einfaches Ticket?
Wie viel beträgt der Wert?
Wie viel misst die Strecke?
Wie viel wiegt ein Sack Kohle?

Dasselbe gilt übrigens auch für Verbindungen wie alt sein oder wert sein, die auch mit einer obligatorischen Ergänzung im Akkusativ stehen. Auch hier handelt es sich um einen Adverbialakkusativ (vgl. hier)

Unsere Küken sind schon einen Monat alt.
Das Bild ist diesen großen Betrag nicht wert.

Nicht alles, was im Akkusativ steht und (obligatorisch oder fakultativ) zu einem Verb gehört, ist also ein Akkusativobjekt. Manchmal ist es auch ein adverbialer Akkusativ. Das gilt vor allem für Zeit-, Maß-, Mengen- und – als abschließende Antwort auf Ihre Frage – auch für Wertangaben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Welcher Artikel gehört zu Bodypump?

Frage

Was für einen Artikel verlangt Bodypump? Ich habe die folgenden Sätze gesehen: Ich gehe ins Bodypump. Ich gehe in die Bodypump-Stunde. Ich gehe zum Bodypump. Welcher Satz ist eigentlich richtig?

Antwort

Guten Tag Herr C.,

die Sätze sind alle richtig:

Ich gehe ins Bodypump.
Ich gehe zum Bodypump.
Ich gehe in die Bodypump-Stunde.

Die Bezeichnung Bodypump wird wie zum Beispiel Pilates, Spinning, Zumba und Aerobics, aber auch „Traditionelleres“ wie Karate, Judo, Fußball, Tennis usw. meistens ohne Artikel verwendet:

Bodypump ist eine neue Art, fit zu bleiben.
Wir bieten Bodypump für Anfänger an.
Was man mit Bodypump alles erreichen kann.

Es steht selten mit Artikel. Dann ist es sächlich:

ins (= in das) Bodypump gehen
Sie geht regelmäßig zum Bodypump.
Er hat sich beim Bodypump verletzt.

Kurzum, Bodypump steht wie viele Sportarten usw. meistens ohne Artikel. Man spricht also höchst selten einfach von das Bodypump. Wenn das Wort mit Artikel o. Ä. erscheint, ist es sächlich.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ist „ein gewalttätiges Gottesbild“ grammatisch korrekt?

Frage

Da lese ich: „Zum Gottesverständnis des alten Orients gehört ein gewalttätiges Gottesbild.“ Ich stutze, denn hier wird behauptet, dass ein Bild gewalttätig sei. Ein gewalttätiges Bild ist mir noch nie untergekommen. Freilich wäre denkbar, dass ein ein schweres Standbild aus Stein umfällt und einen daneben stehenden Menschen erschlägt. Allenfalls in diesem Sinn könnte ich mir „ein gewalttätiges Bild“ vorstellen. Aber in diesem Fall soll ja wohl gesagt werden, dass Gott gewalttätig ist, nicht dessen Bild. […]

Antwort

Guten Tag Herr Z.,

ein Attribut bezieht sich auf das Grundwort einer Zusammensetzung oder auf die gesamte Zusammensetzung. Es bezieht sich nicht auf das Bestimmungswort einer Zusammensetzung. In Ihrem Beispiel gilt:

gewalttätig = Attribut
Gottesbild = Zusammensetzung
Bild = Grundwort
Gott(es) = Bestimmungswort

Nach der genannten Regel wäre hier also von einem gewalttätigen Bild Gottes die Rede, nicht – so wie es sehr wahrscheinlich gemeint ist – von einem Bild eines gewalttätigen Gottes.

Die Verbindung gewalttätiges Gottesbild kann allerdings dann richtig sein, wenn Gottesbild als Ganzes mit gewalttätig charakterisiert wird und gewalttätig im Sinne von durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet gemeint ist (vgl. z. B. eine gewalttätige Region, gewalttätige Zwischenfälle, heftige Sprache mit gewalttätigen Bildern). Es bleibt für mich aber ein Zweifelsfall.

In gewissen Fällen sind Formulierungen möglich und akzeptiert, in denen sich ein Attribut eigentlich auf das Bestimmungswort bezieht, im Gebrauch aber einen Bezug auf das ganze Wort als eine Einheit hat. Beispiele sind:

das katholische Pfarrhaus
die flektierbaren Wortarten
ein atlantischer Tiefausläufer
die erweiterte Vorstandssitzung
eine deutsche Touristengruppe

Gemeint ist nicht nur das Haus des katholischen Pfarrers, sondern auch das Pfarrhaus der katholischen Gemeinde; nicht nur ein Ausläufer eines atlantischen Tiefs, sondern auch ein vom Atlantik kommender Tiefausläufer; nicht nur eine Gruppe deutscher Touristen, sondern auch eine aus Deutschland stammende Touristengruppe.

Formulierungen dieser Art scheinen aber ausgeschlossen zu sein, wenn das Attribut gar nicht zum Grundwort passen kann. Beispiele, von denen einige in diesem Zusammenhang häufiger zitiert werden, sind:

der dreistöckige Hausbesitzer
die hölzerne Spielzeugmacherin
das kleine Kindergeschrei
schwere Unwetterwarnungen.

Diese Verbindungen sind nicht akzeptabel oder sogar unverständlich.

Der Übergang zwischen akzeptierten/akzeptablen und nicht akzeptierten/nicht akzeptablen Verbindungen dieser Art ist fließend. So ist ein deutscher Sprachexperte vielmehr ein Sprachexperte mit deutscher Staatsangehörigkeit als ein Experte in deutscher Sprache. Dahingegen finde ich die Verbindung ein deutscher Sprachblog für einen Blog zur deutschen Sprache wenn auch nicht eindeutig, so doch relativ unproblematisch. Ich vermute allerdings, dass nicht alle zum gleichen Urteil kommen.

Im Zweifelsfall vermeidet man deshalb besser solche Formulierungen. Gilt dies auch für „ein gewalttätiges Gottesbild“? – Diese Verbindung gehört eher zur Gruppe der nicht akzeptablen Formulierungen. Nur wenn man dem Adjektiv gewalttätig neben der wörtlichen Bedeutung auch eine übertragene Bedeutung durch Gewalttätigkeit gekennzeichnet zuerkennt, kann es als Attribut zu Gottesbild verwendet werden. Ich zweifle aber, ob diese Lesung von gewalttätig hier tatsächlich passt. Ich würde in diesem Fall auf zum Beispiel ein Bild eines gewalttätigen Gottes ausweichen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wortstellung am Nebensatzende: wie es hätte sein sollen / sein sollen hätte / sein hätte sollen

Frage

Schon seit einer Weile quäle ich mich mit dem Thema Verbstellung im Nebensatz. Ich habe schon mehrere Bücher gewälzt und denke, den Ersatzinfinitiv verstanden zu haben.

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.

So weit, so gut. Es scheint auch so zu sein, dass in Österreich „mitmachen hätte können“ (das verwenden alle, sogar die Profs an der Germanistik) oder seltener „mitmachen können hätte“ verwendet wird. Am „richtigsten“ ist aber „hätte mitmachen können“. Liege ich so weit richtig? Kann ich das als Regel formulieren?

Problematisch wird es für mich jetzt bei „werde“ und „würde“. Da liegt ja kein Ersatzinfinitiv vor.

… dass er genug sparen können würde.
… dass sie helfen müssen wird.

Ist es eine Übergeneralisierung, wenn ich analog zu „hätte mitmachen können“ instinktiv „würde sparen können“ sagen will?

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Ich blicke da leider gar nicht durch. Geht beides? Wenn ja, was ist „richtiger“?

Antwort

Guten Tag Frau W.,

das Bestreben, die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes vollumfänglich zu verstehen, kann sehr schnell zu Verwirrung und dann zu Resignation führen. Vieles ist möglich, vieles ist nicht eindeutig geregelt und das, was „eindeutig“ geregelt ist, wird häufig nicht von allen eingehalten.

Bei Verbgruppen mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes gilt im Standarddeutschen allgemein Folgendes als korrekt: Die finite (nach Person und Zahl bestimmte) Verbform wird vorangestellt:

… dass sie hätte mitmachen können.
… dass er hatte kochen müssen.
… obwohl sie nicht haben mitkommen dürfen.
… wie es hätte sein sollen.

Seltener kommt überall auch die Nachstellung der finiten Verbform vor. Sie gilt im Standarddeutschen beim Ersatzinfinitv der Modaleverben als nicht richtig:

… dass sie mitmachen können hätte.
… dass er kochen müssen hatte.
… obwohl sie nicht mitkommen dürfen haben.
… wie es sein sollen hätte.

Eine dritte Variante, die Zwischenstellung der finiten Verbform, ist vor allem in Österreich anzutreffen:

… dass sie mitmachen hätte können.
… dass er kochen hatte müssen.
… wie es sein hätte sollen.

Ob oder inwieweit diese Wortstellung im österreichischen Standarddeutschen akzeptiert ist, weiß ich nicht. Dazu liegen mir leider keine Informationen vor. Ich vermute, dass sie zumindest toleriert ist, wenn sie so häufig vorkommt. Im restlichen deutschen Sprachgebiet ist die Zwischenstellung selten oder gar nicht gebräuchlich.

Mehr zur regionalen Verteilung der verschiedenen Varianten finden sie in der Variantengrammatik.

Etwas anders sieht es aus, wenn das Hilfsverb werden bzw. würden mit mehreren Infinitiven am Ende eines Nebensatzes steht. Dann sind standardsprachlich sowohl die Voranstellung als auch die Nachstellung üblich und akzeptiert:

… dass er würde sparen können / … dass er sparen können würde
… dass sie wird helfen müssen / … dass sie helfen müssen wird

Keine der beiden Varianten ist standardsprachlich „besser“.

Eine Übersicht über die wichtigsten Aspekte der Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes finden Sie auf dieser Seite in der LEO-Grammatik (allerdings ohne Erwähnung regionaler Varianten).

Auch für mich gilt übrigens, dass ich es nie wirklich vollständig werde verstehen können oder verstehen können werde. Die Wortstellung bei mehreren Verbformen am Ende eines Nebensatzes hat nämlich noch mehr Tücken.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

„Von Montag bis Donnerstag“ und „ab Montag bis Donnerstag“

Frage

Ich habe eine Frage, die mich seit längerer Zeit beschäftigt. Ist dieser Gebrauch korrekt: „Heute ist ab 8 Uhr bis 12 Uhr geöffnet.“ oder „Die Angebote sind ab Montag bis Freitag gültig.“

Aus meiner Sicht erfüllt „ab“ als temporale Präposition den Zweck einen Anfangspunkt anzugeben, jedoch KEINEN Endpunkt. Es müsste „von-bis“ heißen. Auf zahlreichen Anzeigen, Plakaten und Prospekten findet man jedoch „ab-bis“.

Antwort

Guten Tag Herr B.,

Ihr Zweifel ist berechtigt. Im Allgemeinen gibt man mit ab (wie mit von … an) einen Zeitpunkt an, der Anfangspunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes ist:

Das Geschäft ist erst ab 8 Uhr geöffnet.
Ab dem 1. Februar sind wir wieder erreichbar.
Die Angebote sind ab Montag vier Tage lang gültig.

Mit von … bis … werden der Anfangs- und der Endpunkt eines zeitlichen Ablaufs oder Zustandes angegeben:

Das Geschäft ist heute von 8 bis 12 Uhr geöffnet.
Wir sind von Montag bis Freitag erreichbar.
Die Angebote sind von Montag bis Donnerstag gültig

In den meisten Fällen, in denen ab … bis … steht, wäre es deshalb besser, von … bis … zu verwenden.

Das ist aber keine festzementierte Regel. Wenn der Anfangspunkt betont wird und der Endpunkt als zusätzliche Information gemeint ist, sind auch Formulierungen mit ab … bis … gut vertretbar:

Ein Geschäft darf erst ab 8 Uhr und bis spätestens 17 Uhr geöffnet sein.
Wir sind ab nächstem [o. nächsten] Montag bis zum Monatsende täglich erreichbar.
Die Angebote sind ab Montagmorgen gültig, und dies bis Donnerstagabend.

Die Verbindung ab … bis … ist also nicht ausgeschlossen, es ist aber in den in der Regel stilistisch besser, sie nicht anstelle von von … bis … zu verwendet. Es ist also meist besser von Montag bis Donnerstag als ab Montag bis Donnerstag zu sagen und zu schreiben.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der Dativ „wem“ in „Ich helfe, wem ich will“

Frage

Ich habe neulich den Satz gelesen: „Ich helfe, wem ich will.“ Dieser kam mir falsch vor, da „helfen“ den Dativ verlangt und „wollen“ den Akkusativ. Umgangssprachlich hört man aber oft solche Sätze. Gelten sie als richtig?

Antwort

Guten Tag Frau N.,

Sätze wie diese hört man nicht nur umgangssprachlich:

Ich helfe, wem ich will.
Wir helfen, wem wir können.
Sie sprachen, wo sie wollten und mit wem sie wollten.

Man findet sie auch zum Beispiel in der Bibel und bei Schiller:

Und er [der Teufel] sagte zu ihm [Jesus]: All die Macht und Herrlichkeit dieser Reiche will ich dir geben; denn sie sind mir überlassen und ich gebe sie, wem ich will.1

Gefalle dieser Gedanke, wem er will.2

Die mit wem eingeleiteten Nebensätze sind Objektsätze. Sie sind das Dativobjekt (bzw Präpositionalobjekt) des Verbs im übergeordneten Satz:

Wem helfen wir? – Wem wir wollen.

Dabei ist der Dativ wem im Nebensatz nicht von wollen oder können abhängig (diese Verben stehen ja nicht mit dem Dativ), sondern vom Verb des übergeordneten Satzes. Dieses Verb wird im Nebensatz einfach nicht wiederholt:

Ich helfe, wem ich (helfen) will.
Wir helfen, wem wir (helfen) können.
Gefalle dieser Gedanke, wem er (gefallen) will.

Es ist recht schwierig, diese Satzkonstruktionen zu analysieren, wenn man die „klassische“ Rollenverteilung im Satz vor Augen hat. Dann müsste nämlich etwas wie das Folgende herauskommen:

Ich helfe denen, denen ich helfen will.
Wir helfen (all) denen, denen wir helfen können
Gefalle dieser Gedanken denjenigen, denen er gefallen will.

Sie sind aber zum Glück gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man nicht alles bis ins Detail analysieren will oder muss. Die meisten wissen – bewusst oder unbewusst – die „Kurzversion“ mit wem als elegantere Formulierung zu schätzen.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

1 Lukasevangelium 4,6; Einheitsübersetzung 2016
2 Friedrich Schiller: Über Egmont, Trauerspiel von Goethe. Anonym erschienen in der „Jenaischen Allgemeinen Literaturzeitung“, September 1788, zit. n. Friedrich Schillers Werke. Nationalausgabe, 22. Band. Hrsg. v. Herbert Meyer, Weimar: Hermann Böhlmanns Nachfolger 1958, S. 104, Auszüge

Schöne Feiertage wünschen mit und ohne „zu“

Frage

In der Zeitung lese ich:

Mit dem neuen Format verfolgen wir zwei Ziele: zum einen Ihnen einen noch tieferen Einblick in das Berliner Leben geben und zum anderen Sie so gut und objektiv wie möglich über die komplexen Verflechtungen unserer Welt informieren.

Sollte oder muss da nicht ein „zu“ vor „geben“ und „informieren“ stehen?

Antwort

Guten Tag Herr T.,

ob die Infinitive in diesem Satz mit zu stehen sollten oder nicht, ist vor allem eine stilistische Frage. Möglich ist beides.

Mit zu wird das, was nach dem Doppelpunkt folgt, in den Satz integriert. Die Infinitivgruppen sind von Ziel abhängig:

Wie verfolgen zwei Ziele, nämlich [das Ziel] dies zu tun und [das Ziel] das zu tun.

Wir verfolgen zwei Ziele: Ihnen einen Einblick zu geben und Sie über die komplexen Verflechtungen zu informieren.

Mit dem neuen Format verfolgen wir zwei Ziele: zum einen Ihnen einen noch tieferen Einblick in das Berliner Leben zu geben und zum anderen Sie so gut und objektiv wie möglich über die komplexen Verflechtungen unserer Welt zu informieren.

Ohne zu folgen nach dem Doppelpunkt unabhängige erweiterte Infinitive, die zum Beispiel auch mit Strichen, Nummerierungszeichen o. Ä. stehen könnten:

Wie verfolgen zwei Ziele: 1) dies tun, 2) das tun.

Wir verfolgen zwei Ziele: Ihnen einen Einblick geben und Sie über die komplexen Verflechtungen informieren.

Mit dem neuen Format verfolgen wir zwei Ziele: zum einen Ihnen einen noch tieferen Einblick in das Berliner Leben geben und zum anderen Sie so gut und objektiv wie möglich über die komplexen Verflechtungen unserer Welt informieren.

Zur Verbindung zum einen – zum anderen passt meiner Meinung nach die Einbindung mit zu besser. Das ist aber ein stilistisches, kein grammatisches Urteil.

Es bleibt mir nun nur noch etwas: Ihnen schöne und angenehme Feiertage (zu) wünschen.

Dr. Bopp