Die aktuellsten Nachrichten

Wieder einmal zu einem „Dauerbrenner im Grammatikland“:

Frage

Nach Zwiebelfisch [= Kolumnist Bastian Sick] „Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod“ kann man optimal und aktuell nicht steigern. Wenn etwas aktuell ist, dann ist das andere eben nicht aktuell. Auf Canoonet werden diese Wörter aber mit Steigerungsformen angegeben. Wer liegt hier richtig?

Antwort

Sehr geehrte Frau F.,

wenn man die wörtliche Definition solcher „absoluter“ Adjektive nimmt, hat Herr Sick natürlich recht. Wenn etwas aktuell ist, dann kann etwas anderes nur ebenfalls aktuell oder nicht (mehr) aktuell sein. Das Optimale ist das Bestmögliche, besser geht also nicht mehr. Und absolut bedeutet ja, dass es darüber hinaus nichts mehr geben kann. Steigerungsformen sind also bei der wörtlichen Bedeutung solcher Adjektive nicht möglich.

Das ist aber ein wenig flexible und sehr einengende Sicht auf die Möglichkeiten der Sprache. Nehmen wir zum Beispiel aktuell: Wenn die aktuellen Nachrichten der ARD eine halbe Stunde älter sind als die aktuellen Nachrichten des ZDF, darf ich dann nicht sagen, dass die Nachrichten des ZDF aktueller sind als diejenigen der ARD? Und wenn die Nachrichten von SAT und RTL usw. noch älter sind, hat dann das ZDF in diesem Moment nicht die aktuellsten Nachrichten? Nach der strengen, wörtlichen Auslegung der Bedeutung von aktuell stimmt das vielleicht nicht: Nur das ZDF hat aktuelle Nachrichten, alle anderen nicht mehr, obwohl sie behaupten, dass Sie aktuellen Nachrichten hätten. Ich glaube aber nicht, dass – außer strengen Grammatikern und deren Anhänger –  jemand hier einen Fehler entdecken kann. Die Steigerungsformen aktueller und aktuellste drücken hier genau aus, was gemeint ist, nämlich dass alle Fernsehstationen aktuelle Meldungen haben und dass diejenigen des ZDF die neuesten oder eben die aktuellsten sind.

Im Allgemeinen gilt, dass man absolute Adjektive auch in einem übertragenen Sinne oder bewusst übertreibend verwenden kann – und wie ich finde auch darf. Wenn es neben beste auch allerbeste gibt, weshalb darf es dann neben optimal im verstärkenden oder übertreibenden Sinne nicht auch optimalste geben? Diese Steigerungsform verdient zugegebenermaßen meistens nicht den Schönheitspreis, aber sie ist nach der Grammatik des Deutschen möglich, weil das Deutsche die bewusste Übertreibung und die Verstärkung des Superlativs (z.B. allerbeste) kennt und zulässt. Die Frage lautet meistens nicht, ob solche Steigerungsformen korrekt sind, sondern vielmehr, ob man sie stilistisch schön, gut oder akzeptabel findet. Man sollte also ihren Gebrauch nicht, wie Herr Sick es tut, von vornherein verurteilen.

Das schönste Beispiel einer solchen Übertreibung habe ich einmal von einer englischsprachigen Linguistin gelesen, an deren Namen ich mich leider nicht erinnere. Sie schrieb sinngemäß das Folgende:

Wer einmal im neunten Monat mit Drillingen schwanger war, wird nie mehr behaupten, dass eine Frau nicht schwangerer sein kann als eine andere.

Ganz so weit würde ich nicht gehen, aber das Beispiel zeigt, dass Wörter nicht nur im engen Käfig ihrer wörtlichen Definition benutzt werden, sondern auch in vielen anderen Kontexten und Bedeutungen.

Sehen Sie hierzu auch einen früheren Blogeintrag und diese Grammatikseite zu den absoluten Adjektiven.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Las ich oder habe ich gelesen? – Die Zeiten der Vergangenheit

Frage

Gibt es in der deutschen Sprache eine Vergangenheit und eine Vorgegenwart wie in manchen Fremdsprachen? Zum Beispiel:

Ich las ein Buch.
Ich habe ein Buch gelesen.

Ist das beides Vergangenheit oder gibt es da Unterschiede?

Antwort

Sehr geehrte Frau B.,

bei den Verbformen kennt das Deutsche die folgenden Zeiten der Vergangenheit:

Perfekt (Vorgegenwart): ich habe gelesen
Präteritum (Vergangenheit): ich las
Plusquamperfekt (Vorvergangenheit): ich hatte gelesen

Anders als in anderen Sprachen gibt es im Deutschen fast keinen Unterschied zwischen dem Perfekt und dem Präteritum. Ob Sie Ich habe ein Buch gelesen oder Ich las ein Buch sagen, hängt vor allem von stilistischen Kriterien ab. So gilt zum Beispiel das Präteritum als die typische „Erzählzeit“, die man häufig in Erzählungen, Romanen usw. verwendet. Die Region, aus der Sie kommen, kann auch eine Rolle spielen: je nördlicher, desto häufiger las, je südlicher desto häufiger habe gelesen.

Einen Unterschied gibt es aber doch: Wenn ein Bezug zur Gegenwart hergestellt wird, kann nur das Perfekt, aber nicht das Präteritum verwendet werden:

Ich habe das Buch gelesen, deshalb kenne ich es schon.
Nicht: *Ich las das Buch, deshalb kenne ich es schon.

Umgekehrt, d. h. wenn es keinen solchen direkten Gegenwartsbezug gibt, sind in der Regel sowohl Perfekt als auch Präteritum möglich:

Ich habe damals viel gelesen.
Ich las damals viel.

Es gibt noch mehr Wissenswertes zur Verwendung der verschiedenen Zeiten. So kann zum Beispiel

  • das Präsens (Gegenwart) als sogenanntes „historisches Präsens“ etwas Vergangenes ausdrücken:

Im Jahr 1492 entdeckt Kolumbus Amerika.

  • das Perfekt für etwas Zukünftiges verwendet werden:

Wir haben es bald geschafft.

Ein Übersicht dazu und weitere Hinweise finden Sie auf dieser Grammatikseite.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Wegen jedes?

Frage

Wie drückt man das umgangssprachliche wegen jedem standardsprachlich aus, wenn jedem als Stellvertreter eines Nomens steht? Die Formulierung wegen jedes klingt so sehr aufgesetzt und unnatürlich, obwohl es stimmen müsste. Bei wegen jedes Einzelnen ist das schon wieder ganz anders.

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

wenn Sie den Dativ nach wegen vermeiden und den von bestimmt niemandem kritisierten Genitiv verwenden wollen, haben Sie mit dem Pronomen jeder tatsächlich ein Problem. Die Genitivform jedes kann nämlich aus mir übrigens völlig unerklärlichen Gründen nicht alleine stehen. Man kann also nicht sagen:

nach der Meinung jedes

In diesem Fall muss man auf andere Formulierungen ausweichen. Zum Beispiel:

nach der Meinung eines jeden
nach der Meinung aller

Die Formulierung wegen jedes klingt also deshalb so unnatürlich, weil sie nicht richtig ist. Man muss das aber eigentlich umgekehrt ausdrücken: wegen jedes ist nicht richtig, weil es so unnatürlich klingt. Wie dem auch sei, Sie sollten hier wegen eines jeden oder wegen jedes Einzelnen verwenden oder den Satz ganz umformulieren.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

PS: Mehr Informationen zum Pronomen jeder/jede/jedes finden Sie hier und hier.

Entsprechend dem Urteil oder des Urteils?

Ein Dauerbrenner in der Fragerubrik: Genitiv oder Dativ?

Frage

Ich streite seit geraumer Zeit mit Freunden darüber, was richtig ist:

entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts …
entsprechend des Urteils des Bundesverfassungsgerichts …

Antwort

Sehr geehrte Frau A.,

standardsprachlich richtig ist:

entsprechend dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts …

Das Gleiche gilt für:

außer einem kleinen Beitrag
entgegen meinem ausdrücklichen Wunsch
entsprechend deinem Vorschlag
fern allem Zynismus
gegenüber dem Restaurant
gemäß diesem Urteil
nahe dem Zentrum
samt allem Inhalt
vis-à-vis dem Restaurant

All diese Präpositionen werden häufig mit dem Genitiv verwendet, obwohl sie standardsprachlich mit dem Dativ stehen müssten. Dann gibt es auch noch Präpositionen, die sowohl mit Genitiv als auch mit dem Dativ verwendet werden können:

binnen einem Monat/eines Monats
dank deinem Einsatz/deines Einsatzes
laut einem Pressebericht/eines Presseberichtes

Auch hier wird man aber hin und wieder von wohlmeinenden Mitmenschen korrigiert, wenn man die Dativvariante wählt.

Man hört zwar seit einiger Zeit oft, dass „der Dativ dem Genitiv sein Tod“ sei, aber wenn man es allzu ernst nimmt, kann sich diese „Warnung“ ins Gegenteil verkehren. Es gibt nun einmal auch Präpositionen, die mit dem Dativ stehen müssen oder können – sogar solche, die wie der Genitiv so richtig schön gehoben klingen. Eine Liste der Präpositionen mit Dativ finden sie hier.

Man sieht: Ähnlich dem Genitiv hat es der Dativ manchmal schwer.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

In oder im Abschnitt B.2?

Frage

Ich habe eine Frage im Zusammenhang mit einer Formulierung für eine wissenschaftliche Arbeit. An einigen Stellen verweise ich auf andere Abschnitte. Wann muss ich in und wann im verwenden? Gibt es für die Verwendung einen eindeutigen Anhaltspunkt? Hier einige Beispiele:

Auf…wird in/im Abschnitt B.2 eingegangen.
Die…sind in/im Abschnitt B.2 dargestellt.
Die…werden in/im Abschnitt B.2 beschrieben.

Antwort

Sehr geehrt Frau B.,

Verweisungen auf Stellen in Büchern, Artikeln usw. mit nachgestellter Nummerierung (zum Beipsiel: Seite 23, Kapitel 5, Paragraph 7bis) können mit oder ohne Artikel stehen. Wenn sie ohne Artikel verwendet werden, bleiben sie ungebeugt. Zum Beispiel:

… ist auf Seite 23 oder auf der Seite 23 zu finden.
… steht in Kapitel 5–7 oder in den Kapiteln 5–7.
… wird in Paragraph 7bis oder im Paragraphen 7bis erläutert.

Das Gleiche gilt für Abschnitt, Gliederungspunkt usw. Sie können also sowohl in Abschnitt B.2 als auch im Abschnitt B.2 schreiben. Ebenso: in Abschnitt B.2–B.5 oder in den Abschnitten B.2–B.5.

Dies gilt übrigens nur bei nachgestellter Nummerierung. In anderen Fällen kann der Artikel in der Regel nicht weggelassen werden. Zum Beispiel:

im nächsten Abschnitt
im 11. Abschnitt

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Polizei, dein(e) Freund(in) und Helfer(in)

Frage

Weshalb heißt es nicht: Die Polizei, deine Freundin und Helferin? Die scheint mir ein weiblicher Artikel.

Antwort

Sehr geehrter Herr M.,

die Polizei ist tatsächlich ein weibliches Wort. Trotzdem kann mit der männlichen Bezeichnung Freund und Helfer auf sie verwiesen werden. Wenn eine Personenbezeichnung wie hier Freund und Helfer sich auf eine weibliche Sache, Institution usw. (hier: Polizei) bezieht, kann im Deutschen sowohl die weibliche als auch die männliche Personenbezeichnung gewählt werden. Zum Beispiel:

Die Firma XY ist Lieferantin dieses Produktes. oder
Die Firma XY ist Lieferant dieses Produktes.

die Stadtverwaltung als Arbeitgeberin oder
die Stadtverwaltung als Arbeitgeber

Man könnte also auch sagen: Die Polizei, deine Freundin und Helferin. Der Slogan ist aber nicht mehr ganz taufrisch. Er stammt aus einer Zeit, in der es noch weniger Polizistinnen gab und die Polizei noch mehr eine Männerdomäne war als heute. Es gab noch keine Kommissarin. Sie kam erst lange nach dem Alten und Derrik – vom übermännlichen Schimanski ganz zu schweigen. Damals fand man wohl, dass Freundin und Helferin einfach zu wenig männlich, stramm und schnurrbärtig klang. Ob man heute eher die weibliche Form wählen würde? Sie kommt zwar manchmal vor, aber wenn sie nicht in einem feministischen Umfeld verwendet wird, ist sie doch meist ironisch bis zynisch gemeint.

Zu diesem Thema gibt es übrigens einen früheren Blogeintrag.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Der angekommene Urlaub und die beschwipste Konsulin

Es gibt seit kurzem die Möglichkeit, Fragen auch mit Hilfe eines Kontaktformulars zu stellen. Diese Fragen kann ich aber nur dann beantworten, wenn Sie Ihre korrekte E-Mail-Adresse angeben. Alle Fragesteller und Fragestellerinnen erhalten nämlich immer eine persönlich an sie gerichtete Antwort. Canoonet verspricht Ihnen, dass wir Ihren Namen und Ihre E-Mail-Adresse weder veröffentlichen noch an Dritte weitergeben. Wie belästigen Sie noch nicht einmal mit Post von uns.

Diese Einleitung richtet sich auch an Frau H., deren Frage ich wegen einer wahrscheinlich falsch eingegebenen E-Mail-Adresse nicht beantworten konnte. Hier dann also ausnahmsweise eine „unpersönliche“ Antwort direkt im Blog:

Frage:

Wie ist die Kommasetzung bei diesem Satz:

In Kuba angekommen, beginnt sein Urlaub.

Oder:

In Kuba angekommen beginnt sein Urlaub.

Antwort

Guten Tag Frau H.,

der Satz kann sowohl mit als auch ohne Komma geschrieben werden. In Kuba angekommen ist eine Partizipgruppe (Partizipialkonstruktion), die zur Verdeutlichung oder zur Hervorhebung durch ein Komma abgetrennt werden kann.

Es gibt aber ein anderes Problem: Partizipialkonstruktionen haben kein Subjekt. Normalerweise ist das Subjekt des Partizips dasselbe wie das Subjekt des Hauptsatzes. Das bedeutet – wenn man streng sein will –, dass in Ihrem Beispiel nicht er, sondern sein Urlaub in Kuba angekommen ist. Das Subjekt des Hauptsatzes ist nämlich sein Urlaub (Wer oder was begann?).

Am besten formulieren Sie deshalb den Satz wie folgt um:

In Kuba angekommen beginnt er seinen Urlaub.

Oder mit Komma:

In Kuba angekommen, beginnt er seinen Urlaub.

In dieser Weise ist das Subjekt zu angekommen identisch mit dem Subjekt des Hauptsatzes, nämlich er.

Ein vielleicht noch aussagekräftigereres Beispiel ist das folgende:

Mit Wein gefüllt[,] überreichte die Konsulin ihrem Gatten das Glas.

Hier wird nicht, wie es wahrscheinlich beabsichtigt ist, ausgedrückt, dass das Glas mit Wein gefüllt war. Wegen der oben beschriebenen Subjektigleichheit unterstellt dieser Satz vielmehr, dass die Konsulin schon ziemlich beschwipst gewesen sein muss.

Hier noch die Angaben zu den entsprechenden Regeln:
Rechtschreibung
Grammatik

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Die Niederlande und die Mehrzahl

Frage

Ich schreibe gerade eine Seminararbeit über das Steuerrecht der Niederlande. Hierzu meine Frage: Warum heißt es Die Niederlande liegen in Westeuropa und nicht Die Niederlande liegt in Westeuropa? Warum verwende ich den Plural? Die Niederlande sind kein föderalistischer Staat. Es kann also nicht daran liegen, dass die Niederlande in mehreren Teilstaaten unterteilt sind (oder ist?).

Antwort

Sehr geehrter Herr M.,

die Niederlande sind heute tatsächlich kein föderalistischer Staat, aber sie sind aus einem Verbund verschiedener Länder (alter Plural: Lande) entstanden und hießen früher auch einmal Republik der Sieben Vereinigten Niederlande. (Mehr Geschichtliches dazu finden Sie unter anderem in Wikipedia, und zwar hier und hier.) Aus diesem Grund ist Niederlande im Deutschen ein Ländername, der wie Vereinigte Staaten im Plural verwendet wird:

Die Niederlande gehören zu den am dichtesten besiedelten Ländern der Welt.
Wir fahren in die schönen Niederlande.
Viele Blumen werden aus den Niederlanden importiert.
politische Bedenken seitens der Niederlande

Und nicht nur im Deutschen:

les Pay-Bas (Französisch, Plural)
los Países Bajos (Spanisch, Plural)
i Paesi Bassi (Italienisch, Plural)
The Netherlands (Englisch, Singular oder Plural)

Aber ausgerechnet im Niederländischen wird dieses Land mit dem in der Einzahl verwendeten Namen Nederland bezeichnet. Hochoffiziell heißt der Staat aber Koninkrijk der Nederlanden (wörtliche Übersetzung: Königreich der Niederlande). Man kennt also auch dort eine Pluralform für das Land.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Ähnlich dem Genitiv hat es der Dativ manchmal schwer

Frage

Bitte helfen Sie mir bei folgendem Problem: Für jede Bewegung benötigt der Muskel Energie, ähnlich einem Motor. Ist dieser Satz so richtig oder müsste es …ähnlich eines Motors heißen?

Antwort

Sehr geehrter Herr N.,

ähnlich wird mit dem Dativ verwendet:

jemandem/einer Sache ähnlich sein

Dies gilt auch dann, wenn ähnlich wie eine Präposition verwendet wird:

Einem Insekt ähnlich fliegt dieses Fluggerät in alle Richtungen.
Ähnlich einem Insekt fliegt dieses Fluggerät in alle Richtungen.
Dieses Fluggerät fliegt einem Insekt ähnlich in alle Richtungen.
Dieses Fluggerät fliegt in alle Richtungen, ähnlich einem Insekt.

Richtig ist also:

Für jede Bewegung benötigt der Muskel Energie, ähnlich einem Motor.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp

Nachtrag

Wenn man es richtig machen will, wird man manchmal ganz unsicher. Das gilt auch bei der Frage, ob man den Dativ oder den Genitiv verwenden muss. Ersterer soll ja gemäß einer populären Meinung des Letzeren Untergang sein. Wenn einem auch im südlichen deutschen Sprachraum wegen dem schlechten Wetter oder manchmal sogar trotz dem schlechten Wetter als falsch angestrichen wird, weil es unbedingt Genitiv sein müsse, dann ist die Gefahr der Übergeneralisierung groß. So liest man oft gemäß eines Berichtes und entsprechend Ihres Auftrags statt richtig gemäß einem Bericht und entsprechend Ihrem Auftrag. Der Genitiv klingt eben irgendwie gebildeter – und irgendwie auch richtiger“. Man hört und liest schließlich viel häufiger etwas über falsch verwendete Dative als über nicht korrekte Genitive. Dann ist es nicht mehr weit bis zum Motto: Besser einen Genitiv zu viel als einen zu wenig“. Das Wörtchen ähnlich steht aber trotzdem mit dem Dativ.

Dem Ralf seine Eltern

Frage

Es gab Diskussionen zu folgendem Satz: Das sind dem Ralf seine Eltern. Mein Opa sagte, dieser Satz sei falsch. Richtig müsse es heißen: Das sind Ralfs Eltern. Ist denn der erste Satz so falsch?

Antwort

Sehr geehrter Herr H.,

wenn es um das Hoch- oder Standarddeutsche geht, hat Ihr Opa recht. Man sagt und schreibt:

Das sind Ralfs Eltern.
Das ist Tante Annas Auto.

Formulierungen wie die folgenden gelten im Standarddeutschen als nicht korrekt:

Das sind dem Ralf seine Eltern.
Das ist der Tante Anna ihr Auto

Diese Wendungen gelten als umgangssprachlich oder mundartlich. Woher stammen sie? In vielen Dialekten, vor allem im südlichen deutschen Sprachraum, gibt es (fast) keinen Genitiv. Standardsprachliche Formulierungen wie Ralfs Eltern sind dort also gar nicht möglich, denn Ralfs ist ja eine Genitivform. Besitzverhältnisse im weiteren Sinne werden deshalb mit von+Dativ oder eben dem … sein … bzw. der … ihr … ausgedrückt. Hinzu kommt, dass ebenfalls vor allem in den Dialekten des südlichen deutschen Sprachraums Personennamen in der Regel nur mit Artikel verwendet werden:

der Ralf
die Tante Anna
usw.

Das Fehlen des Genitivs und die Verwendung des Artikels bei Eigennamen führen zu Formulierungen wie dem Ralf seine Eltern. In den jeweiligen Dialekten und Varianten der Umgangssprache sind solche Formulierungen deshalb grammatisch richtig. Sätze mit dem Genitiv wie Wessen Auto ist das? – Das ist Tante Annas Auto (statt Wem sein Auto ist das? – Das ist der Tante Anna ihr Auto) sind dort falsch oder führen zumindest zu hochgezogenen Augenbrauen im Sinne von Was ist denn mit dem/der los? Wenn Sie zum Beispiel bayrisch, schwäbisch oder schweizerdeutsch reden, ist somit gegen dem Ralf seine Eltern gar nichts einzuwenden. Ganz im Gegenteil! Wenn Sie aber danach auf Hochdeutsch umschalten, gilt wie gesagt nur Ralfs Eltern als korrekt.

Sehen Sie hierzu auch diese Grammatikseite.

Mit freundlichen Grüßen

Dr. Bopp